Rühes Herbstjagd gegen die deutsche Außenpolitik: Halali mit Hornversagen!

Zum CDU/CSU-Antrag zur Außenpolitik der Bundesregierung, den der Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Volker Rühe heute der Öffentlichkeit präsentiert, erklärt der für internationale Politik zuständige Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Gernot Erler:

Das Billigversandhaus-Angebot des Volker Rühe kann dem Markenprodukt, das die Außenpolitik der Rot-Grünen Bundesregierung zuhause wie im Ausland darstellt, nichts anhaben.

Unschwer ist zu erkennen, dass die Union mit brachialen verbalen Kampfmitteln auf Teufel komm raus in die Offensive gehen will. Das misslingt, da sich auf 10 Seiten nicht ein einziger neuer konstruktiver Gedanke findet. Die Attacken verpuffen, da alle Forderungen entweder horrende zusätzliche Ausgaben implizieren (ein Deckungsvorschlag dafür wird mit keiner Silbe erwähnt), oder in sich komplett widersprüchlich sind oder in pathetischer Weise längst laufende Initiativen der Bundesregierung anmahnen:

Rühes Weihnachts-Wunschliste

Die CDU verlangt gleichzeitig, vielmehr Geld in die Bundeswehr und die europäischen militärischen Fähigkeiten zu stecken, den Auswärtigen Dienst besser auszustatten, den Etat für die Entwicklungszusammenarbeit drastisch und unter Rückgängigmachung der regionalen und sektoralen Schwerpunktbildung aufzustocken, mehr Mittel für die globalen Herausforderungen bereitzustellen, die Beschränkungen der Aufwendungen für Europa in der "Agenda 2000" aufzuheben sowie die Transformation in den ostmitteleuropäischen Staaten stärker finanziell zu unterstützen.

Überschlägig gerechnet entsprechen diese Forderungen etwa einem Volumen von 100 bis 120 Milliarden DM. Unseriöserweise verzichtet die Union auf jeden Hinweis, wie diese Weihnachts-Wunschliste finanziert werden soll.

Hauptsache dagegen, und sei's gegen die eigene Logik

Beispiel Türkei: Die Union mahnt von der Bundesregierung "alle Anstrengungen" an, "die Türkei wirtschaftlich, politisch und institutionell enger mit Europa zu verbinden". Die Mitglieder die Europäischen Union haben auf dem EU-Gipfel in Helsinki beschlossen, genau dieses Ziel über einen Kandidatenstatus Ankaras zu verfolgen. Die zwischenzeitlichen Ergebnisse werden allseits als besser bewertet als die aus der in Luxemburg 1997 beschlossene Ausgrenzungsstrategie. Was macht die Union? Sie kritisiert die Bundesregierung dafür, "zumindest verfrüht" auf eine "Verleihung des EU-Beitrittskandidatenstatus" für die Türkei gedrängt zu haben!

Beispiel Russland: In einem einzigen Absatz schaffen es die christdemokratischen Autoren, die Bundesregierung aufzufordern, die russische Regierung "für ein stärkeres Engagement europäischer Investoren" zu Reformen zu drängen, gleichzeitig aber "weitere staatliche Kredite solange nicht zu gewähren, solange nicht die erforderlichen Voraussetzungen für den Aufbau einer Marktwirtschaft gegeben sind und der Krieg in Tschetschenien beendet ist"! Die Bundesregierung folgt zum Glück nicht solchen widersprüchlichen Ratschlägen, sondern hat zusammen mit der neuen russischen Führung von Präsident Putin die Hindernisse für eine Wiederaufnahme der Hermes-Kredite ausgeräumt, ohne die europäische und deutsche Investoren in Russland praktisch nicht arbeiten können.

Beispiel EU-Osterweiterung: Die Bundesregierung soll einerseits, so meint die Union, die osteuropäischen Beitrittskandidaten stärker unterstützen "und die Beitrittsverhandlungen nicht weiter verzögern". Andererseits kritisiert das Papier die Bundesregierung dafür, sich auf dem Helsinki-Gipfel für "leichtfertig weitreichende Entscheidungen über die künftige Größe und Zusammensetzung der Europäischen Union" eingesetzt zu haben. Vorher hätte es eine "Klärung über das Selbstverständnis, die Gestalt und die Grenzen der EU" geben müssen, was ja wohl einen erheblichen Zeitaufwand erfordert hätte. Und überhaupt solle es zwar eine "baldige", aber "realistische Erweiterung um mitteleuropäische Staaten" geben - was immer das heißen mag!

Allein dieses inkonsistente "Sowohl-als-auch, das nur in abstrakten Sonntagsreden zusammenpasst" (Richard Meng in der "Frankfurter Rundschau", 24.10.2000) der Christdemokraten bei der Osterweiterung zeigt: Wäre die CDU/CSU derzeit nicht eine im wesentlichen mit sich selbst beschäftige Oppositionspartei, dann stellte sie eine ernsthafte Gefahr für das große historische Projekt der europäischen Integration dar!

Mit Volldampf durch die offene Tür

Über weite Strecken liest sich das Rühe-Papier so, als wäre der CDU aus Verzweiflung über das rotgrüne Markenzeichen Außenpolitik nichts besseres eingefallen, als die Bundesregierung genau dazu aufzurufen, was sie bereits tut:

· Da wird mehr Engagement bei globalen Herausforderungen angemahnt - als hätte nicht Heidemarie Wieczorek-Zeul die Kölner Entschuldungsinitiative auf den Weg gebracht und als hätte sich nicht gerade der Bundeskanzler die G 7-Zielsetzung von Okinawa zur albierung der tiefen Armut auf der Welt bHalbierung der tiefen Armut auf der Welt bis zum Jahr 2015 zu eigen gemacht;

· Da lamentieren die Christdemokraten wort- und tränenreich über das angeblich ernsthaft erschütterte deutsch-amerikanische Verhältnis - als gäbe es in der Union einen einzigen Außenpolitiker, mit dem sich Madeleine Albright genauso vertrauensvoll austauschen könnte wie mit dem deutschen Außenminister;

· Da soll die Bundesregierung die Rüstungsexport-Richtlinien überarbeiten und sich für verbindliche europäische Regelungen einsetzen - als hätte sie diese Arbeit nicht im Januar 2000 schon abgeschlossen und dabei das europäische Instrument des "Code of Conduct" von 1998 für die Bundesrepublik verbindlich gemacht;

· Da drängt die Union zur Ausarbeitung eines europäischen Verfassungsvertrages - als hätte sie den zentralen Anstoß zu dieser Verfassungsdebatte, den Joschka Fischer mit seiner Rede vor der Humboldt-Universität im Mai dieses Jahres gegeben hat, schlicht in ihrem politischen Dauerwinterschlaf verpasst;

· Da fordert die CDU die Bundesregierung auf, den Stabilitätspakt für Südosteuropa "durch die Schaffung einer regionalen Sicherheitsarchitektur" zu stärken - als hätte sie noch nie davon gehört, dass im Rahmen des vom deutschen Außenminister noch während des Kosovo-Krieges initiierten Stabilitätspakt beim Arbeitstisch 3 genau dies seit Monaten auf der Tagesordnung steht.

Und wie dürftig kommt die Forderung nach einem "Regionalkonzept" für den Kaukasus daher, wenn man doch weiß, dass Gerhard Schröder schon im März 2000 bei Präsident Schewardnadse in Tbilissi die deutsche Unterstützung für einen "Stabilitätspakt für den Kaukasus" bekräftigt hat, für den im Mai dieses Jahres die OSZE ein detailliertes Konzept vorlegte.

Nein, dieser Antrag wird der Opposition kein außenpolitisches Profil verleihen und der Welt auch nicht einreden können (was er versucht), Deutschland habe mit der rotgrünen Außenpolitik an Vertrauen, Glaubwürdigkeit, Berechenbarkeit und Gewicht eingebüßt. Der Text ist nur ein trauriger Beleg dafür, in welches Flachwasser eine Opposition abrutschen kann, die einfach nicht einsehen will, dass es nur ein einziges Rezept dafür gibt, national und international ernstgenommen zu werden - nämlich seriöse, über den Tag hinausweisende und kreative Arbeit. Letztere stand bei keinem einzigen Absatz dieses Antrags Pate.