Erler: Atomare Aufrüstung gefährdet weltweite Sicherheit

Staatsminister sieht Nichtverbreitung von Atomwaffen infrage gestellt • Interview im Deutschlandradio am 15.03.2007 • Gernot Erler hat sich besorgt über atomare Aufrüstung in den USA, Frankreich und Großbritannien geäußert. Unter diesen Umständen sei es schwierig, die Weiterverbreitung atomarer Waffen in andere Staaten zu verhindern, sagte der Staatsminister im Auswärtigen Amt.

Elke Durak: Henry Obering heißt der US-Luftwaffengeneral, der heute in Berlin zu Gesprächen erwartet wird. Er ist also Chef der amerikanischen Raketenabwehr. Der Besucher aus den USA will unter anderem im Verteidigungsministerium und im Auswärtigen Amt Sinn, Zweck und Stand des geplanten Raketenabwehrsystems erklären und wohl vor allem auch, was es nicht sein soll, eine Bedrohung für Russland. Washington sucht jetzt die Unterstützung auch im alten Europa.

Moskau indes hat verstanden und Gegenmaßnahmen angekündigt für den Fall der Fälle, würde seinerseits sein Raketenabwehrsystem modernisieren und sozusagen in Stellung bringen. Der Plan der USA ist in Europa sowohl umstritten als auch angenommen, angenommen von Tschechien und Polen zum Beispiel, sie wollen stationieren lassen.

Gernot Erler,(SPD), ist Staatsminister im Auswärtigen Amt, nun am Telefon, wie angekündigt. Guten Morgen Herr Erler!

Gernot Erler: Guten Morgen Frau Durak!

Durak: Ist das Raketenabwehrsystem der USA ein europäisches Problem oder eines nur für die NATO?

Erler: Es ist ein nationales amerikanisches Programm, was aber zu einem Thema der globalen Sicherheitspolitik geworden ist, und deswegen kann man zunächst einmal begrüßen, dass General Obering nach Deutschland kommt und auch nach Frankreich geht und noch einmal erklärt, was eigentlich die Philosophie, was eigentlich die Technik von diesem nationalen amerikanischen Programm ist, das auf den Schutz des amerikanischen Territoriums zielt.

Durak: Kann ein nationales Programm dieser Dimension außerhalb der Grenzen der USA ein nationales amerikanisches Problem sein, oder ist es nicht eher eines der europäischen Länder?

Erler: Das ist das, was ich meinte, als ich gesagt habe, das wird ein globales Thema, weil wir ja nun spätestens seit der Münchner Sicherheitskonferenz mit der Rede von Wladimir Putin wissen, dass dieses Folgen haben wird und dass dieses eben auch nicht von allen Partnern und anderen Ländern akzeptiert wird und dass dadurch es Probleme schafft, die natürlich dann auch im NATO-Rahmen beraten werden müssen. Das Gute daran ist, dass Amerika sich dieser Diskussion stellt, dass es auch bereit ist, Informationen zu geben und hier transparent zu sein. Das ist zumindest eine gute Voraussetzung, dass man eine ernsthafte Diskussion führen kann.

Durak: Wird die Europäische Union geteilt durch dieses Programm?

Erler: Zunächst einmal ist eine Tatsache, dass Amerika bei der Umsetzung dieses Programms jetzt bilateral vorgeht, also nicht die Diskussion in erster Linie bisher mit der NATO gesucht hat, sondern eben gesagt hat, wir probieren es mal und haben zunächst einmal positive Antworten in Polen und Tschechien bekommen. Es ist bekannt, dass sie auch noch einen anderen Partner suchen, etwa im Kaukasus. Das ist also die Vorgehensweise bei diesem nationalen Programm.

Und die Europäer müssen sich natürlich die Frage stellen, in welchem Gesamtkontext das alles steht. Ich persönlich mache mir große Sorgen eigentlich um die Chancen von weiterer Nichtverbreitungspolitik, denn wir haben jetzt eine Fülle von Entscheidungen hintereinander gehabt. Die Amerikaner haben entschieden, ihr Atomprogramm zu modernisieren, die Franzosen haben das Gleiche vor, die Briten haben es gerade eben beschlossen. Das heißt, drei der wichtigsten Atomstaaten machen Aufrüstung, und natürlich ist die Investition, die gigantische Investition in ein Defensivsystem wie die Raketenabwehr auch Aufrüstung. Das wird immer schwieriger dann zu argumentieren, dass wir andere Länder haben wollen, die gar nicht in die Schutzqualität von diesem Programm reinkommen und von der profitieren, auf die Entwicklung von Atomwaffen verzichten sollen.

Oder ein anderes Thema: Schauen Sie sich mal an unsere Probleme in Afghanistan. Die bisherigen amerikanischen Investitionen in das Raketenabwehrprogramm sollen ungefähr 90 Milliarden Dollar Volumen haben. Das, was die ganze Weltgemeinschaft bisher für den Aufbau von Afghanistan zwischen 2002 und 2010 zur Verfügung stellt, sind 20 Milliarden Dollar. Das steht in einem so krassen Missverhältnis, dass man sich nicht wundern muss, dass eben dieses Raketenprogramm dann auch zu einem internationalen Thema wird.

Durak: Nun handelt es sich um amerikanisches Geld, und die USA sind souverän, was die Verfügbarkeit ihrer Finanzen betrifft.

Erler: Natürlich, das ist gar keine Frage. Nur ist doch klar, dass so was auch trotzdem verglichen werden muss. Und selbstverständlich ist auch das, was die Europäer überlegen und was die NATO überlegt, sehr kostenträchtig. Wir sind ja in der NATO noch nicht über Studien über ein völlig anderes System hinausgekommen, was seit 2002 läuft. Und innerhalb der NATO überlegt man ja, ein System unter Umständen zu bauen, das ein anderes Ziel hat, nämlich nicht eine flächendeckende Sicherheit, sondern das nennt sich dann Theater Missile Defense, und damit ist gemeint, dass Soldaten im Einsatz geschützt werden sollen. Die NATO denkt natürlich an die vielen Mitgliedstaaten, die Soldaten im Auslandseinsatz haben, die immer häufiger auch von Raketenwaffen gefährdet werden, und die überlegt hat, ob es eine Raketenabwehr gibt, um diese Soldaten im Einsatz zu schützen. Aber auch das sind natürlich, wenn man es umsetzt, Milliardenprogramme.

Durak: Herr Erler, waren wir nicht längst über das Stadium gegenseitiger Hoch- und Aufrüstung hinweg? Wieso fehlt es an der vernünftigen politischen Begleitung solcher Prozesse?

Erler: Ja, ich meine, das ist das, was mir persönlich Sorgen macht. Wir setzen eigentlich in Europa, auch gerade jetzt in unserer EU-Präsidentschaft auf kooperative Sicherheit weltweit, gestützt auf Verträge, gestützt auf Verhandlungen, gestützt auf wechselseitige Vorteile, wenn man auf Waffenprogramme verzichtet, sind aber gleichzeitig eben konfrontiert von dieser schon fast provokativen Aufrüstung der offiziellen Atommächte. Und das passt nicht zusammen. Das muss diskutiert werden, denn eigentlich ist das, was uns alle vereint, ja das Interesse an der Nonproliferation, an der Nichtverbreitung. Aber wie ich schon gesagt habe, ich kann mir nicht vorstellen, dass das auf die Dauer funktioniert, dass zum Beispiel die NATO wohlmöglich zusammen mit den Amerikanern sagt, wir machen uns unangreifbar von Raketen von außen, aber dieser Schutz gilt natürlich nur für ein bestimmtes Territorium, für eine bestimmte Gruppe von Ländern. Dieser Schutz wird anderen und kann auch technisch anderen gar nicht gewährt werden. Aber von denen verlangen wir, dass sie auf jeden Versuch, sich selbst etwa in den Kreis dieser Atommächte zu bringen, verzichten. Das wird sehr schwierig, und das ist auch höchstproblematisch, weil ich denke, dass wir eine globale Sicherheit brauchen, die eben nicht den größten Teil der Mittel der Staatengemeinschaft in Rüstungsprogramme steckt.

Durak: Die Bundeskanzlerin reist morgen nach Warschau, will auch am Samstag Gespräche dort führen, auch zum Raketenabwehrsystem. Was kann sie erreichen?

Erler: Ich glaube, sie wird dafür werben, eben zu sagen und auch zu argumentieren, was ja richtig ist, dass es nicht sein kann, dass hier nur auf dieser bilateralen Ebene europäische Staaten bestimmte Entscheidungen, die so weit reichende Folgen haben werden, treffen, und dass das Bündnis der richtige Ort ist, um die politischen Implikationen von diesen Programmen zu diskutieren. Und ich hoffe sehr, dass sie dabei Erfolg hat.

Durak: Welches Bündnis meinen Sie, die NATO oder die EU?

Erler: Die NATO natürlich, ja.

Durak: Das heißt, die EU ist hier nicht gefragt?

Erler: Die EU ist natürlich als Gesprächspartner und als Ort der Diskussion genauso gefragt, aber da ja die NATO selber auch über eine bestimmte, ich habe es beschrieben, Programmatik hier im Bereich Raketenabwehr diskutiert und da ja Polen und Tschechien Mitglieder dieses Bündnisses sind, ist das zunächst einmal der Ort, wo diese Diskussion zu führen ist. Wenn es natürlich so aussieht, dass Amerika bilateral sich verschiedene Partner für das nationale Programm heraussucht, dann muss man sich fragen, was das eigentlich für die Planungen innerhalb der NATO bedeutet und ob es überhaupt irgendeine innere oder formale Verbindung von diesem Programm unter diesen Umständen geben kann. Insofern muss das erste Ziel erstmal sein, diese Diskussion in die NATO auch hineinzubringen. Und dieses Ziel verfolgt die Bundeskanzlerin ausdrücklich.

Durak: Gernot Erler (SPD) war das, Staatsminister im Auswärtigen Amt. Herr Erler, danke Ihnen für das Gespräch.

Erler: Danke Ihnen.