Presseerklärung vom 30. Dezember 2003

Der Rückschlag bei den Wahlen darf den Weg Serbiens nach Europa nicht aufhalten

Zum Ausgang der Parlamentswahlen in Serbien erklärt der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und Präsident der Südosteuropa-Gesellschaft, Gernot Erler:

Es kam, wie viele befürchtet hatten. In Serbien wurde die ultrarechte und nationalistische Partei des als Kriegsverbrecher angeklagten Vojislav Seselj zur stärksten politischen Kraft und die Partei des ebenfalls in Den Haag einsitzenden früheren Präsidenten Milosevic kam auch wieder ins Parlament. Wie es aussieht, wird nun die royalistische Partei von Vuk Draskovic eine wichtige Schlüsselrolle bei der künftigen Machtverteilung erhalten.

Nach allem, was von Serbien im letzten Jahrzehnt ausging, ist verständlich, dass dieses Ergebnis in Europa als Rückfall in die unselige Vergangenheit gewertet wird, damit auf großes Unverständnis stößt und die Stimmen lauter werden lässt, die dieses Land nicht in der Europäischen Union sehen wollen. In der Tat ist es auch erschreckend, dass mehr als ein Drittel der serbischen Wähler immer noch den alten faschistoiden nationalistischen Träumereien nachhängt und aus der schuldbeladenen Vergangenheit nicht gelernt hat.

Eine zu negative Sichtweise aber greift zu kurz. Einerseits nämlich ist es schon fast ein Naturgesetz, dass auf dem Balkan seit der politischen Wende praktisch alle Regierungen abgewählt werden, andererseits besteht auf Grund des Wahlergebnisses in Belgrad durchaus die Chance, dass es trotzdem wieder eine demokratische Regierung geben wird. Die bisherige DOS-Regierung, die ganz vorwiegend auf Grund ihrer Führungspersönlichkeit Zoran Djindjic den Europäern sehr sympatisch war, ist nicht zuletzt an ihren eigenen inneren Widersprüchen zerbrochen und wurde somit auch aus eigener Schuld abgewählt. Die sich jetzt wahrscheinlich bildende Koalition jedoch kann mit Recht für sich in Anspruch nehmen, ebenfalls zu den fortschrittlichen Kräften in Serbien zu gehören. Und dass auch diese Parteien nach Europa streben, ist unbestritten.

Für die Entwicklung Serbiens in der nächsten Zukunft sind zwei Dinge essentiell: Zum ersten darf nicht passieren, dass sich die demokratischen Kräfte durch interne Querelen zu lange mit der Machtverteilung aufhalten. Was nötig ist, ist eine schnelle Regierungsbildung und ein klares Regierungsprogramm, das konsequent den eingeschlagenen Weg der Reformen und der Integration in die europäischen Strukturen festlegt. Es ist zu hoffen, dass Kostunica, Tadic und Labus, insbesondere aber Draskovic sich dieser Verantwortung bewusst sind und Serbien nicht den Kriegsverbrechern und Ultranationalisten überlassen.

Zum zweiten ist der Westen, also insbesondere die Europäische Union und ihre einzelnen Mitglieder aufgerufen, Serbien bei diesem Weg glaubwürdiger zu unterstützen als bisher. Klagen von Zoran Djindjic, dass die demokratischen Kräfte in Serbien oft zu wenig Unterstützung bekommen haben, waren nicht ganz unberechtigt. Leider ist dieser wichtige Demokratisierungsprozess vom Westen wegen dessen Beschäftigung mit dem Terrorismus, mit Afghanistan und dem Irak, zu oft links liegen gelassen worden.

Es besteht die Möglichkeit, dass Serbien noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen ist und auf dem europäischen Weg bleibt. Wenn die demokratischen Kräfte nur wollen, hat der Demokratisierungs- und Europäisierungsprozess eine zweite Chance. Diese muss in enger Kooperation mit den westlichen Partnern genutzt werden. Die SPD-Fraktion und mit ihr wohl auch der ganze Deutsche Bundestag sowie viele gesellschaftliche Kräfte in Deutschland wie auch die Südosteuropa-Gesellschaft werden sich mit Nachdruck dafür einsetzen, Serbien auf seinem nicht leichten Weg nach Europa nach Kräften zu unterstützen.