Presseerklärung vom 24. November 2003

Der Weg Kroatiens nach Europa darf nicht gebremst werden

Zum Ausgang der Parlamentswahlen in Kroatien erklärt der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und Präsident der Südosteuropa-Gesellschaft, Gernot Erler:

Auch wenn das Endergebnis der kroatischen Parlamentswahlen noch nicht vorliegt, zeichnet sich in Zagreb jetzt schon ab, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Machtwechsel kommen wird. Landesweit hat die bisher oppositionelle HDZ, die Partei des früheren Präsidenten Tudjman, deutlich hinzu gewonnen, die bisherige Regierungskoalition unter Führung der sozialdemokratischen SDP dagegen an Stimmen verloren. Ivo Sanader, der Vorsitzende der HDZ, ist somit der aussichtsreichste Kandidat für den Posten des Regierungschefs.

Der wohl bevorstehende Regierungswechsel in Kroatien reiht sich ein in die lange Reihe praktisch aller Wahlergebnisse in den Ländern Südosteuropas in den letzten Jahren. Praktisch nirgends wurde nach der Einführung wirklicher Demokratie in dieser Region eine Regierung wiedergewählt. Betrachtet man die Gründe für dieses supranationale Wahlverhalten, kann auch das jetzige Ergebnis in Kroatien nicht wirklich überraschen.

Alle Länder Südosteuropas werden dadurch charakterisiert, dass ihr Transformationsprozess durch die regionalen Kriege und Konflikte der neunziger Jahre sich noch schwieriger gestaltet als in anderen postkommunistischen Staaten Mittel- und Osteuropas. Dies führte überall dazu, dass die großen ökonomischen Probleme sowie die für die Bevölkerung eher schmerzhaften Reformen das tägliche Leben der Menschen mehr bestimmten als Fortschritte im Bereich der Demokratie.

Die Auswirkungen der europaweiten Rezession trafen Kroatien dazu ebenso wie andere Länder. Die daraus resultierende weit verbreitete Unzufriedenheit richtete sich, wie auch in anderen Ländern, aber in erster Linie gegen die eigene Regierung. Da dazu noch das Bild einer oft zerstrittenen Koalition kam, war eine Abstrafung der objektiv gesehen doch in vielen Bereichen erfolgreichen Regierung fast unvermeidlich.

Festzuhalten ist, und das bleibt die Leistung der Regierung Racan, dass sie es war, die Kroatien aus der langen politischen Isolierung der Tudjman-Ära herausgeführt hat. Kroatien hat in den letzten vier Jahren unter sozialdemokratischer Führung nicht nur seinen Platz in der europäischen Völkerfamilie wiedererlangt, sondern dazu viele entscheidende Schritte in Richtung Europa unternommen. Auch ohne den Status eines offiziellen Beitrittskandidaten hat Kroatien zum Beispiel bereits eine Fülle von wichtigen Gesetzen den europäischen Normen angepasst. Es ist in vielen Bereichen in seinem Modernisierungsprozess heute bereits weiter als andere südosteuropäische Länder, die schon seit Jahren im Prozess der Beitrittsverhandlungen sind.

Sollte es nun zu einem Regierungswechsel kommen, ist zu hoffen, dass die immer noch vorhandenen rückwärtsgewandten nationalistischen Kräfte nicht wieder Auftrieb bekommen. Dies könnte den von Mesic und Racan eingeschlagenen Europa-Kurs wieder bremsen. Die bisherige Regierung hat hier ein solides Fundament gelegt. Dem wahrscheinlich künftigen Regierungschef Ivo Sanader ist zu wünschen, dass er darauf aufbaut und das wiedererlangte Vertrauen Europas in Kroatien durch zukunftsgerichtete Politik in diesem Sinne rechtfertigt und stärkt.