Rede Gernot Erlers in der 116. Sitzung des Deutschen Bundestages am 12. September 2000: Haushaltsdebatte Auswärtiges Amt

Gernot Erler (SPD): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung präsentiert sich bei dieser Haushaltsdebatte mit einer positiven Leistungsbilanz zur Halbzeit. Zu der hat auch die deutsche Außenpolitik, haben auch die Aktivitäten der Bundesregierung in der internationalen Politik beigetragen. Die Basis dafür ist die gute Zusammenarbeit zwischen dem Auswärtigen Amt und dem Parlament, sind die koordinierten Aktivitäten von Regierung und Regierungsfraktionen, aber auch die im Kern derzeit nicht gefährdete Haltung eines Grundkonsenses zwischen allen Fraktionen in diesem Raum.

Herr Kollege Lamers, an diesem Eindruck haben Sie durch Ihre - entschuldigen Sie - etwas lustlos vorgetragene Kritik in kleiner Münze nichts ändern können. Der Grundkonsens wird nicht beschädigt, wenn Sie etwas zu Österreich sagen, ein bisschen zu etwas mehr Geld, wobei Sie wieder nicht sagen, woher es kommen soll, und dann noch das Thema Rüstungsexporte antippen.

Lokomotive dieses Erfolges ist der Außenminister selbst. Das kann er nur durch die tüchtige Arbeit von vielen tausend Mitarbeitern, im Hause wie auch im Ausland. Ich finde, dafür muss man auch einmal Dank und Anerkennung in dieser Debatte aussprechen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Lohn ist - auch das scheint Ihnen entgangen zu sein, Herr Kollege Lamers - eine sehr breite, eine erstaunlich breite Zustimmung der Bevölkerung für die Außenpolitik und für den Außenminister.

Im Gegensatz zu Ihnen stelle ich für die SPD-Bundestagsfraktion fest, dass die rot-grüne Regierung die richtigen Prioritäten setzt. Es ist richtig, jetzt das Hauptaugenmerk - das haben wir gerade wieder gehört - auf den Erfolg bei den strukturellen Reformen und beim Vertrag von Nizza zu legen, zugleich die Osterweiterung sorgfältig vorzubereiten und Frankreich bei seiner wahrscheinlich historischen Aufgabe im Rahmen der gegenwärtigen Präsidentschaft zu unterstützen. Herr Außenminister, wir freuen uns, dass Sie jetzt - dabei werden wir Sie unterstützen - mit guten Argumenten für die Osterweiterung noch mehr in die Öffentlichkeit gehen wollen.

(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])

Es ist unverzichtbar, bei den Bemühungen um eine Stabilisierung in Südosteuropa keinen Moment nachzulassen, neue Perspektiven auch im Sinne der europäischen Integration dieser Länder für diese Region zu schaffen und dafür die Möglichkeiten des von Deutschland angestoßenen Stabilitätspaktes voll zu nutzen. Es ist vernünftig - das ist eine weitere Priorität -, die Instrumente präventiver Politik zu erweitern und sie zum Beispiel intensiv in jener konfliktreichen Zone anzuwenden, die vom Nahen Osten über den Kaukasus bis hin zum Kaspischen Meer reicht. Hier geht es um die nächsten Bewährungsproben einer vorausschauenden Friedenspolitik. Deshalb wollen wir, dass Barak und Arafat zu einer Friedenslösung kommen. Deshalb wollen wir nicht nur, dass im Kaukasus die Kampfhandlungen auslaufen, sondern auch, dass dort Konzepte einer politischen Stabilität für die ganze Region Raum greifen.

(Beifall des Abg. Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD])

Deshalb wollen wir, dass soziale, wirtschaftliche und politische Dämme gegen eine Ausbreitung des gewaltbereiten islamischen Fundamentalismus in Zentralasien und in der kaspischen Region errichtet werden. Es ist gut, dass der Bundeskanzler in New York die deutsche Unterstützung für eine handlungsfähige Weltorganisation zum Ausdruck gebracht hat. Der deutsche Beitrag zur Stärkung der Vereinten Nationen ist aus der Sicht der SPD-Bundestagsfraktion noch ein bisschen wichtiger als der Titel "Weltstaatsmann", den der Bundeskanzler mitgebracht hat und zu dem wir ihm gleichwohl herzlich gratulieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist notwendig, dass wir die Arbeit der Weltorganisation durch Beiträge zu einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung erleichtern. Wir begrüßen ausdrücklich, dass der Bundeskanzler eine deutsche Beteiligung an Kofi Annans Initiative angekündigt hat, die Zahl der Menschen, die am stärksten in Armut leben, weltweit bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Das ist die vernünftige Fortsetzung der Kölner Entschuldungsinitiative, die eine Erweiterung auf dem G8-Gipfel in Okinawa erfahren hat.

Aus aktuellem Anlass füge ich, besonders an die rechte Seite des Hauses gerichtet, hinzu: Es kann nicht angehen, dass wir die Explosion der Rohölpreise auf dem Weltmarkt nur durch die Brille des deutschen Verbrauchers an der Zapfsäule betrachten, anstatt uns auch um die Existenzgefährdung von Millionen von Menschen zu kümmern, die ein Dauerhochpreis für Brennstoffe auslöst.

(Beifall bei der SPD - Walter Hirche [F.D.P.]: Wir nehmen viermal so viel Steuern pro Liter wie die Förderländer!)

- Hier handeln Sie schon wieder mit kleiner Münze.

(Walter Hirche [F.D.P.]: Es geht schon um Entwicklung!)

Schließlich nenne ich den letzten Punkt der Prioritäten: Inzwischen ist unbestritten, dass die Entscheidung über das Holocaust-Denkmal, unsere Beschlüsse zum Zwangsarbeiterabkommen und die Art, wie sich die Deutschen mit dem Rechtsradikalismus im eigenen Land auseinander setzen, eine internationale und kaum zu überschätzende Wirkung und Bedeutung haben. Aber besonders im Hinblick auf den Kampf gegen den Rechtsradikalismus wäre es fatal, diese Aufgabe auf eine Standortfrage zu reduzieren. Gerhard Schröder hat bei seiner Rede vor den deutschen Botschafterinnen und Botschaftern am 4. September, die eben schon zitiert wurde, hierzu eine gute Position formuliert, die ich zitieren möchte:

Ausländerfeindlichkeit und neonazistische Gewalt werden wir in Deutschland nicht dulden. Hierzu verpflichten uns nicht nur historische Gründe. Es geht auch nicht allein um den Ruf unseres Landes im Ausland, um Investoren aus dem Ausland oder dringend benötigte Spitzenkräfte für Wirtschaft und Wissenschaft. Nein, es geht um ein elementares Prinzip unserer Demokratie. Wir dürfen nicht an den Grundwerten unserer Gesellschaft rütteln lassen. Wenn Grundrechte wie Menschenwürde und körperliche Unversehrtheit nicht für alle Bürger, also auch für die ausländischen Mitbürger, gleichermaßen gelten, dann ist unsere Werteordnung in ihrem Keim gefährdet.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist eine hervorragende Position, die ich von unserer Seite ausdrücklich unterstütze.

Meine Damen und Herren, Deutschland ist heute ein verlässlicher und anerkannter Partner in der internationalen Politik. Für die Bürger der Hauptstadt wurde das zuletzt sichtbar in den großen Staatsbesuchen von Clinton, Blair, Chirac, Putin, Zhu Rongji, Khatami und vielen anderen.

Manchmal kann Ansehen und Einfluss des Heimatlandes auch für einen einzelnen Bürger Bedeutung bekommen. Wir freuen uns, dass die Bemühungen der Bundesregierung um die Freilassung der Familie Wallert zum Schluss von Erfolg gekrönt wurden. Wir danken allen daran Beteiligten und auch der Republik Libyen für ihre Unterstützung. Ich finde, dass ebenfalls die Familie Wallert selbst, die unter größter Belastung ein Höchstmaß an Übersicht und Selbstkontrolle bewahrt hat, hier Dank und Anerkennung verdient.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt die Bundesregierung in allen Hauptaufgaben der internationalen Politik, setzt selbst aber auch eigene Schwerpunkte. In dieser Haushaltsdebatte haben wir die drei wichtigsten zu nennen: Besondere Prioritäten haben für uns die erfolgreiche Umsetzung des Stabilitätspaktes für Südosteuropa, die parlamentarische Begleitung der Entwicklung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union, der so genannten GASP, und eine eigene Initiative zur öffentlichen Information und Argumentation in Sachen Osterweiterung der EU. Einzelheiten hierzu wird nachher mein Kollege Günter Gloser vortragen.

Der Stabilitätspakt ist und bleibt der große Test für die Fähigkeit Europas zu einer langfristigen, auf Inklusion und Kooperation abzielenden präventiven Friedenspolitik. Der EU-Sonderbeauftragte Bodo Hombach leistet - das ist längst europaweit anerkannt - mit einem erstaunlich kleinen Team eine erstaunlich umfangreiche und wirksame Arbeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt und begleitet diese Arbeit durch eine spezielle Arbeitseinheit. Wir haben den Anstoß dazu gegeben, in das vielgliedrige Gebäude des Stabilitätspakts auch ein parlamentarisches Stockwerk einzuziehen, unter anderem durch die Organisation und Durchführung von zwei Parlamentarierkonferenzen: die erste im Oktober letzten Jahres in Berlin und die zweite im Juni dieses Jahres in Dubrovnik.

Wir freuen uns, dass unser Staffelstab inzwischen auch von anderer Seite aufgenommen wurde. Gerade heute und morgen findet in Zagreb ein Gipfel aller Parlamentspräsidenten der Stabilitätspaktstaaten statt, an dem unter anderem Vizepräsidentin Antje Vollmer und die Kollegin Uta Zapf teilnehmen. Wir erwarten von diesem Gipfel weitere Anstöße für die notwendige parlamentarische Dimension des Stabilitätspakts.

Im Zuge der Haushaltsdebatte möchte ich in Sachen Stabilitätspakt eine sehr klare Erwartung zum Ausdruck bringen: Die Bundesrepublik hat mit der Ankündigung Eindruck gemacht, 1,2 Milliarden DM in vier Jahren zur Verfügung zu stellen, und dieser wichtige Beitrag darf auf keinen Fall in Frage gestellt werden,

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

und zwar weder durch eine Reduzierung der 1,2 Milliarden DM noch durch eine zu weit greifende Streckung noch durch eine Verwendung für andere Projekte als für die des Stabilitätspaktes.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Ich kündige an, dass meine Fraktion hier sehr energische Initiativen ergreifen wird, um diese drei Punkte sicherzustellen und damit jeden Zweifel an dem für uns wichtigen Punkt, Erfolg des Stabilitätspakts, im Keim zu ersticken.

Bei dem zweiten wichtigen Schwerpunkt, GASP, geht es meiner Fraktion ebenfalls um die Rolle des Parlaments bei einer solchen fundamentalen Weiterentwicklung Europas. Unerwartet schnell hat sich im letzten Jahr der Hohe Repräsentant Javier Solana eine eigene Stellung aufgebaut; zudem existieren inzwischen in der Umsetzung
der Beschlüsse von Helsinki ein ganzes Bündel von neuen Institutionen der GASP, und zwar sowohl militärische als auch nicht militärische. Wir haben Gespräche mit allen unseren Schwesterparteien und mit Herrn Solana in Brüssel geführt und dabei festgestellt: Es wird noch ein langer Weg sein, bis die verschiedenen Kulturen bei der Aufgabe von Souveränitätsrechten zusammenkommen werden.

Uns ist hierbei besonders wichtig, dass nicht militärische Initiativen und Institutionen nicht zurückbleiben. Dies bedeutet die Verstärkung der präventiven Fähigkeiten im Rahmen der GASP. Unsere Fraktion wird hierzu im Herbst einen ausführlichen Bericht vorlegen.

Es gibt einen Schwerpunkt bei dem Aufbau präventiver Fähigkeiten und der muss sich auch in Haushaltsentscheidungen niederschlagen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nach meiner Meinung verträgt sich eine Kürzung um 20 Millionen DM in diesem Bereich nicht mit der angesprochenen Prioritätensetzung. Auch hier werden wir uns kräftig einsetzen, um eine Korrektur zu erreichen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe schon darauf hingewiesen, dass der Kollege Gloser etwas zu dem dritten Schwerpunkt, nämlich zu der EU-Erweiterung, vortragen wird. Deshalb kann ich mir meine Ausführungen hierzu sparen. Ich möchte nur so viel sagen: Mit einem Teil seiner Initiative - diesen akzeptieren wir alle in der SPD - hat Günter Verheugen offene Türen eingerannt, nämlich als er die politischen Eliten aufgefordert hat, aktiver auch mit den berechtigten, nachvollziehbaren und beantwortbaren Sorgen der Bürger umzugehen. Wir haben schon vor seinem Appell unsere Entscheidung getroffen und eine Art Gesamtkonzept zu diesem Bereich vorbereitet.

Mein Fazit ist: Es bekommt diesem Land gut, wenn der nationale und internationale Grundkonsens gewahrt bleibt. Herr Kollege Lamers, ich möchte betonen: Ich habe Ihren Ausführungen nicht entnehmen können, dass die CDU/CSU diesen Pfad verlassen möchte. Wir sind bereit, den Grundkonsens in den wichtigen Fragen aufrechtzuerhalten und auszubauen und zugleich für eine breite Zustimmung der Öffentlichkeit und der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes hierfür zu sorgen. Wir können im Augenblick über das Ausmaß des Grundkonsenses hinsichtlich der Außenpolitik dieser Regierung froh sein. Dass dies deutliche eigene Schwerpunkt- und Akzentsetzungen der größeren Regierungspartei nicht ausschließt, habe ich versucht darzulegen.

Ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)