Presseerklärung vom 8. Dezember 2003

Putin ist der Sieger der russischen Parlamentswahlen

Zum Ausgang der russischen Duma-Wahlen erklärt der Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler:

Der eigentliche Sieger der russischen Parlamentswahlen heißt Wladimir Putin. Nach dem gestrigen Tag steht er auf dem Höhepunkt seiner Macht. Obwohl sein Name auf keinem Wahlzettel stand, geht der amtierende russische Präsident gestärkt aus den Parlamentswahlen hervor und kann seiner Wiederwahl im März 2004 gelassener denn je entgegen sehen. Es gibt weit und breit niemanden in der russischen Politik, der ihm gefährlich werden könnte.

Mit ca. 37 Prozent der abgegebenen Stimmen und fast der Hälfte aller Abgeordnetenmandate hat die „Partei der Macht", wie „Jedinaja Rossija" („Einheitliches Russland") auch genannt wird, ein sensationell gutes Ergebnis eingefahren. Es ist das erste Mal in der postsowjetischen Geschichte, dass die dem Kreml nahestehende Partei bei den Parlamentswahlen als Sieger hervorgegangen ist. Gemeinsam mit der linkszentristischen Partei „Rodina" („Vaterland"), die auf Anhieb auf ca. neun Prozent der Stimmen kam, und Schirinowskijs Liberaldemokratischer Partei (knapp zwölf Prozent) kommt Putin sogar an eine Zweidrittelmehrheit heran, die ihm Verfassungsänderungen und somit eine dritte Amtszeit über 2008 hinaus ermöglichen würde.

Verlierer gibt es dagegen gleich mehrere: Zum einen die Kommunisten, bislang stärkste Fraktion in der Duma und bis vor wenigen Wochen führend in allen Umfragen. Sie erreichten mit knapp 13 Prozent ihr bislang schlechtestes Wahlergebnis seit dem Zerfall der Sowjetunion und wurden geradezu deklassiert. Verloren haben aber auch die liberalen Kräfte. Weder Jabloko mit Grigorij Jawlinskij noch die Union der Rechten Kräfte (SPS) mit Anatolij Tschubais an der Spitze konnten die erforderliche Fünf-Prozent-Hürde überspringen und werden im nächsten Parlament nur mit wenigen Direktmandaten vertreten sein.

Ohne Zweifel hat der relativ ruhig verlaufene Wahlkampf die Putin nahestehenden Parteien begünstigt. Die oppositionellen Parteien, Kommunisten und liberale Kräfte, hatten es angesichts einer geballten propräsidentiellen Medienmacht nicht leicht, ihren Anliegen Gehör zu verschaffen und neue Wählerschichten für sich zu erschließen.

Dennoch wäre es kurzsichtig, den eindeutigen Sieg von „Jedinaja Rossija" allein auf diesen Umstand zurückzuführen. Der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler war ganz offensichtlich daran gelegen, Präsident Putin bereits zu diesem Zeitpunkt ihr Vertrauen auszusprechen und damit zumindest eine relative Zufriedenheit mit der in den letzten vier Jahren erreichten Stabilität zum Ausdruck zu bringen. Die Wahl war somit eine Vertrauensabstimmung über den Präsidenten, die er eindeutig für sich entscheiden konnte.

Für das Ausland bedeutet dieses Wahlergebnis, dass Russland ein verlässlicher Partner in der Außenpolitik bleibt. Putin wird in den kommenden vier Jahren noch stärker als bislang die Richtung der russischen Politik bestimmen. Dank der Rückendeckung durch die Wähler ist von einem Kurswechsel der russischen Politik weder im Innern noch in der Außen- und Sicherheitspolitik auszugehen.

Mit der nun vorhandenen stabilen Mehrheit wird es Putin in Zukunft noch leichter haben, die von ihm gewünschten Reformen auf den Weg zu bringen. Notwendige Wirtschafts-, Finanz- oder Rechtsreformen könnten nun noch schneller durchgesetzt werden.

Dennoch verbleiben Putin und seiner ihm treu ergebenen Parlamentsmehrheit in den kommenden vier Jahren eine Reihe schwieriger Aufgaben. An erster Stelle ist hier der nach wie vor nicht gelöste Tschetschenien-Konflikt zu nennen. Diese „blutende Wunde" wirkt sich immer negativer auf die innenpolitische Entwicklung in Russland aus und fordert ständig neue unschuldige Opfer, wie der furchtbare Anschlag auf einen Nahverkehrszug im Süden Russlands zwei Tage vor der Wahl erneut gezeigt hat.

Putin hat bereits mehrfach den Durchbruch bei der Lösung dieses Konflikts angekündigt. Vielleicht verleiht ihm dieses Wahlergebnis die Kraft, stärker als bislang auf eine politische Lösung dieses Konflikts zu setzen. Sollte ihm hier ein Durchbruch gelingen, wäre dies die Krönung seiner bisherigen Arbeit.