Kosovo - Herausforderung auf dem Weg des Balkan nach Europa

Kosovo war der vierte Krieg, mit dem Milosevic den serbischen Nationalismus zu seinem eigenen Machterhalt instrumentalisierte, und wie alle vorherigen Auseinandersetzungen hat er auch diesen Konflikt verloren. Dies macht deutlich, wie sehr sich auch in Südosteuropa anti-demokratische Herrschaftsstrukturen und rückwärtsgewandter Nationalismus überlebt haben. Die Zukunft der Völker Südosteuropas liegt in dem Aufbau demokratischer, pluralistischer Gesellschaften und der wirtschaftlichen Stabilisierung. Dies haben mit Ausnahme Belgrads alle Regierungen in der Region erkannt - ungeachtet erheblicher Unterschiede in ihrer Entwicklung. Der Wandel in Kroatien ist ein wichtiger Durchbruch auf diesem Weg.


Die europäische Perspektive

Kern unserer Politik ist es, die Länder Südosteuropas auf diesem Weg zu unterstützen und ihren Bewohnern die Perspektive auf die Verwirklichung ihrer individuellen Menschen- und Bürgerrechte und auf bessere materielle Lebensbedingungen zu eröffnen. Diese Perspektive liegt für die Menschen in der Region, gleich zu welcher ethnischen Gruppe sie gehören, in Europa. Die von der europäischen Union entwickelten Instrumente, von der Zusammenarbeit im Rahmen des Stabilitätspaktes über die Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen bis zu einer Mitgliedschaft in der EU, müssen sichtbare Orientierungsgrößen werden. Der Prozess in Richtung Europa wird für die Länder Südosteuropas lang und beschwerlich sein; aber bereits die ersten Stufen enger Kooperation mit Europa werden mit spürbaren Vorteilen und Fortschritten verbunden sein.


Regionale Strukturen

Das Kosovo-Problem kann nicht losgelöst werden von Fragen der Sicherheit. Die Lage in regionalen Presevo Flüchtlingsbewegungen ist ein aktuelles Beispiel dafür. Eine mögliche Eskalation könnte neue (nach Kosovo wieMazedonien) auslösen. UNMIK und KFOR haben die Situation im Kosovo zwar unter Kontrolle, destabilisierende Auswirkungen auf die Nachbarstaaten sind aber nicht auszuschließen.

Das Schlüsselproblem zur Stabilisierung der Region ist der demokratische Wandel in Serbien. Mit Milosevic ist weder das Kosovo-Problem zu lösen, noch ist eine Neubestimmung der Beziehung Montenegros zu Serbien möglich. Zusammen mit ihren Partnern in der EU und in USA setzt sich die Bundesregierung daher tatkräftig dafür ein, zu einem konstitutionellen Wandel in Serbien beizutragen und die politischen und wirtschaftlichen Reformen in Montenegro zu unterstützen.

Eine Lösung des Kosovo-Konflikts muss bei den Nachbarn Kosovos Akzeptanz finden. Dies erfordert eine frühzeitige Einbindung Mazedoniens, Bulgariens, Rumäniens, Albaniens, Kroatiens, Bosniens sowie Montenegros und der demokratischen Kräfte in Serbien in den Dialog über die Entwicklung regionaler Strukturen.

Der Stabilitätspakt ist hierfür der multilaterale Rahmen. Seine drei Arbeitstische stecken die Bereiche ab, denen für die Stabilisierung Südosteuropas eine Schlüsselbedeutung zukommt:

· die enge Kooperation beim Schutz der Menschen- und Minderheitenrechte;
· die aktive Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung und regionalen Zusammenarbeit; die bevorstehende Finanzierungskonferenz des Stabilitätspaktes muss hier ein klares politisches Signal setzen.
· die Rüstungskontrolle und Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen (Art. V des Dayton-Abkommens).

Die nachhaltige Stabilisierung Südosteuropas bleibt ein Schwerpunkt deutscher Außenpolitik. Dazu gehört neben unserem Beitrag in allen Bereichen des Stabilitätspakts auch unser fortgesetztes Engagement im Kosovo im Rahmen von VN und NATO.

Die Situation im Kosovo ein Jahr nach dem Beginn der NATO-Operation ist ungleich besser als vor Jahresfrist. Die Internationale Gemeinschaft ist auf dem richtigen Weg. Das Hauptziel der NATO-Operation wurde erreicht. Die Entscheidung, militärische Gewalt nach Ausschöpfung aller diplomatischen Möglichkeiten als letztes Mittel einzusetzen, um Belgrad die Instrumente seiner ethnischen Kriegsführung zu nehmen, ist auch aus heutiger Sicht richtig. Tatenloses Zusehen wäre unmenschlich und verantwortungslos gewesen. Europas Sicherheit war im März 1999 ernsthaft gefährdet. Flucht, Vertreibung und ethnische Konfrontationen hätten in Kürze zu einem Flächenbrand auf dem Balkan führen können. Sicherheitsrats-Res.1244, die nach Aussetzung der Operation "Allied Force" am 10. Juni 1999 auf deutsche Initiative verabschiedet wurde, bleibt die Basis für die Lösung des Kosovo-Konflikts. Ihre Folge war der sofortige Abzug der serbischen Sicherheitskräfte, der Aufbau einer internationalen Sicherheitspräsenz (KFOR), sowie die Einrichtung einer internationalen Zivilverwaltung (UNMIK).

Mit KFOR und UNMIK wurde die bisher größte integrierte internationale Struktur eingesetzt. Viel ist erreicht worden, weitere schwierige Probleme bedürfen noch der Lösung.

· Flüchtlingssituation: Trotz zeitweiliger Zunahme der Flüchtlingsströme nach Beginn der NATO-Operation konnte eine humanitäre Katastrophe durch schnelle internationale Unterstützung verhindert werden. Der Beitrag der Bundeswehr sowie deutscher NGOs dabei war beispielhaft. Die Mehrzahl kosovo-albanischer Vertriebener und Flüchtlinge aus der Region ist zurückgekehrt; die Rückführung aus Drittländern hat begonnen. Dem steht aber die Vertreibung bzw. Flucht von ca. 50 % der Kosovo-Serben, vieler Roma sowie anderer Minderheiten entgegen. Ihre Rückkehr bleibt vorrangiges Ziel der Politik der Bundesregierung. Eine im Winter drohende humanitäre Notlage konnte verhindert werden. Trotz der nach wie vor labilen Sicherheitslage ist jetzt die Rückkehr weiterer Kosovo-Albaner in enger Abstimmung mit UNMIK möglich.

· Die von UNMIK eingesetzte Übergangsverwaltung ist ein wichtiger Schritt nach vorn. Sie sieht die Beteiligung der Kosovo-Bevölkerung, einschließlich der Minderheiten, vor. Trotz grundsätzlicher Bereitschaft konnten sich die Kosovo-Serben bisher noch nicht zu einer Zusammenarbeit entschließen. Zusammen mit unseren Partnern versuchen wir, ihre Bedenken zu überwinden.

· Minderheitenschutz bleibt das Kernproblem, obwohl sich die generelle Sicherheitslage deutlich verbessert hat. Jeder zweite KFOR-Soldat wird mittlerweile für Schutz von Minderheiten eingesetzt. Kosovska Mitrovica ist Brennpunkt innerkosovarischer Spannungen und Probleme. Zu ihrer Lösung haben KFOR und UNMIK eine Strategie entwickelt. Die Bundesregierung unterstützt vorbehaltlos ihre Politik, mit Härte gegen Extremisten beider Seiten vorzugehen. Die Integration ehemaliger UCK-Kämpfer in die Zivilgesellschaft ist schwierig, hat aber mit Schaffung des Kosovo Protection Corps erste Erfolge gebracht. Die Bekämpfung des organisierten Verbrechens hat in diesem Kontext eine hervorragende Bedeutung.
· Defizite bestehen im Strafverfolgungsbereich. Die Bundesregierung hat mit Bereitstellung des zweitgrößten Polizeikontingents (420 Mann bis Sommer 2000) sowie sechs Richtern bzw. Staatsanwälten einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, ein effektives Justizsystem zu entwickeln.


Demokratischer Wandel in Kosovo

Die Einbindung aller Bevölkerungsgruppen, einschließlich der Kosovo-Serben, in politische Verantwortung und Wiederaufbau ist eine zentrale Aufgabe. Die von den Kosovo-Albanern immer stärker betonte Unabhängigkeitsdiskussion muss versachlicht werden. Die Frage nach dem endgültigen Status des Kosovo stellt sich jetzt nicht. Eine frühzeitige Entscheidung in jeder Richtung könnte zu neuen Konflikten im Kosovo und der ganzen Region führen; schwere Verwerfungen (Montenegro, Mazedonien, Bosnien und Herzegowina, Sandjak, Vojvodina) wären nicht auszuschließen. Dennoch ist für eine Befriedung des Kosovo der Beginn eines Dialogs zwischen den Ethnien über die gemeinsame Zukunft unverzichtbar.

Erste demokratische Wahlen werden voraussichtlich im September 2000 auf kommunaler Ebene durchgeführt. Sie sollen den Grundstein legen für demokratische und rechtsstaatliche Strukturen, ohne die ein friedliches Zusammenleben der Ethnien in Kosovo nicht möglich sein wird. Die Bundesregierung fördert im Vorfeld der Wahlen den Aufbau demokratischer Parteien sowie einer pluralistischen Medienlandschaft und unterstützt Institutionen zur Schaffung einer Zivilgesellschaft. Die Bundesregierung will dazu beitragen, Stellung und Einfluss von extremen Kräften zu begrenzen und die Entstehung einer offenen, toleranten Gesellschaft zu fördern.


Fazit

Die ersten Schritte auf dem Weg zu einer Befriedung des Kosovo sind getan. Das Frühjahr wird schwierig. Dennoch ist kein Grund für einen Strategiewechsel erkennbar. Die internationale Gemeinschaft sollte vielmehr energisch ihren mittlerweile entwickelten Kurs fortsetzen. Es wäre unrealistisch anzunehmen, dass über Jahrzehnte aufgestaute Probleme binnen Jahresfrist gelöst werden können. Das Beispiel Bosnien und Herzegowina zeigt, dass nur ein langfristiger, beharrlicher Politikansatz gute Chancen für eine friedliche Entwicklung bietet. Dabei bleibt SR-Res.1244 die unverrückbare Basis. Dieser Prozess wird Zeit und Geduld in Anspruch nehmen und an die Entwicklung regionaler Strukturen gekoppelt werden. Wir müssen uns auf ein anhaltendes internationales Engagement im Kosovo einstellen. Tagespolitische Probleme dürfen nicht den Blick auf die langfristige Perspektive verstellen.