Putins Vereidigung: Zeremoniell im vollen Lauf

Zur am Sonntag bevorstehenden Vereidigung des russischen Präsidenten Wladimir Putin erklärt der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler:

Wenn am Sonntag Präsident Putin, sechs Wochen nach seiner erfolgreichen Wahl, den Eid auf die russische Verfassung ablegt, die Segenswünsche von Patriarch Alexej und die Gratulationen der 1500 geladenen Gäste entgegennehmen wird, dann dürfte diese feierliche Zeremonie eher als Unterbrechung denn als Anfang seiner aktiven Präsidentschaft erscheinen. Zarähnliche Gebärden, von Amtsvorgänger Boris Jelzin noch geschätzt und geübt, liegen dem 47-jährigen Pragmatiker und Leistungssportler nicht. Seine Erfolgsstrategie setzt nicht auf Bilder der Macht und Repräsentation, deren Popularität in Russland ungebrochen ist, sondern auf die Stabilisierung von Staatsmacht und Gesellschaft, allenfalls garniert von einer patriotisch-etatistischen Rhetorik.

Russland ist wieder handlungsfähig - nach innen und nach außen. Eindrucksvoll, wie Duma und Föderationsrat innerhalb von acht Tagen zwei lange verschleppte Abrüstungsverträge auf Wunsch des Präsidenten ratifiziert haben: START II und den Atomteststoppvertrag (CTBT). Über Nacht verleiht das der Moskauer Ablehnung einer Veränderung des ABM-Vertrages von 1972 und der amerikanischen Neo-SDI-Pläne ein ganz anderes Gesicht. Aus dem Genörgel von technischen Verlierern entsteht jetzt schrittweise eine national konsensfähige Front zur Einforderung weiterer atomarer Abrüstung - und Washington muss dies ernst nehmen. Der uncharismatische Pragmatiker im Kreml hat Russland noch vor seiner Vereidigung auf dem globalen Parkett aus der Defensive gelotst.

Dazu passt der gelungene, prestigeverleihende Auftritt in London mit langen Audienzen bei Tony Blair und Königin Elisabeth. Dazu passt der Anstoß vom letzten Wochenende, das leidige Beutekunst-Problem zwischen Deutschland und Russland endlich auf Lösungskurs zu bringen. Dazu passt die schon verabredete Reise-Agenda Putins, die ihn bis zum Sommer noch in die wichtigsten Politikzentralen des Westens führen wird.

Wenn am Sonntag im Kreml die Sektgläser klingen, wird das Sterben im Kaukasus nicht unterbrochen. Putins Härte im Umgang mit den tschetschenischen Kämpfern hat ihm zuhause wahlwirksame Sympathie eingebracht. Die westliche Erleichterung über die Wiederkehr von Handlungsfähigkeit und Verlässlichkeit an Russlands Spitze hat die berechtigte Kritik am militärischen Vorgehen in Tschetschenien gedämpft. Jetzt bringt die einfallslose, erfolgsunfähige Fortsetzung der Scharmützel in den Kaukasusbergen niemanden mehr etwas. Putin braucht dringend eine politische Exit-Strategie aus dem Tschetschenienkrieg. Andernfalls helfen ihm auch die derzeit günstigen ökonomischen Daten nicht zur Verfestigung seiner Sympathiewerte in der russischen Gesellschaft. Der Gläserklang bei der Vereidigung kann diese unabweisbare Notwendigkeit nicht übertünchen.