Presseerklärung vom 22. Oktober 2003

Irak-Geberkonferenz: Deutschland braucht sich nicht zu verstecken

Zur bevorstehenden Irak-Geberkonferenz in Madrid erklärt der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler:

Die Bundesregierung hat frühzeitig weitere Mittelzusagen für die Irak-Geberkonferenz in Madrid ausgeschlossen. Dafür gibt es gute Gründe.

Erstens stellt Deutschland bis 2005 einschließlich aller bi- und multilateralen Zusagen bereits 188,6 Millionen Euro für humanitäre und Wiederaufbauzwecke in Irak zur Verfügung: 50 Millionen Euro im Rahmen bilateraler humanitärer Hilfe (wahrscheinlicher Mittelabfluss bis Jahresende vorerst 25 Millionen Euro, da die Einsatzmöglichkeiten der Hilfsorganisationen vor Ort aus Sicherheitsgründen eingeschränkt sind), weitere 23 Millionen Euro als deutschen Anteil am Echo-Programm (Humanitäre Hilfe der EU) und 44,6 Millionen Euro als deutschen Anteil an dem EU-Wiederaufbauangebot in Höhe von 200 Millionen Euro für Madrid. Hinzu kommen voraussichtlich noch 44 Millionen Euro deutscher Anteil an Programmen der Weltbank. Weitere Maßnahmen sind: acht Millionen Euro für Wasserversorgung, Berufsausbildung und Regierungsberatung, zehn Millionen Euro für Polizeiausbildung und neun Millionen Euro für Kultur- und Wahlberatung. Mit diesem Volumen steht Deutschland bisher mehr als respektabel da: In Europa haben bisher nur die beiden Kriegskoalitionäre Großbritannien und Spanien mehr Mittel in Aussicht gestellt.

Zweitens wird längst in der Weltgemeinschaft anerkannt, dass Deutschland im Kontext des globalen Antiterrorkampfs in Afghanistan eine herausragende Rolle spielt. Mit der bereits auf der Tokioter Geberkonferenz vom Januar 2002 gemachten Zusage von 320 Millionen Euro für vier Jahre (Mittelabfluss bisher: 142 Millionen Euro), mit den 2001 zur Verfügung gestellten Mitteln für humanitäre Hilfe in Höhe von weiteren 40 Millionen Euro und zusätzlichen 7,6 Millionen Euro für FAO-Projekte liegt die Bundesrepublik weit vor allen anderen europäischen Staaten. Und dieses Engagement wird gerade erneut erweitert: Allein für den Bundeswehreinsatz in Kunduz im Rahmen des erweiterten ISAF-Einsatzes sind zusätzliche 33 Millionen Euro einzusetzen. An der ISAF-Mission in Kabul sind derzeit exakt 1.776 Bundeswehrsoldaten beteiligt.

Drittens besteht Unklarheit über den tatsächlichen Mittelbedarf. Die US-Administration nennt mindestens 55 Milliarden US-Dollar für die nächsten vier Jahre. Ein sogenanntes "Needs-Assessment" von Weltbank und UNDP kam jedoch nur auf einen Bedarf von 35,6 Milliarden US-Dollar, davon 9,3 Milliarden US-Dollar für das Jahr 2004. Diese Summe ist in dem von Washington aufgestellten "Iraque Supplementary Budget" bereits mehr als abgesichert.

Die zuletzt stark gestiegenen Ölerlöse (Verdreifachung von Juni bis Oktober) sind dabei nicht berücksichtigt. Und es gibt Fachleute, die an der faktischen Absorptionsfähigkeit der irakischen Verwaltung allein für diese Wiederaufbaumittel zweifeln und dabei auf Erfahrungen auf dem Balkan und in Afghanistan verweisen können. So gesehen geht es in Madrid weniger um die Frage, ob genügend Mittel für den Wiederaufbau des Irak mobilisiert werden können, sondern in welcher Weise diese Lasten aufgeteilt werden. Die Regierungen der Länder, die den Irak-Krieg abgelehnt haben, können in ihrer jeweiligen Öffentlichkeit kaum Zustimmung zur Übernahme größerer finanzieller Verpflichtungen erwarten - erst recht nicht, nachdem die Regierung Bush bisher allenfalls in symbolischen Proportionen auf die Vorstellungen dieser Länder für eine politische Nachkriegsordnung im Irak eingegangen ist.

Fazit: Deutschland braucht sich nicht zu verstecken - weder für seine politische Positionierung in der Irak-Frage, die Punkt für Punkt von den gegenwärtigen Realitäten bestätigt wird, noch für das eigene Engagement bei der Hilfe für die notleidende Bevölkerung vor Ort, und schon gar nicht, wenn man das Angebot zur Ausbildung von irakischen Polizisten und Soldaten sowie die deutschen Anstrengungen in anderen Krisen-Regionen einbezieht.