Presseerklärung vom 23. Mai 2003

SPD-Fraktion begrüßt Berliner Rede des Bundespräsidenten zur deutschen Außenpolitik

Zu der 4. "Berliner Rede" von Bundespräsident Johannes Rau zum Thema "Gemeinsam handeln - Deutschlands Verantwortung in der Welt" erklärt der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler:

Der Bundespräsident stellt sich dem delikaten Thema von Deutschlands internationaler Verantwortung mit Fingerspitzengefühl und wird doch in seinen Botschaften deutlich. Ohne Umschweife greift er die gegenwärtigen Spannungen im Verhältnis zwischen Amerika und Europa auf, plädiert für Offenheit in der Auseinandersetzung, ohne die "vielen Felder der Gemeinsamkeit" aus den Augen zu verlieren, kritisiert aber auch Wortwahl und Tonlage manch öffentlicher Äußerungen. Seine positive Aufnahme der gemeinsamen Erklärung von 18 führenden US-Außenpolitikern zur "Erneuerung der Transatlantischen Partnerschaft" vom 14. Mai ist zugleich eine Mahnung, den Dialog auf diesem anspruchsvollen und verantwortungsbewussten Niveau zu führen.

Das Wort "Weltordnung" kommt in Johannes Raus Rede kaum direkt vor, zieht sich aber als Fragestellung durch alle 13 Kapitel. Entschieden verneint der Bundespräsident, dass die zentralen internationalen Aufgaben, von der Bevölkerungsentwicklung über die Umweltkatastrophen bis hin zum Terrorismus, sich mit militärischen Mitteln lösen lassen. Die Sorge nach dem Irak-Krieg wird offen ausgesprochen: Kriege könnten wieder "führbar" und das Kriegführen über Gewöhnungsprozesse zu einem "Instrument unter vielen" werden. Dem setzt Rau die Forderung nach präventiver Politik und nach einem "Mut zur Zivilität" entgegen.

Ergänzt wird dies mit Bekenntnissen zur Verrechtlichung der internationalen Politik, mit dem Vertrauen auf eine multilaterale Politik internationaler Verträge und auf die Kraft einer sich erneuernden UNO. Diese Prinzipien kann nur eine durch Einigkeit handlungsfähige Europäische Union voranbringen, deren Fähigkeiten der Bundespräsident aber trotz der Spaltung im Irak-Krieg nicht so pessimistisch sieht. Vielmehr folgt er tendenziell Dominique Strauss-Kahn, der in den großen europäischen Friedensdemonstrationen vom 15. Februar dieses Jahres sogar die "Geburt der europäischen Nation" entdeckte - als Einigkeit der Völker im Gegensatz zu untereinander zerstrittenen Regierungen.

Dem Pazifismus erteilt der Bundespräsident eine Absage. Es war offensichtlich das Erfahren und Erleiden des Kosovo-Krieges, das Johannes Rau die Überzeugung mitgegeben hat, man könne auf eine militärische Eingreiffähigkeit im strengen Rahmen einer Ultima-ratio-Entscheidung nicht verzichten. Wer Verantwortung in der Welt teilen will, muss in der Konsequenz solche Fähigkeiten vorhalten. Am Vorabend von Entscheidungen zu neuen verteidigungspolitischen Richtlinien fordert der Bundespräsident in diesem Kontext eine breite gesellschaftliche Debatte über die "veränderte Rolle der Bundeswehr". Aus seinen Worten spricht die Sorge, dass die bisherigen Veränderungsprozesse zu wenig öffentlich kommuniziert wurden, und die Mahnung, einen breiten Konsens über die Zukunft der Bundeswehr anzustreben.

Mit seiner 4. Berliner Rede hat der Bundespräsident die Umrisse einer aus Grundüberzeugung heraus entwickelten deutschen Außenpolitik als Antwort auf globale Herausforderungen gezeichnet, ohne dabei die Postulate einer europäischen und weltweiten Handlungsfähigkeit aus den Augen zu verlieren. Er hat damit einen konsensfähigen Rahmen für eine aktuelle Diskussion gesetzt, der letztere auch vor einem allzu tiefen Absinken in den alltäglichen Parteienstreit zu schützen vermag.