Erler: Es geht Europa nicht nur um Öl und Gas

Interview in der Basler Zeitung, 26. Mai 2007 • Interview: Stefan Boss mit Gernot Erler, Staatsminister im deutschen Aussenministerium, zur Annäherungspolitik der EU an Zentralasien •

Die zentralasiatischen Republiken von Usbekistan bis Turkmenistan werden alle mehr oder weniger diktatorisch regiert. Nun versucht die EU, mit diesen Staaten ins Gespräch zu kommen. Mit einigem Erfolg, versichert Staatsminister Erler.

Wie geht man um mit autoritären Staaten? Grenzt man sie aus oder versucht man sie einzubinden? Die baz hat bei Gernot Erler, der für die deutsche EU-Präsidentschaft eine umfassende Strategie für die zentralasiatischen Länder vorbereitet, nachgefragt. Das Konzept soll am EU-Gipfel im Juni beschlossen werden.

Stefan Boss: Herr Erler, Mitte Mai hat die EU die Sanktionen gegen Usbekistan gelockert. Die Zahl der Mitglieder der usbekischen Führung, die nicht in die EU reisen dürfen, wurde von zwölf auf acht verringert. Warum?

Gernot Erler: Die Sanktionen, welche die EU nach dem Gewaltausbruch von Andischan im Mai 2005 verhängt hatte, vermochten an der usbekischen Politik nichts zu ändern. (Bei der Niederschlagung von Protesten in Ostusbekistan waren damals hunderte von Menschen ums Leben gekommen). Seitdem die EU-Präsidentschaft aber im Rahmen ihrer «Zentralasien-Strategie» mit Usbekistan und den anderen Staaten der Region über eine enge Kooperation verhandelt, zeigt sich Taschkent zunehmend flexibler. Das zeigt sich am Beispiel der Menschenrechtlerin Umida Nijasowa, die am 1. Mai zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Nach mehreren Demarchen und Erklärungen Deutschlands als EU-Präsidentschaft änderte Usbekistan das Urteil auf drei Jahre Bewährungsstrafe mit sofortiger Haftentlassung. Auch stimmte Taschkent dem Beginn eines Menschenrechtsdialogs mit der EU zu. Ein erstes Treffen dazu fand am 7. und 8. Mai statt. Für die EU gilt es, dieses Momentum zu nutzen und mit der Lockerung der Sanktionen Usbekistan zu ermuntern, weitere Schritte in diese Richtung zu unternehmen.

Stefan Boss Es gibt aber auch Gegenbeispiele: Im Fall der prominenten Regimekritikerin Gulbachor Turajewa, einer Ärztin, hat die usbekische Justiz das Urteil auf knapp zwölf Jahre verdoppelt.

Gernot Erler: Ich kenne diesen Fall. Die Meldungen, dass dieses Urteil verschärft worden sei, haben sich nicht bestätigt. Allerdings ist es bisher noch nicht gelungen, eine Korrektur des ursprünglichen Urteils zu erreichen. Die EU-Präsidentschaft bemüht sich aber weiterhin darum.

Stefan Boss: Auf welcher Ebene findet der Menschenrechtsdialog konkret statt?

Gernot Erler: Wie schon zwei vorangegangene Zusammenkünfte auf der Ebene der Fachleute.

Stefan Boss: Am Mittwoch hat Amnesty International seinen neusten Jahresbericht veröffentlicht. Die Menschenrechtsorganisation wirft den usbekischen Behörden schwere Menschenrechtsverletzungen vor:Folter, unfaire Gerichtsverfahren, Beschneidung des Rechts auf freie Meinungsäusserung. Ist ein Dialog so überhaupt möglich?

Gernot Erler: Ich kann nur wiederholen:Die Sanktionen haben während eineinhalb Jahren überhaupt keine Änderung der usbekischen Politik bewirkt. Sie sollen ja nicht über Nacht verschwinden, sondern angepasst werden. Das Waffenembargo wird beibehalten. Die EU konnte erwirken, dass die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch ihre Arbeit in Usbekistan weiterführen kann - dies war lange Zeit nicht gesichert. Schliesslich konnten die usbekischen Behörden in eine Auseinandersetzung um die Ereignisse von Andischan einbezogen werden. Daran sieht man, dass es zur blossen Ausgrenzung Alternativen gibt, die durchaus etwas bewirken können. Wir machen uns aber keine Illusionen, dass die Veränderungen in Usbekistan nur langsam erfolgen.

Stefan Boss: Nochmals zurück zu den Sanktionen: Welche vier Mitglieder der usbekischen Führung dürfen nun konkret wieder in die EU reisen?

Gernot Erler: Es handelt sich um den ehemaligen Verteidigungsminister Kadir Gulamow, den ehemaligen Gebietsgouverneur von Andischan und zwei hohe Militärs. Die Europäische Union hat aber nicht ein anderes Verhalten dieser Vier konstatiert. Sie wollte vielmehr zeigen, dass eine bessere Kooperation Taschkents dazu führen kann, aus der Isolierung herauszukommen.

Stefan Boss: In Turkmenistan und Kasachstan gibt es reiche Öl- und Gasvorkommen. Versucht die EU, sich politisch an die zentralasiatischen Staaten anzunähern, um mit ihnen ins Geschäft zu kommen?

Gernot Erler: Unser Interesse richtet sich nicht nur auf die Öl- und Gasvorkommen. Da die EU die Anzahl ihrer Lieferanten aber vergrössern möchte und es nur eine sehr begrenzte Auswahl an Anbietern gibt, sind die Lieferländer der zentralasiatischen Region von grosser Bedeutung. Die Zentralasien-Strategie der EU ist aber viel umfassender angelegt. Sie definiert europäische Sicherheits- und Stabilitätsinteressen, wirtschaftliche Interessen und sie ist auf eine lang andauernde Partnerschaft mit dieser Region angelegt. Zentralasien ist sozusagen die Nachbarschaft der Nachbarschaft (Russland) der EU. Die Strategie enthält deshalb ausführliche Punkte zur Unterstützung der Demokratisierung, guter Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit und schliesst auch den erwähnten Menschenrechtsdialog mit ein. Die Strategie enthält auch das Angebot, Programme zum Wissenschaftsaustausch und zur Zusammenarbeit im Hochschulwesen zu gestalten. Dies zeigt, dass es Europa nicht nur um die Energielieferungen geht.

Stefan Boss: Zum Schluss noch eine Frage zu Russland: Zumindest Deutschland hat eine härtere Gangart eingeschlagen gegenüber Moskau als auch schon. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) äusserte am EU-Russland-Gipfel in Samara deutliche Kritik an der Einschränkung der Demonstrationsfreiheit in Russland. Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) hatte solche Töne stets vermieden. Was sagen Sie als SPD-Politiker zu dieser Kursänderung?

Gernot Erler: (seufzt) Das Interessante ist, dass auch die Bundeskanzlerin selbst eher die Pfade der Kontinuität in den Beziehungen zu Russland betont. Sicherlich gibt es in der konkreten Kommunikation Unterschiede - die wird es immer geben von Person zu Person. Man kann aber festhalten, dass Europa respektive Deutschland und Russland wechselseitig voneinander abhängig sind und dass wir keine Alternative zu einer gedeihlichen Zusammenarbeit haben («strategische Partnerschaft»). In diesen Punkten existiert eine regierungsübergreifende Kontinuität in der deutschen und auch in der europäischen Politik. Die Bundeskanzlerin hat betont, dass dieser konstruktive Teil in Samara - trotz der Wortgefechte auf der Pressekonferenz mit Präsident Putin - auch im Programm vorhanden war.

Am Donnerstag, 7. Juni, hält Gernot Erler einen Vortrag an der Universität Basel. Auf Einladung des Freundes- und Förderkreises Osteuropa spricht er über «Zentralasiens Weg in die Moderne - Zwischen ‹Great Game 2› und der Partnerschaft mit der EU». 19 Uhr, Kollegiengebäude am Petersplatz 1, Hörsaal 115.

Osteuropaexperte. Gernot Erler (62) bekleidet den Rang eines Staatsministers im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland. Er ist damit einer der beiden Stellvertreter von Aussenminister Frank-Walter Steinmeier. Seit 1987 ist der ausgebildete Osteuropahistoriker auch SPD-Abgeordneter des Deutschen Bundestags. Sein Mandat errungen hat er im Wahlkreis Freiburg.