Der Testpanzer und die europäische Türkeipolitik

In der öffentlichen Diskussion über die Entscheidung des Bundessicherheitsrates zur Lieferung eines deutschen Probe-Panzers erklärt der Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler, MdB:

Die Entscheidung des Bundessicherheitsrates trennt eindeutig zwischen der Freigabe eines einzigen Panzers zu Test-Zwecken und einer Entscheidung in der Hauptsache über den Export von bis zu 1000 Panzern, die nicht vor Ende 2000 ansteht.

Die Freigabe des Probe-Panzers wird von zwei weiteren Entscheidungen flankiert: Dem Nein zur jetzigen Lieferung von Haubitzenteilen in die Türkei und einer Notifizierung gegenüber der türkischen Regierung in dem Sinne, dass die Freigabe des einen Panzers die Entscheidung über die große Panzer-Lieferung weder präjudiziert noch vorwegnimmt.

Diese drei Entscheidungen - Ja zur Testbeteiligung, offiziöse Erläuterung der Freigabe gegenüber Ankara und Nein zu den Haubitzen - geben ein eindeutiges politisches Signal: Unter den heutigen Umständen würde der Bundessicherheitsrat ebenso wie bei den Haubitzen dem Panzerexport nicht zustimmen und er wird es auch nicht nach dem Abschluss der Tests in 12 bis 18 Monaten tun, wenn sich bis dahin die innenpolitischen Verhältnisse in der Türkei nicht spürbar verändert haben.

Die Logik dieser Nichtentscheidung in der Hauptsache zum heutigen Zeitpunkt deckt sich mit der Logik des inzwischen erfolgreichen Eintretens der Bundesregierung dafür, die Türkei zum offiziellen EU-Beitrittskandidaten zu erklären. In dieser Statusveränderung spiegeln sich die Hoffnung und die Erwartung, dass die türkische Regierung die Menschenrechtssituation im eigenen Lande, die gerade von der EU erneut kritisch gewertet wurde, verbessert und aktiv die Chancen zur Beendigung des Bürgerkrieges in Ostanatolien wahrnimmt. Dasselbe gilt für die Entscheidung des Bundessicherheitsrates, die es bewusst nicht ausschließt, dass in der Türkei in den nächsten Monaten die von uns gewünschten und geforderten politischen Veränderungen stattfinden. Die spätere Entscheidung über die Panzerlieferungen wird erst im Lichte dieser möglichen und gewünschten Veränderungen getroffen, und darüber erhält die Regierung in Ankara eine unmissverständliche und klare Auskunft.

Es ist die Politik der Bundesregierung und der SPD-Bundestagsfraktion, auf eine positive Entwicklung in der Türkei zu setzen, in vollem Bewusstsein der Tatsache, wie weit die heutige Situation noch von den Standards der anderen NATO-Länder und der EU-Mitgliedstaaten entfernt ist. Die Entscheidung des Bundessicherheitsrats antizipiert nicht deren positive Entwicklung - das wäre unverantwortlich -, er hält aber die Option auf diese positive Entwicklung offen.

Diese politische Konzeption von Türen, die sich öffnen lassen, anstelle solcher, die für beliebigen Durchlass offen stehen, markiert die europäische Strategie gegenüber der Türkei. Dieses Konzept erfordert in jedem Einzelfall Entscheidungen, von denen Impulse für eine bessere türkische Entwicklung ausgehen. Wer in den zusammenzusehenden Entscheidungen des Bundessicherheitsrats diese Impulse nicht ausmachen kann, will eine andere Türkeipolitik oder lässt sich von einem fragwürdigen Misstrauen gegenüber den handelnden Personen und deren Freiheit, auch künftig dieser politischen Konzeption angemessene Entscheidungen zu treffen, leiten.