Die Eskalation in Nahost ist eine Folge des amerikanischen Scheiterns im Irak. Interview im WDR 5 Morgenecho, 12. September 2003

Die Eskalation in Nahost ist eine Folge des amerikanischen Scheiterns im Irak

Moderator (Thomas Schaaf): Kann die Ausweisung Arafats dazu beitragen, die Gewalt im Nahen Osten einzudämmen, vielleicht sogar einen Friedensprozess zu befördern?

Erler: Die Mitglieder des Quartetts, die den Friedensplan entworfen haben, sehen das genau umgekehrt. Und insofern widerspricht dieser Beschluss auch diametral den Verpflichtungen, die Israel auch mit der Zustimmung zu diesem Friedensplan eingegangen ist. Es sieht so aus, dass - leider, so muss man es ausdrücken - dieser Friedensplan das nächste Opfer indirekt des Irak-Krieges werden wird.

Moderator: Dieser Friedensplan indirekt Opfer des Irak-Krieges, können Sie das konkretisieren?

Erler: Es ist so, dass offenbar die Einschätzung des israelischen Kabinetts ist, dass Amerika nicht die Kraft haben wird und auch nicht die Entschlossenheit haben wird, diesem Beschluss entgegen zu treten. Und damit setzt Israel die Verstöße gegen die "Road Map", wie dieser Friedensplan genannt wird, fort, die sie in den vergangenen Wochen schon gemacht hat. Sowohl diese Tötungen von Hamas-Führern, die Fortsetzung des Baus dieses Sicherheitszaunes als auch die Fortsetzung der Siedlungspolitik waren alles sozusagen Provokationen gegen den Friedensplan. Das ist jetzt der Höhepunkt, der Ausweisungsbeschluss. Und offenbar rechnet man in Jerusalem nicht damit, dass Amerika stark genug reagieren wird. Es hat heute eine Warnung gegeben von Amerika gegenüber diesem Beschluss, aber offenbar stört das im Augenblick in der israelischen Regierung niemanden.

Moderator: Aber dass Arafat längst ein Teil des Problems geworden ist und nicht mehr ein Teil der Lösung ist, das kann doch auch dem Nahost-Quartett, dem von ihnen schon erwähnten aus den UNO, den USA, der EU und Russland, nicht verborgen geblieben sein.

Erler: Nein, das ist wahrscheinlich von den meisten geteilt. Aber die Frage ist ja, ob dann die Ausweisung zu irgendeiner vernünftigen Entwicklung beitragen wird. An diesem Punkt sind wir auch wieder alle einig, dass das nicht der Fall ist. Auch Amerika sieht das so, weil die Reaktion nicht nur in der palästinensischen Bevölkerung, sondern auch bei den arabischen Staaten wahrscheinlich den Konflikt in Nahost eher anheizen und nicht befrieden wird.

Moderator: Im Nahost-Quartett sitzen die Amerikaner sozusagen mit im Boot, im Weltsicherheitsrat, was den Irak angeht, eine neue Resolution, offenbar zur Zeit nicht. Die USA wollen als Besatzungsmacht das Sagen behalten im Irak. Andere, zum Beispiel China, Russland, Frankreich und Deutschland, wollen der UNO die Schüsselrolle zuweisen. Die Konfrontationslinie verläuft also genau dort, wo sie vor dem Irak-Krieg im Sicherheitsrat auch verlief. Ist es so oder scheint es nur so zu sein, dass die USA nun allerdings in einer schwächeren Position sind, weil ihnen die Dinge im Irak erkennbar über den Kopf wachsen?

Erler: Auf jeden Fall ist es so, dass die Amerikaner etwas wollen, und zwar wollen von ihren Verbündeten, von ihren Freunden, von anderen Ländern auf der Welt. Und sie merken, dass ihre eigene Politik im Irak ein Hindernis dafür ist, weil mit dieser Politik genau diese Länder, von denen die Amerikaner etwas wollen, begründen, dass sie genau das nicht geben wollen. Und insofern ist die Situation in diesem Punkt verändert. Es ist allerdings so, dass Morgen nun diese Konferenz der sogenannten "Permanent Five", also der fünf dauerhaften Sicherheitsratsmitglieder der Vereinen Nationen, in Genf stattfinden wird auf Einladung von Kofi Annan mit dem amerikanischen Außenminister, so dass da noch eine Chance besteht, noch einmal zu bereden, ob man sich nicht dort in Genf über einen Resolutionstext, der von allen akzeptiert werden kann, einigen kann.

Moderator: Also der deutsch-französische Vorschlag einer Resolution liest sich jedenfalls aus Sicht der Amerikaner mit Sicherheit stellenweise wie eine Provokation. Die USA sollen zwar für die Sicherheit im Irak weiter haften, alle zivilen Bereiche aber an den irakischen Regierungsrat abgeben - auch die natürlichen Ressourcen, wie das so schön genannt wird, die nicht ganz unwichtigen Ölvorkommen also. Und der Regierungsrat soll von der UNO mehr oder weniger beraten werden.

Erler: Es ist keineswegs eine deutsch-französische Eigenheit, was in diesem Vorschlag steht, sondern man kann sagen: Es gibt sehr viele Länder, die glauben, dass Amerika die Sicherheitsprobleme im Irak nur wird lösen können, auch für die eigenen Soldaten, wenn es aus dieser Logik der Besatzung rauskommt. Und aus dieser Logik der Besatzung rauskommen heißt in der Tat, schneller Befugnisse an irakische Institutionen zu übergeben und zumindest mal, was den Aufbau des Landes angeht, den Wiederaufbau und die Vorbereitung dieses Übergangs, also Verfassung, freie Wahlen usw., dieses in die sehr erfahrenen Hände der UNO zu geben.

Moderator: Die aber im Irak, Herr Erler, auch nicht die beste Reputation haben.

Erler: Darum geht es gar nicht, sondern es geht darum, aus dieser Betrachtungsweise der Amerikaner als Besatzer wegzukommen. Das ist auch ein Versuch - das will ich ganz deutlich sagen -, amerikanisches Leben zu schützen, denn so lange sie nur als Besatzer und Verantwortliche für alles, was schief geht, in dem Land betrachtet werden, muss man befürchten, dass die Attacken, die Aggressionen, weitergehen. Insofern ist der deutsch-französische Vorschlag überhaupt nicht isoliert, sondern widerspiegelt eigentlich eine sehr weit verbreitete Meinung - übrigens auch in den Vereinigten Staaten selbst.