Die Vermögensteuer hat keine Chance - SPD-Fraktionsvize Gernot Erler über die Agenda 2010. ZDF online, 26. Mai 2003

Die Vermögensteuer hat keine Chance - SPD-Fraktionsvize Gernot Erler über die Agenda 2010

Die private Vorsorge beim Krankengeld nennt SPD-Fraktionsvize Gernot Erler den umstrittensten Punkt in der Agenda 2010. Die Arbeitgeber könnten darauf drängen, die Kosten zu Lasten der Arbeitnehmer immer weiter zu verschieben, sagte er im ZDFonline-Interview am 25. Mai 2003 . Dennoch hält der Sprecher der Parlamentarischen Linken das Paket in seiner jetzigen Form für "mehrheitsfähig". Die Vermögenssteuer, eine häufig vorgebrachte Forderung der Linken, sei ohnehin nicht durchsetzungsfähig.

ZDFonline: Wenn Sie sich entscheiden müssten, welchen sozialdemokratischen Wert halten Sie für den wichtigsten?

Gernot Erler: Den der Gerechtigkeit.

ZDFonline: Finden Sie, dass die Agenda 2010 diesen Wert ausreichend widerspiegelt?

Erler: Gerechtigkeit muss heute neu definiert werden - wie wahrscheinlich auch die anderen Grundwerte, die wir vertreten -, weil sie historisch entstanden sind und unter veränderten gesellschaftlichen, aber auch globalen Bedingungen nicht unverändert beibehalten werden können.

ZDFonline: Nehmen wir das Stichwort Gerechtigkeit: Die Parlamentarische Linke hat eine stärkere Belastung der reichen Bürger gefordert. Das soll nun in Teilen erst auf dem Parteitag im November ein Thema sein. Bis dahin soll aber die Agenda 2010 nach Möglichkeit schon Gesetz sein. Reicht Ihnen das?

Erler: Das Problem ist, dass die Agenda 2010 nicht verschoben werden kann, wir aber bei dem Thema "gerechtere Verteilung auf schwache und starke Schultern" Kreativität brauchen. Einige der Instrumente sind nicht überzeugend geformt, andere haben in der momentanen Konstellation keine Durchsetzungschance. Und das muss man ja auch berücksichtigen, wenn man nicht fiktive Lösungen anbieten will.

ZDFonline: Aus realistischen Gründen sagen Sie also: Jetzt geht nicht mehr, deshalb machen wir es so.

Erler: Ein Beispiel: Sehr häufig wird die Vermögensteuer ins Spiel gebracht: eine Steuer, die erst mal in die Kassen der Länder fließt, deswegen nicht beliebig für Finanzierung von Bundesaufgaben herangezogen werden kann; zweitens eine Steuer, die je nachdem, ob man Betriebe mit einbezieht oder nur private Vermögen, vom Volumen her unbedeutend werden kann; und drittens, das ist vielleicht der entscheidende Punkt, überhaupt keine Chance hat, gegen die Mehrheit im Bundesrat durchgesetzt zu werden.

ZDFonline: Kommen wir zu einem anderen Feld: Nach der Veröffentlichung der Agenda haben Sie gesagt, dass die private Vorsorge beim Krankengeld der Anfang vom Ausstieg aus dem paritätischen System sein könnte. Ist das nun der Weg der SPD?

Erler: Hier gehen wir in der Tat an die Systematik der bisherigen sozialen Versicherungssysteme heran, die wir ja im Prinzip erhalten und zukunftssicher machen wollen. Die Begründung, die jetzt vorgetragen wird, sagt, wir müssen aus den Leistungen der Krankenversicherung alles herausnehmen, was keinen unmittelbaren medizinischen Charakter hat. Auf der anderen Seite wird das jetzt umgesetzt in Form einer Verschiebung der Parität. Und das ist gefährlich, weil ich schon ahne, dass die Arbeitgeber in Zukunft Druck machen werden, die einmal begonnene Verschiebung der Parität einfach fortzusetzen, um den Arbeitgeberanteil bei der Krankenversicherung weiter zu verringern. Diese Gefahr wird bei den Debatten, auch auf dem Sonderparteitag, meines Erachtens eine wichtige Rolle spielen.

ZDFonline: Wird es auf dem Sonderparteitag noch Änderungen an der Agenda 2010 geben?

Erler: Wir hatten jetzt einen sehr soliden Beratungsprozess, wir haben fünf Arbeitsaufträge gehabt, deren Ergebnisse in den Antrag des Parteivorstands bereits eingearbeitet worden sind. Und in dem üblichen Verfahren wird es Verhandlungen über Einzelvorschläge geben, die theoretisch bis zur letzten Minute noch eingebaut werden können. Entscheidend aber ist, glaube ich, dass bei diesem Prozess die Fundamente der Agenda 2010 Bestand hatten, präzisiert und zum Teil auch abgefedert, was solidarische Absicherung angeht. Im Prinzip wurden sie aber nicht in Frage gestellt.

ZDFonline: Die Agenda soll ja schließlich in Einzelgesetzen in den Bundestag. Dort hat Rot-Grün eine Mehrheit von vier Stimmen. Könnten Sie sich Punkte vorstellen, wo diese Mehrheit gefährdet sein könnte?

Erler: Wir müssen in der Tat zwischen zwei Entscheidungsstufen unterscheiden. Ich rechne damit, dass es auf dem Sonderparteitag am 1. Juni in Berlin eine mehr als 80-prozentige Zustimmung zur Agenda 2010 in der jetzt vorgelegten Fassung geben wird. Aber in der zweiten Stufe geht es noch um viele Einzelheiten eines gesetzgeberischen Verfahrens, bei dem natürlich auch die Vorschläge der Opposition berücksichtigt werden müssen, wenn man die Agenda dann auch über die Bundesratsmehrheit in Kraft setzen will. Insofern wissen wir noch nicht, in welcher Form die Gesetzesvorhaben dann zur Debatte stehen. Ich bin aber sicher, dass es noch eine Menge Überzeugungsarbeit im Detail in der Fraktion geben muss. Ich glaube aber, dass das Verantwortungsbewusstsein bei allen Beteiligten reicht, um diese schwierige Aufgabe am Ende zu meistern.

ZDFonline: Die SPD hat im Mai in den Umfragen verloren, im ZDF-Politbarometer erzielte sie 27 Prozent. Liegt das Ihrer Meinung nach daran, dass die angestrebten Reformen unpopulär sind oder daran, dass die SPD nach außen zerstritten wirkt?

Erler: Es ist grundsätzlich sehr schwer, für Reformen wie die Agenda 2010 bereits in der Durchführungsphase eine breite Unterstützung zu erhalten. Eine solche Pionierleistung, die erbracht werden muss, wird zu Beginn meist nicht sonderlich honoriert. Die SPD trägt hier eine wichtige gesellschaftliche Debatte exemplarisch in ihren eigenen Reihen aus. Dies wird in der Öffentlichkeit leider als Streit wahrgenommen und ist nicht besonders populär, was sich wiederum in den Umfragewerten widerspiegelt. Wenn es uns aber gelingt, die Menschen von der Notwendigkeit der Reformen zu überzeugen und sie sehen, dass der eingeschlagene Weg greift, bin ich sicher, dass sich dies auch wieder in steigenden Umfrage- und vor allem besseren Wahlergebnissen niederschlagen wird.