Es bleibt beim Nein der Bundesregierung zum Irak-Krieg. Interview bei NDR Info, 18. Februar 2003

Es bleibt beim Nein der Bundesregierung zum Irak-Krieg

Nachdem schon viel Porzellan zerbrochen ist, haben sich die EU Staats- und Regierungschefs nun also doch auf einen gemeinsamen Kurs in der Irak-Krise verständigt. Es soll eine Lösung mit friedlichen Mitteln geben und der irakische Diktator Saddam Hussein bekommt eine letzte Gelegenheit für einen friedlichen Ausweg, so das Ergebnis des Gipfels von Brüssel gestern Abend. In einer gemeinsamen Erklärung schlossen die EU Staats- und Regierungschefs aber auch Gewalt als letztes Mittel nicht aus. Fragen an Gernot Erler, den stellvertretenden Vorsitzenden der SPD Bundestagsfraktion und zuständig für Außen- und Sicherheitspolitik.

NDR Info: Herr Erler, wie bewerten Sie die Einigung von Brüssel?

Erler: Ich denke das ist, nach allem was vorangegangen ist, ein großer Schritt vorwärts und ein guter Erfolg, dass hier jetzt eine gemeinsame Position wieder da ist und Europa mit einer Stimme spricht - und das in die gleiche Richtung wie die Mehrheit im Sicherheitsrat, wo ja auch die Tendenz ist und die Entschlossenheit, den Inspektoren noch mehr Zeit zu geben und damit eine Entwaffnung des Iraks ohne Krieg anzustreben.

NDR Info: Aber zumindest wird ja die Gewalt nicht mehr ausgeschlossen. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat gestern Abend gesagt, Deutschland habe Zugeständnisse machen müssen. Das klingt sehr vornehm, oder es ist zumindest sehr vornehm ausgedrückt. Inwieweit ist der Kanzler mit Zustimmung zum EU-Kompromiss denn von seiner ablehnenden Haltung gegenüber einem Irak-Krieg abgerückt?

Erler: Er hat genau dies klar gemacht, dass die deutsche Haltung sich hier nicht geändert hat. Übrigens gab es eine ähnliche Formulierung schon vor einer Woche, in der deutsch-französisch-russischen Erklärung, wo es auch heißt, dass als letztes Mittel Gewaltanwendung möglich ist, aber eben nur als letztes Mittel. Und das ist ja die Auseinandersetzung mit den Versuchen, jetzt das Inspektoren-Regime durch eine militärische Intervention zu ersetzen, und reflektiert eigentlich nur das Völkerrecht, was genau diese Begrenzung für die Gewaltanwendung ja auch vorsieht. Das ändert aber nichts an der deutschen Position, die seit vielen Monaten immer wieder klar macht, dass Deutschland sich an einem Irak-Krieg wegen dessen Gefährlichkeit für die Region auch für den Kampf gegen den Terrorismus, nicht beteiligen wird.

NDR Info: Aber vielleicht können Sie das einmal präzisieren. Wann ist denn aus Sicht der SPD-Fraktion der Zeitpunkt erreicht, dass Gewalt als letztes Mittel angewendet werden muss?

Erler: Diese Erklärung sagt ja gar keine Entscheidungen voraus, ob es überhaupt zu einer solchen Entscheidung kommen wird oder unter welchen Umständen. Es stellt nur einfach fest, dass Gewalt nur als letztes Mittel eingesetzt werden darf. Das ist auch im Völkerrecht so.

NDR Info: Aber darüber muss man sich ja Gedanken machen, wann dieser Zeitpunkt erreicht ist, Herr Erler.

Erler: Das es nur eingesetzt werden darf heißt ja nicht, dass man zustimmt, dass es eingesetzt wird. Und hier ist die deutsche Haltung bekannt, die sich auch nicht ändert, dass wir uns an einem solchen Krieg nicht beteiligen werden.

NDR Info: Das heißt also, wenn es dann Spitz auf Knopf steht, sprich: bekannt wird, dass der Irak doch Massenvernichtungswaffen hat und die Inspekteure nicht die Erlaubnis erhalten diese zu vernichten, dass dann Deutschland trotzdem nicht einem Militärschlag zustimmen würde?

Erler: Nach dem Völkerrecht ist das so, dass nicht irgendjemand feststellen darf, dass da irgendwelche Bedingungen nicht erfüllt sind; sondern danach sind allein die Vereinten Nationen in dem Recht festzustellen, dass jetzt Gewalt angewendet werden darf. Nur die Vereinten Nationen dürfen das legitimieren. Und da muss man im Augenblick feststellen, dass es dort deutlich keine Mehrheit für einen solchen Beschluss gibt.

NDR Info: Gut, das gilt jetzt für den Augenblick, aber spekulieren wir doch einmal ein bisschen. Man muss sich ja in der Politik auch darauf vorbereiten, was vielleicht in ein paar Wochen, in ein paar Monaten geschieht, wenn also die Inspektoren irgendetwas im Irak finden. Wenn es dann wieder eine Sitzung des Sicherheitsrats in New York gibt, wie wird sich dann Deutschland, das zur Zeit dort Mitglied ist, verhalten? Bleibt es bei dem Nein, egal was die Inspektoren im Irak herausfinden?

Erler: Also, ohne jede Einschränkung sage ich: Es bleibt dem Nein. Das hat der Bundeskanzler auch immer wieder deutlich gemacht. Und er hat gestern auch bei all seiner Freude über die gemeinsame Position noch einmal deutlich gemacht, dass sich an unserer Haltung, an der Haltung der Bundesregierung, nichts geändert hat und sich auch nichts ändern wird.

NDR Info: Wie viel Zeit sollte denn jetzt noch den Inspektoren im Irak eingeräumt werden?

Erler: Die europäischen Staatschefs haben ausdrücklich dazu keine Aussage gemacht, obwohl sie das überlegt haben. Denn das gehört nun eindeutig in die Autorität der Vereinten Nationen. Darüber kann nur der Sicherheitsrat eine Entscheidung fällen. Deswegen haben die Europäer noch nicht einmal einen Ratschlag in dieser Frage gegeben.

NDR Info: Aber nun sind ja die Europäer Mitglied im Sicherheitsrat, müssen dort also mit abstimmen, müssen Vorschläge einbringen. Dann scheint das doch so ein windelweicher Kompromiss von gestern zu sein, der sowieso das Gewicht gegenüber den USA gar nicht vergrößern kann.

Erler: Ich glaube, dass die Vereinigten Staaten diese wiedergewonnene Einigkeit der Europäer schon akzeptieren werden, beziehungsweise auf jeden Fall sie zur Kenntnis nehmen werden. Denn natürlich werden wir den Weg fortgehen, den Blix und El Baradei im Sicherheitsrat vorgegeben haben. Und der sagt eben, die Mittel in den nächsten Tagen werden sich noch verstärken. Es werden jetzt Aufklärungsflugzeuge eingesetzt. Der erste Flug von dem US-Flugzeug U2 hat stattgefunden. In dieser Woche soll auch noch die Mirage 4 eingesetzt werden. Die Russen haben ein nachttaugliches Flugzeug zur Verfügung gestellt. Die deutsche Drohne Luna soll eingesetzt werden. Das heißt, die Inspektoren werden ihre Arbeit verstärken und werden dann dem Sicherheitsrat wieder berichten. Und dann wird der Sicherheitsrat zu entscheiden haben, ob die Fortschritte rechtfertigen, dass diese Inspektionen weiter gehen. Insofern ist es einfach jetzt nicht der Punkt, irgendwelche Zeitpunkte in die Welt zu setzen.