Presseerklärung vom 21. November 2003

Rumänien, Bulgarien: Fortschritte ja, aber noch keine volle Europa-Fähigkeit

Zu den Ergebnissen der jüngsten EU-Fortschrittsberichte erklärt der Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und Präsident der Südosteuropa-Gesellschaft, Gernot Erler, MdB:

Mit dem im Mai des nächsten Jahres erfolgenden Beitritt von 10 mittelost-europäischen Ländern ist der EU-Erweiterungsprozeß noch nicht abgeschlossen.
Schon jetzt laufen die Verhandlungen mit Rumänien und Bulgarien, und die sogenannten West-Balkan-Staaten sowie die Türkei sind in unterschiedlicher Intensität dabei, sich auf den Beitrittsprozess vorzubereiten.

Im Europäischen Rat im Dezember 2002 in Kopenhagen wurde für Rumänien und Bulgarien ein Beitrittstermin von 2007 in Aussicht gestellt, sofern diese Ländern bis dahin die erforderlichen Kriterien erfüllen.

Die jüngsten Fortschrittsberichte der EU dokumentieren die Fortschritte des vergangenen Jahres, sie zeigen aber auch die noch bestehenden Defizite auf.
Beiden Ländern wird bescheinigt, dass sie die politischen Kriterien erfüllen und auch als eine funktionierende Marktwirtschaft angesehen werden können. Beide Länder aber weisen noch so viele ökonomische Schwächen auf, dass sie derzeit dem Wettbewerbsdruck der EU nicht standhalten könnten. Dies wäre 2007 nur dann möglich, wenn ihr Reformprozess so erfolgreich fortgeführt würde, dass die noch bestehenden erheblichen Schwierigkeiten ausgeräumt werden können. Bis dahin ist aber noch viel zu tun. In beiden Ländern liegt derzeit das Bruttoinlandprodukt pro Kopf erst bei 25% des EU-Durchnitts.

Es kann daher nur als gefährlich angesehen werden, wenn die Führung dieser Länder gegenüber ihrer Bevölkerung den Eindruck erweckt, dass der EU-Beitritt im Jahr 2007 ganz automatisch erfolgen würde. Damit werden nur falsche Hoffnungen geweckt, die nicht gerade dazu beitragen, die noch notwendigen, aber in vielen Fällen auch schmerzhaften Modernisierungsschritte voranzutreiben. Es wäre daher sehr angebracht, wenn den Rumänen und Bulgaren sehr nüchtern vermittelt würde, dass vor dem Erfolg noch ein großes Stück Arbeit zu bewältigen ist.

In beiden Ländern behaupten manche Politiker und Medienvertreter immer wieder, dass ihr Land eigentlich viel weiter sei als der Nachbar, dass eine von der EU angestrebte Paketlösung daher ungerecht sei und dass man nicht auf das nachhinkende Nachbarland warten wolle. Diese Diskussion ist alles andere als hilfreich. Erstens ist sie sachlich nicht zutreffend, zweitens widerspricht sie dem Grundsatz der regionalen Kooperation und drittens ist sie nicht dazu geeignet, die Modernisierungskräfte zu stimulieren.

Betrachtet man die objektiven Zahlen, sind die Differenzen zwischen Rumänien und Bulgarien eher gering. In manchen Bereichen ist Rumänien weiter, in anderen hat Bulgarien die Nase vorn. Viele der Defizite liegen im Bereich supranationaler Probleme wie z.B. Kapitalmangel, zu geringe Auslandsinvestitionen, organisierte Kriminalität oder soziale Fragen bei ethnischen Minderheiten wie der Roma. Gerade diese den ganzen Balkan betreffenden Strukturschwächen können nur gemeinsam wirkungsvoll angegangen werden. Abgrenzung und falsches Konkurrenzdenken ist daher fehl am Platz, gefragt ist vielmehr Offenheit und Kooperation.

Deutschland war stets ein Vorreiter der vollen Integration aller südosteuropäischen Länder in die EU. Diese Politik und die großzügigen Hilfen Deutschlands können aber nur gerechtfertigt werden, wenn sichtbar wird, dass die betroffenen Länder nicht nachlassen, ernsthaft und kontinuierlich ihre Hausaufgaben zur Lösung ihrer Strukturprobleme zu machen.