Erler warnt vor einem Zerfall des Iraks

Interview im RBB Inforadio, 20. März 2007 • "Der Kampf ist schwierig, aber er kann gewonnen werden", sagte US-Präsident George Bush gestern zum Irakkrieg, dessen Beginn sich zum vierten Mal jährt. Doch viele Iraker fühlen sich als Verlierer, denn ihr Land ist nach der Befreiung von Saddam nicht aufgeblüht, sondern in Gewalt versunken.

Hunderttausende haben in den letzten Jahren mutmaßlich ihr Leben gelassen; genau weiß das keiner. Täglich sterben etwa 100 Unschuldige bei Attentaten und Überfällen, die niemand verhindern kann - auch nicht die amerikanischen Soldaten.

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, SPD, hat aus Anlass des vierten Jahrestags des Beginns des Irak-Kriegs vor einem Zerfall des Landes gewarnt.

Die Nachbarländer Syrien und der Iran sowie andere Staaten müssten in eine Friedenslösung einbezogen werden, forderte er am Dienstag im Inforadio: "Wir haben im Augenblick eine Art Bürgerkrieg, der längst die Existenz des Staates Irak bedroht und der jederzeit eine ganze Region in Flammen setzen kann. Deshalb bemüht sich auch Deutschland zusammen mit den anderen Staaten, obwohl es zum Glück nicht an dem Irak-Krieg teilgenommen hat, beizutragen zu der Stabilisierung der Situation."

Der Staatsminister bezeichnete es als reale Gefahr, dass der Irak am Ende eines Bürgerkriegs in einen sunnitischen, einen schiitischen und einen kurdischen Teil zerfallen könnte. Erler betonte: "Das müssen wir auf jeden Fall versuchen zu verhindern." Er begrüßte es, dass US-Präsident Bush inzwischen bereit sei, Länder wie Syrien und den Iran bei einer Regionalkonferenz in die Suche nach einer Friedenslösung einzubeziehen.

Dietmar Ringel sprach mit Gernot Erler:

Das Interview im Wortlaut:

Ringel: Gibt es irgendetwas Positives, was Sie dem Irak-Krieg abgewinnen können?

Erler: Es gibt immer noch die Hoffnung, dass es gelingt, trotz dieser niederschmetternden Bilanz, die Sie selber hier angeführt haben, zu einem einigen, demokratischen und sicheren Irak zu kommen. Auch deshalb, weil wir das für die Region brauchen. Wir haben praktisch eine Art Quasi-Bürgerkrieg, der längst die Existenz des Staates Irak bedroht, und der jederzeit eine ganze Region in Flammen setzen kann. Deshalb bemüht sich auch Deutschland zusammen mit den anderen Staaten - obwohl es zum Glück nicht an dem Irak-Krieg teilgenommen hat, zur Stabilisierung der Situation beizutragen.

Ringel: Aber was ist der Weg dahin? US-Präsident Bush bleibt dabei, er sagt der Krieg kann gewonnen werden, schickt immer mehr Soldaten in den Irak. Welche Folgen wird das haben?

Erler: Natürlich ist das ein Aufbäumen gegen eine drohende Katastrophe auch für die amerikanische Politik im Irak. Wir wünschen uns, dass dieses neue Sicherheitskonzept, was gemeinsam mit der irakischen Regierung vorangetrieben wird, Erfolg hat. Ich sagte ja, wir tragen auch dazu bei mit humanitärer Hilfe, mit Ausbildungsmaßnahmen, mit einem sehr umfangreichen Schuldenerlass. Aber irgendeine Sicherheit darüber kann es im Moment leider nicht geben.

Ringel: Heißt das, Sie unterstützen den konkreten Plan der Amerikaner, der jetzt umgesetzt wird? Mehr Soldaten da hinzuschicken, ist das der richtige Weg?

Erler: Wir unterstützen die internationalen Bemühungen zur Stabilisierung im Irak, durch unsere eigenen Beiträge zusammen mit sehr vielen anderen Ländern, die Ähnliches versuchen. Das Nein zum Irak-Krieg befreit uns nicht von einer Mitverantwortung jetzt für die politischen Folgen in der ganzen Region.

Ringel: Teilen Sie auch die Ansicht, dass ein schneller Rückzug der Amerikaner eher negative Folgen für den Irak hätte?

Erler: Wir beobachten diese Diskussion sehr genau, die innerhalb der amerikanischen Politik dazu geführt wird; die in Wirklichkeit schon stark mit dem begonnenen Wahlkamp zu tun hat. Wir versuchen aber, uns in diese inneramerikanische Diskussion nicht einzumischen.

Ringel: Haben Sie keine Position dazu? Es muss ja keine Einmischung in die inneramerikanische Diskussion sein. Aber die Frage muss erlaubt sein, wofür steht Deutschland, die Bundesregierung?

Erler: Deutschland steht für eine Einbeziehung der ganzen Region, der breiteren Region um den Irak herum, der Nachbarn, in einem Versuch über eine Konferenz auch hier Sicherheit zu schaffen, dass auch die Nachbarländer zu einer Stabilisierung des Irak beitragen. Das Interessante ist, dass nach langem Zögern, nach einer innenpolitischen Auseinandersetzung, wo eine so genannte Irak-Study-Group auch einen ähnlichen Vorschlag gemacht hat, jetzt die amerikanische Regierung mit George Bush an der Spitze auf diesen Kurs eingeschwenkt ist. Es hat eine Vorkonferenz am 10. März gegeben. Wir sehen jetzt einem solchen Zusammenkommen von den Nachbarländern, einschließlich Syrien und Iran, entgegen, und setzen auch Hoffnung darauf, dass das ein vernünftiger Ansatz ist.

Ringel: Herr Erler, viele Beobachter sagen, wie es auch immer kommt, die Zukunft des Iraks wird sein Zerfall sein - in einen schiitischen, einen sunnitischen, einen kurdischen Teil, oder in eigene Staaten. Schon jetzt leben diese Volksgruppen weitgehend getrennt voneinander. Wird es tatsächlich darauf hinauslaufen?

Erler: Das müssen wir auf jeden Fall versuchen, zu verhindern. Diese Gefahr - ich hatte das eben schon gesagt - dass am Ende dieses Quasi-Bürgerkrieges ein Zerfall des Iraks steht, ist durchaus real. Deswegen muss man alles tun, um das zu verhindern. Auch dazu kann diese Regionalkonferenz durchaus beitragen. Dazu braucht man die konstruktive Hilfe zum Beispiel von solchen Nachbarstaaten wie Iran und Syrien, aber auch anderen. Deswegen gibt es nur einen Weg, nämlich zu versuchen, den Irak zu erhalten und ihn zu stabilisieren.