Schöne Weihnachten!

Hallo Leute! Schon wieder ein Jahr rum, sogar ein besonderes (Millennium), was Weihnachten nicht daran hindert, wie üblich ohne Schneeromantik und dafür mit umso lauterem Klingeln der Einzelhandelskassen daherzukommen. Jetzt will jeder nur noch gute Botschaften wie die, daß der Bundeskanzler auf Druck seiner 10jährigen Tochter seine Weihnachtsgans "begnadigt" hat, oder einfach seine Ruhe. Oder halt, vielleicht eine kleine Geschichte? Jetzt hab' eine und wünsch mit ihr friedliche, erholsame Festtage und dann einen rasanten Start in 2001, was ja Unverbesserliche als eigentlichen Beginn des neuen Jahrtausends feiern werden!

Euer Gernot Erler

. . . und hier die Geschichte:
Das tote Pferd

Eine Weisheit der Dakota-Indianer sagt: "Wenn du entdeckt hast, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab."

Nun ja, die Dakota-Indianer, gibt es sie überhaupt noch? Falls ja, können es nicht sehr viele sein, und sie werden zugeben müssen: Der weiße Mann hat sie besiegt. Weil er stärker war und ist und natürlich auch klüger, intelligenter, effizienter.

Entdeckt ein weißer Mann, dass er ein totes Pferd reitet, steigt er daher noch lange nicht ab, denn er lebt vom Pferd, hat Familie und ist für den Stallknecht und verschiedene andere Arbeitsplätze verantwortlich. Also kann die Lösung nur lauten: weiter reiten. Mach dich zum Vorreiter, sagt er sich, werde die Nummer eins unter den Reitern toter Pferde, nutze das damit gewonnene Know-how, um die Marktführerschaft anzustreben.

Der Profi wird sich daher zunächst eine stärkere Peitsche besorgen und Extrafutter bestellen, um die Leistung des Pferdes zu erhöhen. Wenn das nicht sofort hilft, setzt er eine Enquête-Kommission ein, gibt eine vergleichende Studie über andere tote Pferde in Auftrag, veranstaltet ein Hearing über tot gesagte Pferde, entwickelt parallel dazu eine Strukturreform, um das Pferd kampagnefähig zu machen, und bildet eine Task-Force-Group für die Wiederbelebung des Pferdes. Anschließend wechselt er den Reiter, eröffnet im Internet eine Homepage unter der Adresse www.reiten.totpferd.de und gründet eine Newsgroup für Reiter toter Pferde.

Hilft auch das nicht, ist der Profi noch lange nicht am Ende und verbessert die Öffentlichkeitsarbeit, indem er den Begriff "Tod" neu definiert und sagt: Unser Pferd ist quicklebendig, und andere Pferde sind viel toter. Er initiiert eine Kampagne in Political Correctness mit dem Ziel, den Begriff "totes Pferd" als diskriminierend aus dem Gebrauchswortschatz zu verbannen und es durch den Begriff "temporarily handicaptured horse" zu ersetzen.

Vielleicht lässt er auch spektakulär mehrere tote Pferde zusammenschirren, damit sie schneller werden. Dafür muss er indische Spezialisten anwerben, die sich dank jahrzehntelanger Meditation auf das Reiter zusammengeschirrter toter Pferde verstehen. Führt auch das nicht zum gewünschten Erfolg, wird er die Leistungsstandards für Pferde senken und schrittweise an die Leistungsfähigkeit toter Pferde anpassen. Danach kann er die letzten seiner Kritiker zum Verstummen bringen, in er sagt: Was wollen Sie, wir sind längst am Ziel. Wir brauchen das Pferd gar nicht. Wir brauchen überhaupt nie mehr ein Pferd.

Aus: Christian Nürnberger, Kirche, wo bist Du? dtv, Dezember 2000