Rede Gernot Erler in der 100. Sitzung des Deutschen Bundestages am 25. März 2004: Parlamentsbeteiligungsgesetz

Parlamentsbeteiligungsgesetz

Gernot Erler (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen legen heute den Entwurf eines Parlamentsbeteiligungsgesetzes vor, also eines Gesetzes, das die Verfahren der Mitwirkung des Deutschen Bundestages an der Entscheidung über bewaffnete Einsätze deutscher Streitkräfte im Ausland regeln soll.

Gleich zu Anfang möchte ich Folgendes feststellen: Der Parlamentsvorbehalt bei bewaffneten Einsätzen im Ausland bleibt und wird in keiner Weise eingeschränkt.

(Jörg van Essen [FDP]: Durch Ihren Gesetzentwurf, ja!)

Dieser Parlamentsvorbehalt ist in der Tat eine deutsche Besonderheit, aber diese Besonderheit hat sich bewährt. Sie ist heute Bestandteil unserer Rechtskultur. Es bleibt dabei: Die Bundeswehr ist und wird ein Parlamentsheer sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nach wie vor wird der Deutsche Bundestag jeden Einsatz bewaffneter Kräfte im Ausland sorgfältig prüfen und beraten, bevor er eine Zustimmung gibt. Wir tun das vor dem Hintergrund, dass für uns der Einsatz bewaffneter Kräfte im Ausland kein normales Mittel von Politik ist, sondern immer ein besonders zu prüfendes und eine besonders zu beratende Ausnahme bleiben wird. Wir tun das vor dem Hintergrund, dass wir in jedem Fall zeigen wollen, dass wir uns unserer Verantwortung für die Entsendung von deutschen Soldaten ins Ausland bewusst sind. Das ist immer eine Entscheidung, bei der es auch um lebensgefährliche Risiken geht. Schließlich wollen wir, dass jede Soldatin und jeder Soldat, die bzw. der für Deutschland einen Auftrag im Ausland erfüllt, weiß, dass sowohl die Bundesregierung als auch das Parlament, zumindest in seiner Mehrheit, hinter diesem Auftrag steht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn das alles so bleiben soll, dann muss man die Frage beantworten, warum denn ein Parlamentsbeteiligungsgesetz notwendig ist. Wir haben das Grundgesetz, wir haben die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und wir haben nach nunmehr annähernd 50 Entscheidungen über Auslandseinsätze - übrigens hat das Parlament in allen Fällen dem Antrag der jeweiligen Bundesregierung zugestimmt - schon eine bewährte Staatspraxis. Trotzdem gibt es in diesem Haus einen breiten Konsens darüber, dass es Sinn macht, in Form eines Bundesgesetzes verbindliche Regelungen auch im Detail und damit Rechtssicherheit für alle beteiligten Seiten zu schaffen.

(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Nur die Union kommt nicht zu Potte!)

Denn die Erfahrung hat uns gelehrt: Es gibt Unsicherheiten darüber, wo der Parlamentsvorbehalt anfängt und wo er seine Grenzen findet.

Mit der Zeit sind bestimmte Grauzonen entstanden, zum Beispiel dann, wenn die Bundesregierung in informellen Gesprächen die Zustimmung der Fraktionen eingeholt hat, weil sie sich nicht sicher war, ob sie in diesem Fall schon das Parlament fragen musste oder nicht. Es gibt auch Probleme bei dem Verhältnis von Anlass und Aufwand. Zum Beispiel hat sich die Bundesregierung bei der Frage, ob für die Entsendung von ein oder zwei Uniformierten bei einer begrenzten internationalen Mission die Parlamentarier aus der Sommerpause zurückgeholt werden sollen, in der Vergangenheit häufig geweigert, diesen Weg zu gehen. Das ist aus unserer Sicht nicht wünschenswert.

Wenn es dazu kommt, dass ein Parlamentsrecht in bestimmten Fällen - zum Beispiel bei der Verlängerung schon mehrfach verlängerter, unbestrittener und unter unveränderten Umständen stattfindender Einsätze - nicht mehr wahrgenommen und dadurch ausgehöhlt wird, dann ist das nicht gut. Dann ist es sinnvoll, sich über angemessene Verfahren und Regelungen zu verständigen. Genau das soll mit dem Parlamentsbeteiligungsgesetz erreicht werden. Dabei greifen wir mit unserem Entwurf eine Anregung auf, die das Bundesverfassungsgericht bereits in dem immer wieder zitierten Urteil vom 12. Juli 1994 gegeben hat, wohl schon damals erkennend, dass eine gesetzliche Regelung ein Plus an Rechtssicherheit darstellt und auch ein Mittel ist, um solche möglichen Grauzonen zu vermeiden. Nun stellt sich die Frage, ob es nicht wünschenswert wäre, dass ein Parlamentsbeteiligungsgesetz in diesem Hause auf eine möglichst breite Grundlage gestellt würde. Wir haben uns Mühe gegeben und es versucht. Ich möchte ausdrücklich drei Kollegen besonders danken: Ronald Pofalla von der CDU, Christian Schmidt von der CSU und Jörg van Essen von der FDP. Ich glaube, wir haben gute Gespräche geführt, und ich bin sicher, dass die gemeinsamen Versuche auch dazu beitragen werden, dass die Beratung dieses Gesetzentwurfs in einem Umfeld von Sachlichkeit stattfinden kann.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)

Aber obwohl es mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede gab, konnten wir uns nicht verständigen. Das gilt insbesondere für die Fragen, ob es zum einen einen besonderen Entsendeausschuss und zum anderen eine Vorabzustimmung zu integrierten Einsätzen von NATO und EU, die in Zukunft bevorstehen werden, geben soll. Deswegen gibt es nun konkurrierende Gesetzentwürfe. Was ist die Methodik bzw. die Vorgehensweise unseres Entwurfs? Ein Mittel ist zunächst einmal die Definition. In dem Gesetzentwurf wird definiert, was ein bewaffneter Einsatz ist und was nicht. Diese Begriffsbestimmung stellt klar, dass vorbereitende Maßnahmen und Planungen, aber zum Beispiel auch humanitäre Hilfeleistungen durch einzelne Vertreter der Bundeswehr - jedenfalls dann, wenn diese nur zum Selbstschutz bewaffnet sind und nicht in die Gefahr geraten, in einen bewaffneten Konflikt einbezogen zu werden - noch keinen bewaffneten Einsatz darstellen und auch nicht unter den Parlamentsvorbehalt fallen.

Das besondere Kennzeichen unseres Entwurfs ist die Einführung eines so genannten vereinfachten Zustimmungsverfahrens. Dieses Verfahren soll dann zur Anwendung kommen, wenn die Einsätze von geringer Intensität und Tragweite sind, zum Beispiel bei Kunduz-Kommandos, die zur Vorbereitung eines Einsatzes entsandt werden, wenn einzelne Soldaten in Austauschvereinbarungen mit verbündeten Streitkräften entsandt werden oder wenn einzelne Uniformierte für Missionen der Vereinten Nationen, der EU, der OSZE oder ähnlicher internationaler Organisationen angefordert werden und auch dies keine besondere politische Tragweite aufweist. Das vereinfachte Verfahren soll auch dann greifen, wenn es sich um eine Verlängerung eines Einsatzes handelt, der unbestritten ist und unter unveränderten Rahmenbedingungen stattfindet.

Vereinfachtes Verfahren heißt in der Sache, die Bundesregierung leitet einen Antrag an das Parlament, gibt ihn den Sprechern der entsprechenden Fachausschüsse bekannt und lässt ihn per Drucksache an alle Mitglieder des Hauses verteilen. Dann beginnt eine Art Verschweigungsfrist - im Gesetzentwurf wird sie zwar nicht so genannt, aber man kann es als solche bezeichnen - von sieben Tagen. Wenn bis dahin nicht eine Fraktion oder 5 Prozent der Mitglieder des Bundestages - das sind bei der heutigen Größe des Bundestages etwa 30 Mitglieder - Einwand erheben und Beratungsbedarf anmelden, dann gilt dieser Antrag als stattgegeben. Wenn ein solcher Einspruch allerdings erfolgte, würde das normale Beratungsverfahren automatisch angewandt.

Dabei ist es wichtig, eines zu wissen: Es handelt sich hierbei zwar um ein vereinfachtes, aber nicht um ein verkürztes Verfahren. Viele übersehen, dass wir bisher bei der normalen Praxis des Parlamentsvorbehalts in der Regel nicht mehr als drei Tage benötigen: An einem Tag wird die Kabinettsentscheidung getroffen, am darauf folgenden Tag findet die erste Lesung statt, der die Überweisung an die Ausschüsse und die Beratungen in den Ausschüssen folgen, und bereits am dritten Tag entscheidet das Parlament. Es ist ganz wichtig, das zu wissen. Bei der Frage künftiger integrierter Einsätze ist folgendes Argument zu berücksichtigen: Sowohl bei den von der EU als auch bei den von der NATO gesetzten Fristen ist es durchaus möglich, am deutschen Parlamentsvorbehalt festzuhalten, ohne dass man irgendwelche Abstriche bei der Beteiligung an solchen gemeinsamen Missionen machen müsste.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich bin ganz sicher, dass dieses vereinfachte Verfahren nur dann angewendet wird, wenn ein Beratungsbedarf tatsächlich unwahrscheinlich ist. Das wäre der Fall, wenn die Vereinten Nationen eine Beobachtermission in irgendeinem Land durchführen und dabei auf ein oder zwei uniformierte Fachleute aus Deutschland zurückgreifen wollen. Dann würde es keinen gesteigerten Beratungsbedarf geben, insbesondere wenn die Mission nicht in einem Gebiet von besonderer Spannung oder von besonders widerstreitenden Interessen stattfindet. Das wäre auch bei einer Verlängerung des Einsatzes der Fall - wir haben das schon in den letzten Monaten erlebt -, wenn der Einsatz selbst unstreitig ist und es vor allen Dingen keine Veränderung beim Umfang und bei der Art des Einsatzes sowie bei den politischen Rahmenbedingungen gibt.

Wir sind sicher, dass das vereinfachte Verfahren in der Tat zu einer Entlastung insbesondere von uns selbst, den Parlamentariern, führen kann und dass es in keinem Fall zu einer Vermeidung von notwendigen Diskussionen über wesentliche oder umstrittene Einsätze missbraucht werden kann. Das ist schon deswegen nicht möglich, weil die Hürde, durch sofortiges Widersprechen anstelle des vereinfachten Verfahrens Beratungen im Rahmen des normalen Prozesses herbeizuführen, sehr niedrig ist. Ich glaube allerdings auch, dass das vereinfachte Verfahren den Parlamentsvorbehalt stärken und festigen wird, gerade weil es einen überflüssigen Aufwand vermeiden hilft, wenn in der Sache ein Konsens besteht.

Wichtig bei unserem Gesetzentwurf ist auch, dass wir das, worüber man bisher keine Klarheit hatte, regeln. In diesem Gesetzentwurf ist ein ausdrückliches Rückholrecht des Parlaments vorgesehen. Das heißt, es ist jederzeit möglich, dass die gegebene Zustimmung des Bundestages zu einem von der Bundesregierung beantragten Einsatz zurückgenommen werden kann. Darüber bestand bisher keine Klarheit. Die Regelung zur nachträglichen Zustimmung, die wir in den Entwurf aufgenommen haben, schreibt hingegen eigentlich nur das fest, was bisher ohnehin Staatspraxis war. Es ist völlig klar, dass bei einer unmittelbaren Gefahr im Rahmen von Einsätzen, die keinen Aufschub dulden, oder aber bei Rettungseinsätzen, deren Details nicht bekannt werden dürfen, eine vorherige Parlamentsentscheidung nicht möglich ist. Es wird hierbei aber ausdrücklich am Parlamentsvorbehalt festgehalten. Es hat eine nachträgliche Entscheidung zu erfolgen. Außerdem hat eine ständige Unterrichtung des Parlaments zu erfolgen. Ich bin sicher, dass dieser Entwurf - er hat eine lange Vorgeschichte und ihm ging viel Vorarbeit voraus - eine gute Grundlage dafür ist, eine angemessene, eine bessere, vor allen Dingen eine rechtssichere Regelung für die Zukunft zu treffen. Der einzige Sinn ist tatsächlich, den schon vorhandenen Parlamentsvorbehalt zu stärken und für die Zukunft dauerhaft zu gewährleisten. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)