SPD geht bei EU-Osterweiterung in die Offensive

Zur Beschlussfassung der SPD-Bundestagsfraktion über eine politische Kampagne in Sachen Osterweiterung der Europäischen Union erklären die beiden Stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Gernot Erler und Joachim Poß sowie der Europapolitische Sprecher Günter Gloser:

Nach eingehender Diskussion, in deren Mittelpunkt ein detaillierter Sachstandsbericht von EU-Kommissar Günter Verheugen zum Erweiterungsprozess der Union stand, hat die SPD-Bundestagsfraktion am Mittwochabend einstimmig beschlossen, eine politische Schwerpunktkampagne zur Flankierung des europäischen Erweiterungsprozesses durchzuführen.

Grundlage dieser Kampagne ist ein "Positionspapier zur Osterweiterung der Europäischen Union" (Text s. Anhang), das die Entschlossenheit der SPD bekräftigt, an dem historischen Projekt der europäischen Integration auch in der jetzt beginnenden schwierigen Entscheidungsphase ohne Einschränkung festzuhalten. In fünf Eckpunkten zur EU-Osterweiterung werden dafür die entscheidenden Gründe genannt.

· Die Osterweiterung schafft Sicherheit für Deutschland und Europa.

· Die Aufnahme der ost- und südosteuropäischen Transformationsstaaten in die europäische Wertegemeinschaft sichert die dort geleisteten Demokratisierungs- und Reformprozesse definitiv ab.

· Ganz Europa, besonders aber Deutschland, wird durch die Erweiterung der Union wirtschaftlich profitieren und kann mit deutlichen Wohlstandsgewinnen rechnen.

· Risiken und Herausforderungen können in bestimmten Branchen und besonders in grenznahen Regionen auftauchen, lassen sich aber durch gezielte politische Strategien auf nationaler und europäischer Ebene erfolgreich unter Kontrolle bringen.

· Versuche, Ängste vor den Folgen der Osterweiterung zu schüren und sie für parteipolitische Zwecke zu instrumentalisieren, dürfen keinen Erfolg haben und müssen mit einer breit angelegten europapolitischen Offensive beantwortet werden.

Die SPD-Bundestagsfraktion will bei diesem Schwerpunktthema eng mit der Bundesregierung zusammenarbeiten, besonders aber ihr eigenes politisches Potential aktivieren. Sie verpflichtet sich in dem einstimmigen Beschluss zu einer ressortübergreifenden Flankierungsstrategie für den Erweiterungsprozess, der aus mehreren Bausteinen besteht: Noch stärker als bisher will die Fraktion politische Initiativen zugunsten der Regionen und Branchen ergreifen, in denen mit der Erweiterung der Union ein verstärkter Konkurrenzdruck zu erwarten ist. Auf gemeinsamen Foren mit Gewerkschaften und Industrie sollen Fragen der Erweiterung geklärt und zugleich populistische Attacken gegen die europäische Integration abgewiesen werden. Ein breit angelegter Dialog soll die proeuropäischen Kräfte aus den europäischen Schwesterparteien, aus dem Europäischen Parlament sowie aus den Landtagen und Landesregierungen zusammenführen und bündeln. Für die Arbeit in den Wahlkreisen werden die beteiligten Fraktionsarbeitsgruppen bis zum Herbst ein detailliertes Argumentationspapier vorlegen und der Fraktion über die schrittweise Umsetzung der erteilten Aufträge regelmäßig berichten.

Mit diesem Programm geht die SPD-Bundestagsfraktion in Sachen EU-Osterweiterung in die politische und argumentative Offensive. Die beschlossene Kampagne will mit den Instrumenten der politischen Aufklärung, des Dialogs und der Vertrauensarbeit präventiv alle Versuche populistischer Stimmungsmache gegen den europäischen Integrationskurs, egal von welcher Seite sie kommen, von vornherein den Wind aus den Segeln nehmen. Die gegenwärtige europäische Aufbruchsstimmung, die vom deutschen Außenminister mit seiner Europa-Rede am 12. Mai angestoßen wurde und mit der Rede des französischen Präsidenten vor dem Deutschen Bundestag am 27. Juni einen neuen Höhepunkt erfuhr, bietet dafür hoffnungsvolle Rahmenbedingungen.

Nachstehend wird der Text des am 28.6.2000 beschlossenen Positionspapiers im Wortlaut dokumentiert:
Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion zur Osterweiterung der Europäischen Union

Beschlossen am 28.6.2000

Für eine Strategie zur Flankierung des Erweiterungsprozesses

Die europäische Integration ist das wichtigste und erfolgreichste politische Vorhaben in der jüngsten Geschichte unseres Kontinents. Nach der Vollendung des europäischen Binnenmarkts und der Wirtschafts- und Währungsunion gilt es nun, mit der Osterweiterung der Europäischen Union ein weiteres historisches Projekt zu bewältigen. Wir müssen alles dafür tun, damit dieses Projekt der europäischen Integration ein Erfolg wird. Dazu müssen die institutionellen Strukturen der EU noch in diesem Jahr grundlegend reformiert werden, damit die EU neue Mitglieder aufnehmen kann. Viele Bürgerinnen und Bürger verbinden mit der Osterweiterung konkrete Befürchtungen. Auf diese Sorgen werden wir eine politische Antwort geben.

Mit dem Näherrücken der konkreten Entscheidungen hat in Deutschland eine politische Kontroverse über die Osterweiterung der EU begonnen. Immer deutlicher wird die Gefahr, dass führende Kräfte der CDU/CSU den bisher geltenden europapolitischen Konsens aufkündigen und auf einen populistischen Kurs gegen die europäische Integration einschwenken, weil sie sich davon parteipolitische Vorteile versprechen.

Die SPD wendet sich entschieden gegen solche Versuche und bekennt sich ohne Einschränkung zu Deutschlands europäischen Verpflichtungen. Mit seiner "Europapolitischen Grundsatzerklärung" vom 13. März 2000 hat das SPD-Präsidium deutlich gemacht, dass die SPD von dem europäischen Integrationskurs nicht abweichen wird.

Die SPD-Bundestagsfraktion will gemeinsam mit dem Bundeskanzler, der Bundesregierung und der SPD, wie in dieser Grundsatzerklärung angekündigt, für die sozialdemokratischen europapolitischen Ziele streiten und werben. Sie sieht Handlungsbedarf bei der politischen Information über die Folgen der Erweiterung und bereitet eine fachübergreifende Strategie zur Flankierung des Erweiterungsprozesses vor.

Eckpunkte der SPD-Bundestagsfraktion zur EU-Osterweiterung

1. Der europäische Integrationsprozess schafft Sicherheit für Deutschland, Sicherheit für Europa.

Die Aufnahme neuer Mitglieder in die Europäische Union als Abschluss eines langen Transformationsprozesses erweitert die Zone der Stabilität, Sicherheit und Prosperität in Europa. Deutschland bekommt im Osten und Südosten Nachbarn, die den Werten und Zielen von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Schutz der Menschenrechte verpflichtet sind und die auf Schutz und Unterstützung Anspruch haben. Das erweitert die Sicherheit Deutschlands. Die Konflikte und Kriege auf dem Balkan beweisen die fundamentale Bedeutung des europäischen Integrationsprozesses für Frieden, Sicherheit und Stabilität in Europa, zu dem es keine Alternative gibt.

2. Durch die Aufnahme in die Europäische Union werden die Demokratisierungs- und Reformprozesse in den ost- und südosteuropäischen Beitrittsländern gefestigt und abgesichert.

Nach den Umbruchjahren von 1989/1990 haben der Transformationsprozess und die Vorbereitungen auf ihren Weg in die Europäische Union den ost- und südosteuropäischen Kandidatenländern große Anstrengungen und Leistungen abgefordert. Die neuen demokratischen Eliten in den Beitrittsstaaten haben bewundernswerten Mut und überzeugende Handlungsfähigkeit bei den keineswegs immer populären Reformprozessen an den Tag gelegt.
Die wirtschaftlichen Erfolge sind in den meisten Reformländern inzwischen unübersehbar. Sie zeigen, dass der Kurs der politischen und wirtschaftlichen Angleichung an die Europäische Union der richtige Weg ist. Den Menschen in den Transformationsländern wurden im Zuge dieser Transformation einschließlich der Annäherung an die EU erhebliche Anstrengungen abverlangt. Viele spüren, dass auch künftig noch erhebliche Anpassungslasten auf sie zukommen. Die Bewerberländer brauchen und verdienen deshalb weiterhin unsere nachhaltige Unterstützung auf ihrem Weg in die Europäische Union. Auch die beitrittswilligen Länder müssen künftig durch Übertragung von Souveränitätsrechten die weitere Vertiefung der EU auf ihrem Weg zur Politischen Union mitgestalten. Die Absicherung von Demokratie und Transformation in den Nachbarländern liegt im gemeinsamen Interesse. Ihre Aufnahme in die Europäische Union wird die Demokratisierung und die umfassenden Reformanstrengungen festigen.

3. Europa und besonders Deutschland werden durch die Erweiterung der Europäischen Union Wohlstandsgewinne erzielen.

Die Erweiterung macht die EU zum weltweit größten Binnenmarkt und kann ihre globale Wettbewerbsfähigkeit stärken. Deutschland ist einer der wichtigsten Handelspartner der ost- und südosteuropäischen Beitrittsländer und erzielt schon seit Jahren hohe Handelsüberschüsse (1999: zehn Mrd. DM) im Güter- und Dienstleistungsaustausch mit diesen Nachbarstaaten. Allein durch die Handelsbeziehungen mit Osteuropa werden in Deutschland derzeit rd. 80.000 Arbeitsplätze gesichert. Der Erweiterungsprozess beschert vor allem Deutschland, Italien und Österreich die spürbarsten Wohlstandsgewinne, wirkt sich aber im Saldo auch für die übrigen Mitgliedstaaten positiv aus. Dabei geht es nicht nur um Arbeitsplatzsicherung in den Exportindustrien und um Außenhandelsüberschüsse, sondern auch um die dauerhafte Erschließung neuer Wachstumsmärkte und die Verbesserung von globaler Wettbewerbsfähigkeit durch eine europäische Arbeitsteilung mit wechselseitigen Vorteilen. Gerade das wachsende Lebenshaltungsniveau und die sich verstärkende Kaufkraft in den Beitrittsstaaten als Folgeerscheinungen des europäischen Integrationsprozesses setzen Wachstumsimpulse, von denen die gesamte EU profitieren wird.

4. Partiell auftretende Risiken und Herausforderungen der Osterweiterung sind durch eine vernünftige Politik beherrschbar.

Bereits heute ist absehbar, dass die positiven gesamtwirtschaftlichen Effekte der Osterweiterung eventuelle negative Effekte bei weitem überwiegen werden. Das schließt nicht aus, dass einige Risiken und Herausforderungen zeitlich vor den positiven Resultaten der Osterweiterung auftreten und dadurch in der Wahrnehmung der Menschen einen höheren Stellenwert einnehmen als die zu erwartenden Vorteile. Der Herausforderung durch regional und sektoral auftretende Risiken mit möglichen Auswirkungen auf die Konkurrenzfähigkeit und Beschäftigungssituation in bestimmten Branchen und Regionen wird sich die SPD stellen, um Vorbehalte gegen die Osterweiterung so früh wie möglich auszuräumen.
Die umfangreichen und sorgfältigen Beitrittsverhandlungen haben den Sinn, Risiken für die Beitrittsländer wie auch für die Europäische Union so gering wie möglich zu halten. Risiken können zum Beispiel durch nicht ausreichende Wettbewerbsfähigkeit und durch das große Wohlstands- und Lohngefälle zwischen Alt- und Neumitgliedern erwachsen. Ein konkreter Beitrittstermin kann erst nach befriedigenden Ergebnissen in allen 31 Verhandlungskapiteln festgelegt werden. In sensiblen Bereichen, wie zum Beispiel der Arbeitnehmerfreizügigkeit oder der Dienstleistungsfreiheit wird es, wie bei den früheren EU-Erweiterungen, Übergangsregelungen geben. Trotz der unbestreitbaren Wohlstandsgewinne für die EU insgesamt werden einzelne Branchen, strukturschwache Regionen und Regionen entlang der deutschen Ostgrenze einem verstärkten strukturellen Anpassungsdruck ausgesetzt sein. Auf diese Herausforderungen müssen und werden die Bundesregierung und die EU mit einer spezifischen regionalen Flankierungsstrategie antworten.

5. Die SPD-Bundestagsfraktion wird alle Versuche, Ängste gegen die EU-Osterweiterung zu schüren und diese für parteipolitische Zwecke zu instrumentalisieren, mit einer europapolitischen Offensive beantworten.

Wir bleiben verlässliche Partner auf dem Weg in ein größeres, leistungsfähigeres und friedliches Europa, das nicht mehr durch politische und soziale Grenzlinien zerrissen wird - verlässlich für unsere Bürger, die von dem erweiterten Europa profitieren werden, verlässlich für unsere EU-Partner, die auf ein europatreues Deutschland setzen, und verlässlich für unsere Nachbarn im Osten und Südosten, die ihre ganzen Hoffnungen auf den europäischen Integrationsprozess und Deutschlands Beitrag dazu setzen.

Wenn unsere politischen Konkurrenten auf einen vermeintlich populären antieuropäischen Kurs umschwenken sollten, dann werden wir uns dem konsequent entgegenstellen. Vor allem aber werden wir uns der sachlichen und fachlichen Diskussion stellen und offensiv darüber aufklären, weshalb der Erweiterungsprozess der EU ohne Alternative bleibt, welche enormen Möglichkeiten und Chancen in ihm für Europa als ganzes und für Deutschland im besonderen liegen und über welche Fähigkeiten wir verfügen, dort, wo es auch zu Herausforderungen und Risiken kommt, diese zu beherrschen und zu beantworten.

Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt in dieser Frage die Politik des Bundeskanzlers und der Bundesregierung und wird dies durch eine europapolitische Offensive zum Ausdruck bringen, die sich aus folgenden Bausteinen zusammensetzen wird:

· Erarbeitung von konkreten politischen Vorschlägen zur Absicherung und Flankierung des Erweiterungsprozesses in den deutschen Regionen, in denen durch die Osterweiterung besondere Herausforderungen und Risiken bestehen;

· Erstellung eines detaillierten Argumentationspapiers zu allen Fragen der EU-Osterweiterung für die Arbeit in den Wahlkreisen bis Herbst 2000;

· Organisation politischer Foren gemeinsam mit Industrie und Gewerkschaften zu den sensiblen Fragen der EU-Osterweiterung, auch zur öffentlichen Auseinandersetzung mit populistischen antieuropäischen Tendenzen;

· Verstärkung des Dialogs und der politischen Zusammenarbeit mit den europäischen Partnerparteien, ihren nationalen Parlamentsfraktionen, mit der SPE-Fraktion des Europaparlaments sowie mit den SPD-Landtagsfraktionen und den sozialdemokratischen Landesregierungen zur Stabilisierung des europäischen Integrationsprozesses und zur Abwehr des politischen Geschäfts mit der Angst vor der EU-Osterweiterung;

· Regelmäßige Berichterstattung und Diskussion zum Stand des Erweiterungsprozesses und der für ihn notwendigen Begleitstrategien in der SPD-Bundestagsfraktion.

Zum aktuellen Sachstand der EU-Osterweiterung

1. Die Verhandlungen mit den Beitrittskandidaten

Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts hat die EU mit zehn mittel- und osteuropäischen Staaten Assoziierungsverträge abgeschlossen, die auf die Aufnahme in die EU vorbereiten sollten. Der Europäische Rat hat 1993 in Kopenhagen die Bedingungen für künftige Beitritte zur Europäischen Union festgelegt. Wesentliche Elemente der sogenannten "Kopenhagener Kriterien" sind eine demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, die Wahrung der Menschenrechte und eine funktionsfähige Marktwirtschaft, die dem Wettbewerb der Gemeinschaft gewachsen ist. Die strikte Einhaltung dieser Beitrittskriterien ist die Voraussetzung für einen erfolgreichen Erweiterungsprozess.

Der Europäische Rat von Luxemburg hat im Dezember 1997 die Erweiterung eingeleitet, indem er den Beitrittsprozess für alle zehn assoziierten mittel- und osteuropäischen Staaten und Zypern eröffnete und die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit sechs Kandidaten beschloss. Seit März 1998 wird mit den ersten sechs Kandidaten Estland, Polen, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern über den Beitritt verhandelt. Nach dem Beschluss des Europäischen Rates im Dezember 1999 in Helsinki wurde die Verhandlungsrunde um folgende Staaten erweitert: Bulgarien, Lettland, Litauen, Malta, Rumänien und Slowakische Republik. Mit den zuletzt genannten Staaten wurden die Verhandlungen am 15. Februar 2000 förmlich eröffnet, am 14. Juni dieses Jahres fand die zweite Verhandlungsrunde auf Außenministerebene statt.

Die Europäische Union unterstützt den Reformprozess und die Beitrittsvorbereitungen der Staaten Mittel- und Osteuropas durch Beitrittspartnerschaften, das sogenannte Phare-Programm und spezielle Heranführungsinstrumente im Bereich Landwirtschaft und Strukturpolitik. Die Entwicklung auf dem Weg zur Beitrittsfähigkeit wird kontinuierlich überprüft und in den Fortschrittsberichten durch die EU-Kommission für jedes Beitrittsland untersucht und bewertet.

Mit den Beitrittskandidaten werden die insgesamt 31 Kapitel der gemeinsamen Gesetzgebung, der sogenannte "Acquis Communautaire", verhandelt. Die Verhandlungsstrategie ist bewusst differenziert angelegt und orientiert sich am Vorbereitungsstand jedes einzelnen Bewerberlandes. Mit den fünf mittel- und osteuropäischen Ländern, mit denen seit 1998 Verhandlungen geführt werden, sind inzwischen alle substanziellen Verhandlungskapitel eröffnet worden.

Die Verhandlungen mit Polen, Ungarn, der Tschechischen Republik, Estland und Slowenien treten in diesem Jahr in die entscheidende Phase. Die nun zur Verhandlung anstehenden Kapitel sind für beide Seiten nicht einfach. So stellt zum Beispiel der absehbare massive Strukturwandel in der Landwirtschaft Polen vor erhebliche wirtschaftliche und soziale Probleme. Es kann deshalb nicht verwundern, dass bereits im Vorfeld der Verhandlungen zum Agrarkapitel Schwierigkeiten aufgetreten sind. Es ist nicht auszuschließen, dass sich der Verhandlungsprozess auch in anderen Bereichen noch sehr schwierig gestalten wird.

2. Die Finanzierung der Erweiterung

Die Agenda 2000, die unter deutscher Präsidentschaft von der EU verabschiedet wurde, bildet den Finanzrahmen der Gesamtausgaben der Gemeinschaft im Zeitraum 2000 bis 2006. Darin sind auch die Kosten für die Erweiterung von 2000 bis zum Jahr 2006 enthalten. Das Gesamtvolumen der Vorbeitrittskosten beläuft sich auf 21,84 Mrd. Euro, also 3,12 Mrd. Euro pro Jahr. Damit werden über die Programme
· SAPARD mit 3,64 Mrd. Euro Landwirtschaft und Entwicklung des ländlichen Raums,
· ISPA mit 7,28 Mrd. Euro Ausbau der Infrastruktur in den Bereichen Verkehr und Umwelt
· Phare mit 10,92 Mrd. Euro Unterstützung des Verwaltungsaufbaus und investive Maßnahmen zur Übernahme der mit dem Beitritt verbundenen wirtschaftlichen und rechtlichen Verpflichtungen (Acquis Communautaire).
Heranführungshilfen finanziert.

Das Gesamtvolumen für die Ausgaben nach dem Beitritt (Annahme der Agenda 2000: ab dem Jahr 2002) beläuft sich bis zum Jahr 2006 auf insgesamt 58,07 Mrd. Euro. Dabei sind vorgesehen:
· 39,58 Mrd. Euro für Strukturförderung
· 12,41 Mrd. Euro für den Agrarbereich
· 3,95 Mrd. Euro für interne Politiken
· 2,13 Mrd. Euro für Verwaltungsausgaben.

Sowohl bei den Vorbeitrittshilfen als auch bei den Beitrittsausgaben handelt es sich um Höchstbeträge, die nicht überschritten werden dürfen. Es ist darauf hinzuweisen, dass bei dieser Finanzplanung die Obergrenze der EU-Ausgaben, die auf 1,27 Prozent des Bruttosozialprodukts der EU festgelegt ist, nicht ausgeschöpft wird. Die Gesamtausgaben der EU sollen im Jahr 2006 lediglich 1,13 Prozent des EU-BSP erreichen.

Entscheidend ist die strikte Abgrenzung der Mittel für die Mitgliedstaaten und die Beitrittsländer: Die für die Mitgliedsstaaten reservierten Ausgaben dürfen nicht für Heranführungshilfen oder für die Finanzierung des Beitritts verwendet werden. Und umgekehrt: die für die Beitrittsländer vorgesehenen Finanzmittel können nicht für Ausgaben der Mitgliedsstaaten eingesetzt werden. Damit ist bis zum Jahr 2006 ein völlig getrennter Kreislauf der Ausgaben von EU-Mitgliedsstaaten und der Beitrittskandidaten gesichert.

Trotz der soliden Finanzplanung und des hohen Finanzvolumens von insgesamt 79,91 Mrd. Euro für den Erweiterungsprozess bis 2006 (zum Vergleich: der Marshall-Plan hatte für das kriegszerstörte Europa ein Gesamtvolumen von 13 Mrd. US-Dollar) unterstellen führende Vertreter von CDU/CSU der EU eine Unterfinanzierung. Die für die Erweiterung bereitgestellten Gelder reichten nicht aus, das Paket der Agenda 2000 müsse insbesondere im Bereich der Gemeinsamen Agrarpolitik aufgeschnürt und die Mitgliedstaaten mittels Kofinanzierung direkt an der Finanzierung der Gemeinsamen Agrarpolitik beteiligt werden. Mit den durch die Kofinanzierung freiwerdenden Mitteln könnten zusätzliche Erweiterungskosten gedeckt werden. Zwar streben auch wir eine Kofinanzierung an, die aber in der EU nicht durchsetzbar ist: Frankreich hat sowohl gegenüber der Regierung Kohl als auch bei den Verhandlungen zur Agenda 2000 ein striktes Veto gegen die Kofinanzierung eingelegt. Insofern geht die Forderung der CDU/CSU an der Realität vorbei.

Wir stimmen mit unseren europäischen Partnern überein, dass die für die Erweiterung vorgesehenen Mittel ausreichen, zumal Beitrittskosten frühestens ab 2003 anfallen und damit bis zum Zeitpunkt der ersten Beitritte Minderausgaben entstehen.

Die Finanzplanung basiert allerdings darauf, dass bis 2006 keine Mittel für Preisausgleichszahlungen für die Landwirtschaft der Beitrittsländer vorgesehen sind. So verständlich der Wunsch der Kandidatenländer ist, unmittelbar nach Beitritt in den Genuss von Direktbeihilfen zu kommen, wird die EU diesen Forderungen zumindest bis zum Jahr 2006 eine Absage erteilen müssen.

3. Die institutionellen Reformen der EU als Voraussetzung der Erweiterung

Damit die EU auch nach ihrer Erweiterung handlungsfähig bleibt, sind umfangreiche Anpassungen und Veränderungen des institutionellen Rahmens der EU notwendig.

Die Staats- und Regierungschefs haben auf dem Gipfel in Feira noch einmal bekräftigt, die Regierungskonferenz zu den institutionellen Reformen in der französischen Präsidentschaft erfolgreich abzuschließen. Damit haben sie ihre Zusage gegenüber den Beitrittsländern erneuert, dass die Europäische Union ab 2003 in der Lage sein wird, neue Mitglieder aufzunehmen.

Im Vordergrund der Regierungskonferenz 2000 stehen die sogenannten Leftovers der Amsterdamer Regierungskonferenz. Dies sind:
· Größe und Zusammensetzung der Europäischen Kommission;
· Stimmengewichtung im Rat;
· Ausweitung der Abstimmungen im Rat mit qualifizierter Mehrheit im Rat.

Die verstärkte Zusammenarbeit ist nach Feira nun offiziell Gegenstand der Regierungskonferenz 2000. Wir müssen dieses Instrument nutzen, um vor dem Hintergrund der Erweiterung die weitere EU-Integration zu erleichtern.