Erler: Wir haben eine schwierigere Sicherheitssituation bekommen

SPD-Politiker hält OEF-Mandat in Afghanistan für unabdingbar. Interview im Deutschlandfunk, 15. November 2007.  

Moderation: Oliver Heckmann

Vor der Bundestagsentscheidung über eine Verlängerung der Operation Enduring Freedom in Afghanistan hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, noch einmal für die deutsche Beteiligung geworben. Der SPD-Politiker sagte, dies könne ein starkes Signal an die Bündnispartner sein, ihr Engagement in Afghanistan aufrecht zu erhalten.

Heckmann: Vor wenigen Wochen noch schien es so, als ob es eng werden könnte für die Bundesregierung. Nicht nur auf Seiten der Grünen wuchs die Zahl derer, die dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan skeptisch gegenüberstehen, angesichts der vielen zivilen Opfer. Auch innerhalb der SPD regte sich zunehmend Widerstand, vor allem gegen die weitere Unterstützung der amerikanisch geführten Anti-Terror-Operation Enduring Freedom. Für die Verlängerung der ISAF-Aufbaumission und des Tornado-Einsatzes hatte sich schon vor einigen Wochen eine deutliche Mehrheit im Bundestag gefunden. Heute aber hat der Bundestag über die Unterstützung für OEF zu entscheiden. Doch die feinen Unterschiede der beiden Mandate, sie sind in der Praxis kaum relevant.

Am Telefon ist jetzt Gernot Erler (SPD), Parlamentarischer Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Guten Morgen Herr Erler!

Erler: Guten Morgen Herr Heckmann!

Heckmann: Herr Erler, geht bei Ihnen Bündnistreue über alles?

Erler: Nein. Das Thema Bündnistreue hat bei den ungewöhnlich intensiven Beratungen zur Vorbereitung dieses Beschlusses eine sehr geringe Rolle gespielt.

Heckmann: Welche Rolle?

Erler: Eine sehr geringe Rolle gespielt, denn im Vordergrund stand der Erfolg des Gesamteinsatzes in Afghanistan. Darüber ist sehr intensiv diskutiert worden. Natürlich hat es eine große Signalwirkung, was der Bundestag heute beschließen wird. Der Hintergrund ist nicht die Zufriedenheit der Amerikaner, sondern der Hintergrund ist, dass wir in Afghanistan mehrere Partner haben, die größere Verluste bisher erlitten haben als Deutschland und bei denen es eine öffentliche Diskussion gibt, ob man den Einsatz reduziert oder sich gar zurückzieht. Wenn Deutschland jetzt ein sehr starkes Signal gibt, dass es bei dem Umfang wie bisher bleibt, dann beeinflussen wir damit auch in positiver Weise die Diskussion bei diesen Bündnispartnern.

Heckmann: Dennoch, Herr Erler, es hat ja in den letzten Wochen und Monaten massive Kritik an den zivilen Opfern der Operation Enduring Freedom gegeben, an der Art und Weise der Kriegsführung. War diese Kritik also übertrieben? Alles in Ordnung?

Erler: Das wichtige ist, wozu diese Kritik geführt hat und die hat Folgen gehabt. Wir haben schon im Sommer eine Entscheidung bei ISAF gehabt, eine sogenannte "tactical directive" in geänderter Weise auszugeben, das heißt einen Einsatzbefehl, der sehr viel mehr Wert darauf legt, dass bei den Vorbereitungen eines Einsatzes geprüft wird, ob ziviles Menschenleben in Gefahr geraten kann, wie man das verhindern kann, und dafür sind strenge Regeln gegeben worden. Im August hat dann OEF eine ähnliche "tactical directive", also einen ähnlichen Einsatzbefehl, der inhaltlich fast identisch ist, ebenfalls ausgegeben und es ist sehr auffällig, dass in den letzten Wochen es kaum noch Meldungen über zivile Opfer gab.

Heckmann: Vor wenigen Tagen, vor wenigen Tagen allerdings gab es diese Meldungen.

Erler: Es hat aber eine Zeit gegeben, wo sehr viel häufiger solche Meldungen gekommen sind, so dass wir davon ausgehen können, dass diese veränderte Einsatzbefehlstruktur auch Auswirkungen hat.

Heckmann: Es wird ja immer stärker Wert auf die Trennung zwischen OEF und ISAF gelegt. Die Frage ist aber, ob diese Trennung so überhaupt noch aufrecht zu erhalten ist. Wir haben es gerade im Beitrag auch gehört. Die Grenzen verschwimmen und auch die ISAF-Truppen kämpfen offene Schlachten im Süden.

Erler: Das ist ja so, dass dieses natürlich von der Herausforderung abhängt. Es waren in der Vergangenheit schon sehr unterschiedliche Szenarien, die man beobachten konnte: im Süden und im Südosten des Landes einerseits und im Norden andererseits. In dem Augenblick natürlich, wo die Taliban versuchen anzugreifen, auch im Norden stärker anzugreifen, in dem Augenblick muss sich logischerweise auch ISAF umstellen und muss mehr aktiv auch vorgehen gegen diese Angriffe und das verändert dann natürlich das Bild. Aber die Tatsache, dass insgesamt die Taliban immer mehr auf Überfälle setzen und auch im Süden schon längere Zeit nicht mehr in der Lage sind, mit größeren Formationen anzugreifen, was sie noch vor einem Jahr ungefähr gemacht haben, zeigt, dass man dort sehr genau hingucken muss, um nicht zu verwechseln, dass manche Kampfformen auch darauf hindeuten, dass der internationale Einsatz wirksam ist.

Heckmann: Wenn Sie sagen, dass das Militär reagieren muss auf die Situation, auf Angriffe von Taliban-Seite aus, dann bestätigen Sie, dass die Bundeswehr sich langsam aber sicher in einen Krieg hineinzerren und hineinziehen lässt?

Erler: Es ist ein Einsatz mit militärischen Mitteln und darüber hat sich auch nie irgendjemand eine Illusion gemacht. So lautet ja auch der Auftrag. Aber es ist tatsächlich so, dass es sich entwickelt, dass es sich entwickelt je nachdem wie sich hier die Aufständischen und die illegalen Milizen verhalten. Wir haben eben eine insgesamt schwierigere Sicherheitssituation bekommen in den letzten Monaten und darauf muss ISAF ebenso wie OEF reagieren und das passiert auch.

Heckmann: Wahren die Bundeswehrsoldaten in jedem Fall die Grenzen des Bundestagsmandats?

Erler: Wir sind da sehr aufmerksam, aber uns ist bisher bei dieser Aufmerksamkeit bestimmt nichts entgangen, aber wir haben auch nichts gehört, wo das anders der Fall ist.

Heckmann: Generalinspekteur Schneiderhan hat allerdings vor dem Verteidigungsausschuss vor wenigen Tagen gesagt, dass kleinere Gruppen deutscher Soldaten auch zeitweise im Westen des Landes eingesetzt worden sind, außerhalb des Gebiets, für das die Bundeswehr ein Mandat hat.

Erler: Das ist vollkommen gedeckt durch das Mandat. In diesem Mandat steht eine flexible Regelung für solche Fälle, wenn das für einen bestimmten Auftrag gilt, der umrissen werden kann, also nicht ein genereller, und wenn das zeitlich begrenzt ist und insbesondere dann auch, wenn es die Hilfspflicht für Verbündete gebietet.

Heckmann: Herr Erler, Amnesty International hat dem afghanischen Militär und dem Geheimdienst vorgeworfen, Gefangene zu foltern, die von der ISAF überstellt werden. Auch Präsident Karzai hat letzte Woche Fälle bestätigt, ebenso wie NATO-General Ramms. Die afghanische Regierung möchte diesen Vorwurf jetzt untersuchen. Reicht das?

Erler: Das ist das, was wir natürlich erwarten und was wir auch fordern. Wir sind auch tätig geworden in dieser Weise, indem wir uns sofort in Verbindung gesetzt haben mit den zuständigen afghanischen Stellen. Solche Vorwürfe müssen natürlich sofort untersucht werden und wenn sich dort bestätigt, dass so etwas vorkommt, muss das sofort geändert werden. Darauf werden wir mit allen Mitteln, die uns politisch zur Verfügung stehen, auch dringen.

Heckmann: Aber Sie sehen jetzt noch keinen Anlass, die Überstellungen an das afghanische Militär zu stoppen?

Erler: Wir haben uns ja hier an die Regeln zu halten. Das heißt wir haben gar nicht das Recht, zum Beispiel in den Fällen, wo wir selber Gefangene machen müssen, die länger als 96 Stunden überhaupt bei uns zu behalten und dann müssen wir sie entweder frei lassen oder an die zuständigen afghanischen Behörden übergeben. So sind die Einsatzregeln. An die halten wir uns natürlich und insofern besteht schon mal rein formal hier eine Notwendigkeit zusammenzuarbeiten. Aber es ist ja auch eine politische Frage, denn ich meine wir kämpfen dafür, dass eine gewählte Regierung geschützt wird vor illegalen Milizen und dass die gewählte Regierung eben ihre Arbeit machen kann. Dazu gehört aber natürlich dann auch, dass sie sich an alle völkerrechtlichen Regeln hält. Sonst kann das kein sinnvoller Auftrag sein. Insofern ist das schon eine sehr entscheidende und sehr ernste Frage und mit diesem Ernst gehen auch sowohl die afghanischen Behörden wie wir an diese Frage heran.

Heckmann: Also keine Versäumnisse auf deutscher Seite? Die britische Regierung hat gesagt, bei den Gefangenen, die von ihrer Seite überstellt werden, könne das nicht vorkommen, da die Gefangenen dann regelmäßig besucht werden.

Erler: Das ist bei uns auch der Fall. Das heißt wir haben auch genaue Regeln dort, unter welchen Umständen überhaupt eine solche Übergabe möglich ist. Aber wie gesagt: wir haben bisher überhaupt keine Hinweise darauf, dass solche Dinge vorgekommen sind. Deswegen müssen wir umso ernsthafter und sorgfältiger mit den Detailangaben jetzt arbeiten, die uns von Amnesty gemacht worden sind.

Heckmann: Der Bundestag entscheidet heute über die Verlängerung des OEF-Mandats für die Bundeswehr unter anderem in Afghanistan. Wir sprachen darüber mit Gernot Erler (SPD), Parlamentarischer Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Herr Erler, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Erler: Danke Ihnen.