Interview im Deutschlandradio, 6. Juli 2007

Erler gegen Rückzug aus Afghanistan

Interview im Deutschlandradio, 6. Juli 2007 • Staatsminister: Einsatz gefährlicher geworden • Moderation: Dirk-Oliver Heckmann •

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, sieht eine Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan. Insgesamt sei der Einsatz der internationalen Gemeinschaft gefährlicher und verlustreicher geworden, sagte Erler. Ein Abzug der Truppen aus Afghanistan wäre jedoch keine Alternative, sondern würde eine Rückkehr der Taliban und einen neuerlichen Bürgerkrieg bedeuten. In diesem Punkt sei man sich in der SPD einig, meinte Erler.

Heckmann: Es geht ein Riss derzeit durch die SPD. Dieser Riss heißt Afghanistan. Mitte Oktober laufen die drei Mandate aus, die der Bundeswehr durch den Bundestag erteilt worden sind, und innerhalb der SPD-Fraktion scheint das Lager größer zu werden, die zumindest aus der amerikanisch geführten Anti-Terror-Mission Enduring Freedom aussteigen wollen wegen der immer häufigeren zivilen Opfer. Außenminister Steinmeier und Fraktionschef Peter Struck sind allerdings vehement dagegen. Die gestern glücklich beendete Entführung eines Deutschen könnte die Debatte allerdings jetzt weiter anheizen, zumal aus deutschen Geheimdienstkreisen verlautet, dass sich die Anzeichen dafür mehren, dass das Chaos im Irak nach Afghanistan übergreift und sich die Entführungsfälle mehren könnten, nicht zuletzt wegen der deutschen Beteiligung an den internationalen Militäreinsätzen. Vor knapp einer Stunde habe ich den Staatssekretär im Auswärtigen Amt Gernot Erler (SPD) gefragt, ob er auch diese Gefahr sieht.

Erler: Wir haben seit längerer Zeit eine sehr ungleiche Sicherheitssituation in Afghanistan. Nach wie vor ist das Gefälle riesig von der Situation in den nördlichen und westlichen Teilen und damit auch in der Region, wo Deutschland Verantwortung übernommen hat, und den südlichen und östlichen Teilen, wo praktisch 85 Prozent aller Übergriffe und aller blutigen Auseinandersetzungen stattfinden.

Heckmann: Das heißt Sie würden sagen, dass sich die Sicherheitslage weiter verschlechtert hat oder nicht?

Erler: In den letzten zwei Jahren hat sich die Sicherheitslage insgesamt verschlechtert, aber eben mit diesen großen Unterschieden zwischen den einzelnen Gebieten.

Heckmann: Ist auch die Gefahr gewachsen, dass in Zukunft auch Soldaten möglicherweise Opfer von Entführungen werden könnten?

Erler: Wir hatten ja selber vor kurzem den tragischen Verlust von drei Soldaten, allerdings eben durch einen Anschlag. Insgesamt ist der Einsatz der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan gefährlicher und auch verlustreicher geworden.

Heckmann: Die Beteiligung an den internationalen Militäreinsätzen, also am ISAF-Einsatz oder an der Operation Enduring Freedom, der OEF, hat diese Beteiligung die Sicherheitslage für Deutsche in Afghanistan verschärft, verschlechtert?

Erler: Das ist genau das Thema, worüber wir diskutieren, und ich bin sehr stolz auf meine Partei, auf die SPD, dass sie gründlicher als andere und eigentlich als einzige ernsthaft inhaltlich über diese Frage der Zielführung der verschiedenen Mandatsteile diskutiert. Das ist notwendig!

Heckmann: Zumindest ist sie nicht einig im Vergleich zu den anderen Parteien?

Erler: Nein, sie diskutiert und das ist der entscheidende Unterschied.

Heckmann: Noch hat die SPD-Fraktion, der Sie selber angehören, nicht entschieden, aber das Lager der Skeptiker scheint zu wachsen, hat man den Eindruck. Können Sie das bestätigen?

Erler: Ich kann bestätigen, dass es auch in einem sehr wichtigen Punkt einen Konsens gibt. Sehen Sie die Parole "raus aus Afghanistan" heißt aus meiner Sicht rein in noch mehr Opfer. Das ist keine Alternative, sondern eigentlich die blutigste Variante. Das erste Opfer wäre dabei übrigens unsere Glaubwürdigkeit. Aber eine Rückkehr der Taliban würde sehr, sehr vielen Menschen das Leben kosten. Es wäre wahrscheinlich sogar eine Rückkehr zum Bürgerkrieg und die Weltgemeinschaft würde nicht zusehen, wenn El-Kaida wieder Operationsbasen in Afghanistan aufbaut. Das würde heißen Luftangriffe, um das zu verhindern. Deswegen bin ich sehr froh darüber, dass dies keine Alternative ist, im Gegensatz etwa zu den Linken, die diese Position überwiegend haben, in der SPD überhaupt nicht vertreten wird.

Heckmann: Sie sagten es, "raus aus Afghanistan" ist eine Position, die die Linkspartei vertritt. Aber der Streit, um den es sich innerhalb der SPD dreht, ist ja in erster Linie, ob die Beteiligung an der Operation Enduring Freedom fortgesetzt werden soll. SPD-Chef Kurt Beck und das ganze Präsidium hat sich darauf festgelegt, dass es jetzt keine Vorabfestlegungen geben soll, und der verteidigungspolitische Sprecher Ihrer Fraktion Rainer Arnold hat für den Ausstieg aus der Operation plädiert und zu einem Strategiewechsel geraten. Ich schlage mal vor wir hören kurz rein, was er gestern Früh im Deutschlandfunk gesagt hat.

O-Ton Arnold: Bei OEF gibt es in der Tat ganz erhebliche kritische Fragen, weil wir KSK-Soldaten dort mandatiert haben, die seit zwei Jahren überhaupt nicht mehr gebraucht werden, und vor allen Dingen weil OEF ein Mandat ist, das wenig transparent ist. Es wird ja amerikanisch geführt. 90 Prozent der Soldaten bei OEF sind auch Amerikaner und wir haben hier auch sehr wenig Einfluss. Deshalb glaube ich, dass man OEF sehr kritisch sehen muss, und mein Rat wäre, OEF nicht zu verlängern.

Heckmann: Also Herr Erler, der Rat Ihres Fraktionskollegen, OEF nicht zu verlängern. Ist das für Sie eine denkbare Option?

Erler: Ich stimme Rainer Arnold zu, dass wir tatsächlich da viele Fragen im Zusammenhang mit OEF zu beantworten haben. Bloß hierbei wird es darauf ankommen - und genau dieser Diskussion stellt sich jetzt die SPD -, was ist denn eigentlich wichtiger, dass wir Distanz wahren zu den schwierigeren und problematischen Teilen der Mission - und dazu gehört auf jeden Fall OEF -, oder dass wir Einfluss nehmen, dass alle Teile des internationalen Afghanistan-Einsatzes zum Erfolg kommen und nicht eben kontraproduktiv wirken, und diese Frage stellt sich bei dem OEF-Einsatz. In Wirklichkeit hat diese Diskussion ja international auch schon begonnen, übrigens seit dem letzten NATO-Gipfel im November 2006 in Riga, wo zum ersten Mal weltweit eben auf der Basis der NATO über dieses Thema diskutiert wurde. Nur ist eben bisher da noch nicht die Korrektur erfolgt, die eigentlich notwendig wäre.

Heckmann: Das heißt Sie plädieren für eine Verlängerung des OEF-Mandats, aber mit Einschränkungen, nur wenn es verändert wird?

Erler: Ich finde wir müssen uns der Frage stellen, ob es uns reicht, dass wir sagen, wir wollen da nicht Mitverantwortung haben, oder ob wir nicht derartig abhängig davon sind, dass die Gesamtmission zum Erfolg führt, dass die schwierigere Aufgabe eigentlich die prioritäre ist, und das heißt darauf einzuwirken, dass eben keine kontraproduktiven Einzelaktionen im Rahmen der OEF-Mission stattfinden, und das zur Priorität machen.

Heckmann: Und sind Sie da optimistisch, dass eben derartiger Einfluss ausgeübt werden kann auf die Strategie der Amerikaner? Bisher sieht das ja nicht so aus.

Erler: Es sieht durchaus so aus, dass die Wachsamkeit und Sensibilität in dieser Frage wächst, aber es kommt eben immer noch zu Einzelentscheidungen, die zu diesen schwer erträglichen Verlusten bei der Zivilbevölkerung führen, die ein ethisches Problem sind, aber die eben auch ein Problem sind für den Gesamterfolg der Mission. Ich finde unsere Priorität müsste sein, hier einfach einzuwirken darauf, dass das nicht vorkommt und dass auf diese Weise eben auch OEF das Ziel erreicht, was es erreichen muss. Das heißt, den Vormarsch der Taliban zur Eroberung des eigenen Landes und zur Rückkehr in den Bürgerkrieg zu verhindern.

Heckmann: Herr Erler, Bernhard Gertz, der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, hat der Bundesregierung, der Sie ja angehören, erbärmliches Versagen vorgeworfen. Die Reduzierung des deutschen Engagements auf Militäreinsätze löse das Terrorproblem in Afghanistan nicht und man brauche nicht mehr Soldaten, sondern mehr Polizisten, Verwaltungsfachleute und Juristen. Nehmen Sie diese Kritik ernst?

Erler: Ich gehe mal davon aus, dass auch Herr Gertz zur Kenntnis nehmen wird, dass das deutsche Engagement in Afghanistan ein sehr umfassendes ist, nicht nur dass wir insgesamt mit einer Obergrenze von 3.500 Soldaten vor allen Dingen bei der ISAF-Mission vertreten sind und auch mit der Tornado-Mission, sondern dass wir auch gerade jetzt unsere Bemühungen um den Polizeiaufbau, der schon von Anfang an der wesentliche Beitrag von Deutschland in Afghanistan gewesen ist, verstärken, indem wir jetzt die EUPOL-Afghanistan-Mission, also eine europäische, fortführen und dabei auch praktisch die Zahl der Polizisten und Ausbilder verdoppeln, die wir von Deutschland aus nach Afghanistan schicken, und dass dazu die umfangreichen zivilen Maßnahmen immerhin in einem Umfang von inzwischen jährlich über 800 Millionen Euro in Afghanistan machen. All das sollte eigentlich Herr Gertz wissen.

Heckmann: Aber es habe nie mehr als 40 Polizeiausbilder seit 2002 gegeben, sagt Gertz.

Erler: Wenn es heute in Kabul eine Polizeiakademie gibt, durch die schon mehr als 2.000 ausgebildete Polizisten gelaufen sind, die einen auch von unseren afghanischen Freunden anerkannten Dienst tun, und wenn es also noch zu wenig, aber immerhin eine wirksame Polizei gibt, die auch anerkannt wird von der Bevölkerung, und wenn es ein Land gibt, was auf die Karzai-Regierung immer wieder einwirkt, doch bei der Ernennung von den Polizeiführern und Gouverneuren eine sachliche und fachliche Auswahl zu treffen und keine, die irgendwelche Clan-Interessen berücksichtigt, dann ist das Deutschland gewesen und das weiß auch alles Herr Gertz.

Heckmann: Herr Erler, Peter Struck, der Vorsitzende der SPD-Fraktion, hat gesagt, dass die Bundeswehr noch mindestens zehn Jahre in Afghanistan sein werde. Ist das eine realistische Einschätzung?

Erler: Ich glaube das spiegelt die Erkenntnis wider, dass das hier nicht ein Einsatz ist, wo man sagen kann Okay, wir gucken was wir machen können und wenn wir den Eindruck haben, es läuft nicht so wie wir wollen, dann gehen wir eben raus. Das bringt zum Ausdruck, dass wir im Grunde genommen zu einem Erfolg dieser Mission keine Alternative haben. Ich sage noch mal: Das wäre dann der blutigste Ausgang dieses ganzen internationalen Engagements. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass wir zulassen, dass das, was wir dort gemacht haben, und auch die großen Hoffnungen, die da entstanden sind, einfach im Stich lassen in diesem Land, dass wir die Rückkehr der alten Verhältnisse, die über zwei Jahrzehnte Bürgerkrieg bedeutet haben, zulassen und dass wir auch noch unsere eigene Bevölkerung dabei gefährden, indem wir eben auch riskieren, dass El-Kaida - und die sind ja nachweislich in Afghanistan aktiv - dann wieder Operationsbasen und Ausbildungslager in Afghanistan aufbaut. Das ist keine Alternative und Peter Struck hat Recht: Diese Mission muss am Ende erfolgreich zu Ende geführt werden.