Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates

Deutscher Bundestag, 159. Sitzung, Mittwoch, den 7. Mai 2008   

Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zur vorgeschlagenen Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates

Dr. h. c. Gernot Erler, Staatsminister im AuswärtigenAmt: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gehört zu den bewahrenswerten Teilen der politischen Kultur in Deutschland, sich in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik um Einigkeit zu bemühen, zumindest um einen Grundkonsens über die Parteigrenzen hinweg. Leider muss ich gleich zu Beginn feststellen: Das von der CDU/CSU vorgelegte Papier zu einer Sicherheitsstrategie für Deutschland schert aus dieser guten Tradition aus. Ein Bemühen, einen solchen Grundkonsens zu wahren, ist nicht zu erkennen. Vielmehr ist dies ein Text, der eine Reihe von längst bekannten parteipolitischen Vorstößen der CDU/CSU, die auch früher schon auf Ablehnung gestoßen sind, bündelt und neu verpackt auf den Markt wirft. Die Verpackung verfehlt aber ihren Zweck. Sie vermag nicht zu verbergen, dass die Kernforderungen der christdemokratischen Sicherheitsstrategie mit allen relevanten Referenztexten kollidieren, nämlich mit dem Grundgesetz, also der deutschen Verfassung, mit der verbindlichen europäischen Sicherheitsstrategie vom Dezember 2003, mit dem Koalitionsvertrag vom November 2005 und mit dem im Oktober 2006 von dieser Bundesregierung nach langer, ressortübergreifender Zusammenarbeit vorgelegten Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr.

Das zweite Kapitel der Sicherheitsstrategie beschreibt fünf Herausforderungen und formuliert Ziele, denen man, was die Überschriften angeht, nicht widersprechen kann, nämlich Terrorismus bekämpfen, Proliferation verhindern und Abrüstung voranbringen, Energie- und Rohstoffversorgung sichern, die Folgen des Klimawandels bewältigen, Konflikte verhindern, eindämmen und beilegen. Das Auffällige ist nur: Im dritten Kapitel zu Konsequenzen für die deutsche Sicherheitspolitik finden wir keinen einzigen konkreten Vorschlag, etwa im Bereich der Nonproliferation und Abrüstung - im Gegenteil: Es gibt eine voreilige Zustimmung zur Raketenabwehr -, keine einzige Idee zu einer verbesserten Energiesicherheit unseres Landes,

(Zuruf des Abg. Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU])

nichts über Gefahrenabwehr beim Klimawandel und schon gar nichts, was an die bisherige Politik der Bundesregierung im Bereich der Krisenprävention und der vorausschauenden Friedenspolitik anknüpfen würde.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist vergessen!)

Das heißt aber nicht, dass es in diesem Abschnitt nicht konkret würde. In Konsequenz der von Ihnen immer wiederholten Behauptung, die bisherige Trennung von innerer und äußerer Sicherheit lasse sich nicht länger aufrechterhalten, wird eine Ausdehnung des Einsatzes der Bundeswehr im Innern gefordert, ohne auch nur ein Wort zu den Vorschriften des Grundgesetzes und zu den einschlägigen Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes zu verlieren. Die herausgehobenen Passagen beim Stichwort "zivil-militärisches Instrumentarium zur Krisenbewältigung" gelten der Fähigkeit, gewaltsame Konflikte an ihrem Entstehungsort zu bewältigen, wobei man das Land auf weitere, länger andauernde Einsätze der Bundeswehr vorbereiten müsse. Es gleitet schon ins Provokatorische ab, wenn es um die künftige Legitimation von Auslandseinsätzen der Bundeswehr geht, die nicht mehr ausdrücklich an ein Mandat der Vereinten Nationen gebunden sein sollen, sondern bereits bei Verfolgung der Ziele der Charta der Vereinten Nationen als legitimiert angesehen werden.

Dasselbe gilt für die angedachte Abschwächung des Parlamentsvorbehalts für bewaffnete Auslandseinsätze, wenn eine Entscheidung des Deutschen Bundestages nicht rechtzeitig herbeigeführt werden könne. Als wisse man nicht ganz genau, wie rasch solche Entscheidungen nach all unserer Erfahrung hier im Deutschen Bundestag herbeigeführt werden können, und als wisse man nicht, dass das erst in der letzten Legislaturperiode überarbeitete Parlamentsbeteiligungsgesetz bei Gefahr im Verzug sogar eine nachträgliche Parlamentsentscheidung möglich macht.

Was ist das eigentlich für eine Fantasie, die in Szenarien denkt, bei denen deutsche Soldaten innerhalb von wenigen Stunden in lebensgefährliche Auslandseinsätze geschickt werden können, obwohl doch bisher Konsens darüber bestand, dass eine solche Entscheidung immer nur eine allerletzte nach Austestung aller anderen Möglichkeiten zur Konfliktbewältigung sein darf?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Und das alles gipfelt dann in dem nun wirklich nicht neuen Vorschlag eines Nationalen Sicherheitsrats als ein beim Kanzleramt angesiedeltes politisches Analyse-, Koordinierungs- und Entscheidungszentrum. Das ist eine klare Entlehnung aus Präsidialsystemen, wie wir sie in den Vereinigten Staaten und übrigens auch in der Russischen Föderation vorfinden, mit dem vollen Risiko der Kollision mit dem im Grundgesetz verankerten Ressortprinzip und mit einer bewussten Abkehr von dem gerade bei komplexen Sicherheitsfragen bewährten Prinzip der horizontalen Ressortabstimmung zugunsten eines vertikalen, formalisierten, komplexen und absehbar schwerfälligeren Abstimmungsverfahrens, ohne dass Sie den Mehrwert einer solchen Neuerung hier darzustellen versuchen.

Was haben wir also jenseits der Verpackung an Konkretem? Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen innerer und äußerer Sicherheit. Es führt zu Mehreinsatz der Bundeswehr im Inland und weiteren und längeren Einsätzen der Bundeswehr im Ausland unter Abschwächung des Parlamentsvorbehalts und notfalls ohne direkte UN-Legitimation. Und all dies wird von einem neuen Apparat namens Nationaler Sicherheitsrat straff geführt. Wer das einordnen will, muss sich besinnen und sich klarmachen, was alles nicht in diesem CDU/CSU-Sicherheitskonzept vorkommt.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die verbindliche EU-Sicherheitsstrategie von Dezember 2003 formuliert folgende Grundsätze: Konfliktlösung durch Verhandlungen und durch vorausschauende Friedenspolitik, Prävention statt Intervention und nur als letzte Möglichkeit den militärischen Einsatz, Stärkung des Völkerrechts und der Vereinten Nationen, Fortsetzung der vertragsgestützten Abrüstungspolitik und entsprechend dem programmatischen Titel dieser Strategie, "Ein sicheres Europa in einer besseren Welt", einen großen Schwerpunkt auf eine bessere Weltordnung und auf mehr Entwicklungszusammenarbeit, praktisch als Gefahrenabwehr im globalen Zusammenhang. Das ist ein gutes Konzept, und das ist ein Konzept, an dem wir festhalten sollten.

 (Beifall bei der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die rot-grüne Bundesregierung hat das nicht nur getan, sondern sie hat es auch ergänzt, zum Beispiel mit der erstmaligen Schaffung eines zivilen Friedensdienstes, mit dem Aufbau des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze, dem ZIF, das heute weltweit anerkannt wird, und mit dem Aktionsplan "Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung" als einen Versuch, die verschiedenen Kräfte der verschiedenen Ressorts eben für die Konfliktprävention zu mobilisieren.

Dieses Programm steht ausdrücklich im Koalitionsvertrag, der auch mehrfach auf die verbindliche europäische Sicherheitsstrategie Bezug nimmt. Nicht ein einziges Wort aus diesem friedenspolitischen Gesamtprogramm einschließlich des darauf aufbauenden Weißbuches, das wir gemeinsam geschrieben haben, kommt in der christdemokratischen Sicherheitsstrategie vor. Übrigens, selbst im Analyseteil finden wir nicht einen einzigen Hinweis auf die Rolle der Friedensforschung und der Deutschen Stiftung Friedensforschung.

(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das stimmt nicht! Das steht drin!)

Dann zeigen Sie mir die Stelle.

Auf dieser Basis lässt sich der erwünschte Grundkonsens in der für unser Land so wichtigen Frage der internationalen Friedens- und Sicherheitspolitik nicht bewahren und nicht fortentwikkeln. Sie scheren aus der in Europa angelegten Spur aus. Sie haben eine Sicherheitsstrategie vorgelegt - eine sehr stark parteipolitisch orientierte. Es ist zwar eine, aber in dieser Form keine konsensfähige.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle [FDP] und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])