Erler hofft auf Einigung beim EU-Grundlagenvertrag

Interview von Gernot Erler im Deutschlandradio Kultur, 7. September 2007  

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, hat sich zuversichtlich hinsichtlich einer Einigung im Streit um den EU-Grundlagenvertrag gezeigt. Die portugiesische Ratspräsidentschaft habe richtig entschieden, das vereinbarte Paket vor der Regierungskonferenz nicht wieder aufzuschnüren, sagte der SPD-Politiker im Deutschlandradio Kultur. Bisher habe der Ansatz Erfolg, die unter deutscher Ratspräsidentschaft vereinbarten Ziele nur noch in einem Text abzufassen.

Leonie March: Das Kleingedruckte, die genauen Formulierungen des EU-Grundlagenvertrages, der Friedensprozess im Nahen Osten und das Ringen um den künftigen Status des Kosovo, über all das beraten die EU-Außenminister ab heute im portugiesischen Viana do Castelo. Erstes Thema heute Vormittag ist das Kosovo. Eine Unabhängigkeit unter internationaler Aufsicht lehnt Russland ebenso ab wie Serbien. Die Kosovo-Albaner haben dagegen die EU aufgerufen, eine künftige Autonomie so bald wie möglich anzuerkennen, spätestens nach dem 10. Dezember, dem Termin, an dem die sogenannte Kosovo-Troika aus EU, Russland und den USA den Vereinten Nationen ihren Bericht vorgelegt hat. Am Telefon begrüße ich nun Gernot Erler, der SPD-Politiker ist Staatsminister im Auswärtigen Amt. Guten Morgen Herr Erler!

Gernot Erler: Guten Morgen Frau March.

March: Immer wieder gibt es Verhandlungsrunden. An den grundsätzlichen Positionen scheint sich allerdings nichts zu ändern. Wie schätzen Sie die Chancen für eine Einigung über den künftigen Status des Kosovo ein?

Erler: Die Voraussetzungen sind in der Tat sehr schwierig, weil, es müsste sich etwas bewegen bei den Positionen der beiden Verhandlungspartner in Belgrad und in Pristina und die ersten Gespräche, die stattgefunden haben zwischen der Troika und den einzelnen Partnern haben da keine große Bewegung gezeigt. Es gibt Ende September noch mal dann eine Runde, wo man eben beide an einen Tisch bittet. Und wir hoffen immer noch, dass es möglich ist, hier zu einem Kompromiss zu kommen. Die Zeit ist nicht mehr lang bis dahin. Sie haben schon gesagt, am 10. Dezember enden diese Verhandlungsbemühungen.

March: Welche Rolle spielt denn Russland bei den Schwierigkeiten der Verhandlungen? Will Moskau mit seiner Haltung auch erneut beweisen, dass die internationale Politik ohne Russland nicht auskommt?

Erler: Russland hat eine sehr harte Haltung in der Kosovo-Frage gezeigt. Und es gibt viele Analytiker, die sagen, das hat eher etwas mit der russischen Innenpolitik zu tun. Wir haben ja am 2. Dezember Parlamentswahlen in Russland, am 2. März nächsten Jahres Präsidentschaftswahlen und das wäre nicht unüblich, dass eine solche innenpolitische Situation sich auch auf das außenpolitische Verhalten auswirkt. Und dann haben wir die Tendenz in Russland eben mehr Selbstbewusstsein zu zeigen und auch deutlich machen zu wollen, dass man eine Rolle in der internationalen Politik spielt, die nicht übersehen werden darf. Das ist auch eine Prestigefrage und in diesem Strudel, kann man beinahe sagen, ist diese Kosovofrage, was die russische Haltung angeht, offensichtlich hineingeraten.

March: Haben Sie dafür Verständnis, oder müsste sich Moskau bewegen?

Erler: Es hat wenig Wert, darüber nachzudenken. Man muss versuchen, das zu erkennen, um auch die russische Seite in der richtigen Weise anzusprechen, zu versuchen auch deutlich zu machen, dass es eigentlich auch ein russisches Interesse sein muss, dass wir im Kosovo zu einer Verhandlungslösung kommen. Und Russland sitzt ja mit in der Troika, also es beteiligt sich jetzt auch den Bemühungen und das ist die Chance, in dieser Richtung auch auf Russland einzuwirken.

March: Ist es bei einem Scheitern der Verhandlungen denn wahrscheinlich, dass, wie die EU befürchtet, das Kosovo einseitig die Unabhängigkeit erklärt?

Erler: Also die Position der EU ist, dass eine solche einseitige Handlungsweise nicht akzeptabel ist und deswegen will man am liebsten im Augenblick davon überhaupt nichts hören. Das soll natürlich auch den Druck auf ein Ergebnis jetzt bei den Troika-Bemühungen erhöhen. Und insgesamt gibt es noch wenig Spekulationen - eben um die Verhandlungen nicht zu entwerten - darüber, was eigentlich am 10. Dezember passiert, falls die Arbeit der Troika ohne Erfolg bleibt.

March: Trotzdem: Halten Sie es für wahrscheinlich, dass das Kosovo dann die Unabhängigkeit erklärt?

Erler: Wir haben natürlich Berichte darüber, dass dort die Geduld langsam zu Ende geht. Das kann man auch nachvollziehen, weil natürlich schon mehrfach hier Zeitangaben gemacht worden sind, die dann am Ende nicht eingehalten werden konnten. Das heißt, die Entscheidung sollte eigentlich schon bis Ende letzten Jahres fallen. Aber bisher muss man sagen, dass die politische Führung in Pristina sehr besonnen und sehr konstruktiv reagiert hat und auch allen Forderungen, nun Druck zu machen, womöglich auch über demonstrative Akte Druck zu machen, nicht nachgegeben hat.

March: Nun gibt es ja auch innerhalb der EU Vorbehalte gegen ein unabhängiges Kosovo vor allem von der Slowakei aber auch von Griechenland und Rumänien. Welche Folgen hätte also eine einseitige Unabhängigkeitserklärung für die Einheit und Stabilität der EU?

Erler: Damit sprechen Sie ein schwieriges Kapitel an, was natürlich bei dem Gymnich-Treffen, heute und morgen, wo man ja über die Kosovo-Frage spricht, auch eine wichtige Rolle spielt. Das Problem ist, dass eben der Ahtisaari-Plan, also dieser Plan, sehr, sehr weitgehende Rechte der serbischen Minderheit im Kosovo zu geben, durchaus kritisch auch von einigen EU-Ländern diskutiert worden ist, ganz besonders eben von solchen, die selber Minderheiten in ihrem eigenen Land haben, weil es ja natürlich eine Art Berufungstatbestand schaffen könnte, worauf sich dann auch andere beziehen könnten und insofern gibt es eine Diskussion, auch eine kritische Diskussion. Aber schon im März hat sich trotzdem die EU während der deutschen Präsidentschaft doch auf den Ahtisaari-Plan verpflichtet. Der ist auch die Grundlage der jetzigen Bemühungen der Troika. Und für alle Fälle, in jedem Fall, wie auch immer das Ergebnis lautet, ist die schwierigste Aufgabe jetzt auch für die Portugiesen in ihrer Präsidentschaft, die EU in dieser Frage zusammenzuhalten. Es wäre ganz schlimm, wenn man da auseinander ginge, ohne eine gemeinsame Position. Das würde die Handlungsfähigkeit der EU geradezu in Frage stellen.

March: Kommen wir zum Schluss, Herr Erler, zum zweiten Thema des Außenministertreffens: Der EU-Grundlagenvertrag. Wieder gibt es etliche Änderungswünsche zu den bekannten Themen: Abstimmungsmodus, Grundrechtecharta und gemeinsame Außenpolitik von den üblichen Verdächtigen - Polen, Großbritannien und Niederlande. Wie groß ist die Gefahr, dass das Paket wieder aufgeschnürt wird?

Erler: Ich selber bin da optimistisch, weil der Ansatz der portugiesischen Präsidentschaft zu sagen, es geht bei der Regierungskonferenz jetzt nicht mehr darum, das Paket wieder aufzuschnüren und inhaltlich neu zu diskutieren, sondern es geht darum, das was am 23.6., also zum Abschluss der deutschen Präsidentschaft, inhaltlich vereinbart worden ist für diesen neuen EU-Grundlagenvertrag, dass das in einen Text, in einen Vertragstext umgegossen wird, der diesen Beschlüssen entspricht. Und bisher hat dieser Ansatz Erfolg gehabt, das heißt, es ist von immer mehr Länder akzeptiert worden, übrigens auch von Polen, dass das der richtige Weg ist, nachdem es am Anfang da Irritationen gegeben hat. Und insofern glaube ich, dass das ehrgeizige Ziel der Portugiesen, bis zu einem Treffen der Staats- und Regierungschefs am 18. und 19. Oktober fertig zu sein mit dieser Textarbeit, durchaus realistisch ist.

March: Aber die Änderungswünsche sind ja nicht gerade Kleinigkeiten. Ich denke da an die Grundrechtecharta, die aus Sicht der Briten rechtlich unverbindlich sein soll und die von Polen geforderten Blockademöglichkeiten bei Abstimmungen. Da geht es doch wieder ins Eingemachte.

Erler: Aber das ist ja Teil der Beschlussfassung während der deutschen Präsidentschaft, also diese Sonderregelungen, was die Rolle und Gültigkeit der Grundrechtecharta angeht, in Sachen England und auch diese Übergangsregelungen für das Abstrebungsvorgehen, das ist ja beschlossen worden, das heißt, das wird jetzt auch Teil des Verfassungsvertrages werden.

March: Trotzdem können die Staaten immer mehr noch nicht unterschreiben und auch nicht ratifizieren.

Erler: Also wenn es eine Einigung gibt bis zum Oktober, dann beginnt der Ratifizierungsprozess und es ist bisher gelungen, deutlich zu machen, dass wir nur eine Chance haben im Zeitrahmen hier zu einem Erfolg zu kommen, wenn man nicht das Paket noch mal aufschnürt, sondern wenn man wirklich versucht, das was inhaltlich schon beschlossen worden ist, nun in einen verbindlichen und diese Beschlussfassung wiederspiegelnden Text zu bringen. Und das ist das Vorgehen der Portugiesen. Das unterstützen wir nachhaltig und wie gesagt, das ist bisher von den anderen EU-Staaten akzeptiert worden.

March: Vielen Dank, Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt, für das Gespräch.