Mazedonien: Interethnischer Dialog am Rande des Bürgerkriegs

Zu den Ergebnissen einer Konferenz zur Förderung des inner-mazedonischen Dialoges und zur aktuellen Situation in Mazedonien erklärt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Gernot Erler:

Vom 18. bis 20. Mai 2001 fand in Ohrid in Mazedonien eine Konferenz zum Thema "Interethnische Koexistenz und Dialog in der Region westlicher Balkan" statt. Die Konferenz wurde durchgeführt von der "Südosteuropa-Gesellschaft" mit deren Präsident und Vizepräsidentin Gernot Erler und Uta Zapf. Ziel der Konferenz war es, im Sinne präventiver Friedenspolitik einen konkreten Beitrag praktischer Konfliktbewältigung zu leisten, indem Vertreter der mazedonischen Zivilgesellschaft aller Ethnien zu einem konstruktiven Dialog zusammengeführt wurden. Insgesamt nahmen 65 Teilnehmer teil, darunter internationale Experten und Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft, Medien und Kultur. Vor dem Hintergrund der aktuellen Krise - im Norden Mazedoniens fanden zeitgleich Kämpfe zwischen dem mazedonischen Militär und albanischen Rebellen statt - wurde in ernsthaften Diskussionen versucht, den innermazedonischen Dialog zu stärken und Lösungsansätze für das friedliche Zusammenleben der verschiedenen ethnischen Gruppen in Mazedonien zu finden.
Insgesamt konnte auf der Konferenz in Ohrid festgestellt werden, dass der Konflikt zwischen den slawischen Mazedonern und den Albanern tiefer ist und mehr Vorurteile und Barrieren enthält, als dies in der westlichen Öffentlichkeit bisher wahrgenommen wurde. Offensichtlich führte die Tatsache, dass sich Mazedonien bisher aus den Bürgerkriegen des zerfallenden Jugoslawien heraushalten konnte, bei vielen westlichen Beobachtern zu der nicht zutreffenden Einschätzung, dass in diesem Land die ethnischen Unterschiede eher problemlos seien. Um so größer ist das Erschrecken darüber, dass nun auch in Mazedonien gewaltsame ethnische Konflikte ausbrechen.
Wer von den westeuropäischen Teilnehmern bisher geglaubt hatte, dass die Konfliktverursacher in den Reihen radikaler und nationalistischer Politiker zu suchen sind, erlebte eine Überraschung. Leider musste festgestellt werden, dass auch bei den moderaten Vertretern der mazedonischen Elite der Zivilgesellschaft ein sehr egoistisch gruppenbezogenes Denken verbreitetet ist, das oft gefährlich in die Nähe von nationalistischem Gedankengut gerät.
Noch erschreckender war die Erkenntnis, dass viele Mazedonier trotz offensichtlicher Kenntnis der offenen und latenten ethnischen Konflikte und ihrer Ursachen die darin liegenden Gefahren fahrlässig unterschätzen oder sogar ignorieren. Dieses "Kopf in den Sand stecken" ist um so unverständlicher in einer Nachbarschaft, in der im ehemaligen Jugoslawien seit zehn Jahren ein ethnisch bedingter Bürgerkrieg auf den anderen folgte.
Diese eher ernüchternden Erkenntnisse wurden insbesondere bei den Vertretern der slawo-mazedonischen Mehrheitsbevölkerung festgestellt. Die Vertreter der Albaner und der kleineren Minderheiten zeigten sich problembewusster, waren aber ihrerseits in der Gefahr, die in ihrer Wahrnehmung schlechte eigene Situation zu übertreiben, überzogene Forderungen zu stellen und gewaltsame Lösungsversuche zu rechtfertigen. Alle anwesenden Albaner aber erteilten großalbanischen Ambitionen eine deutliche Absage. Ihr Kampf bezwecke einzig und allein eine Anerkennung als gleichberechtigtes Staatsvolk der Republik Mazedonien, mehr kulturelle Autonomie und eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse.
Positiv war, dass es bei den drei Arbeitsgruppen zu den Fragenkomplexen Bildung, Medien und Kultur sowie Wirtschaft jeweils eine Fülle von Vorschlägen zur Verbesserung des Verhältnisses der verschiedenen Ethnien in Mazedonien gab. So wurden nicht nur vertrauensbildende Maßnahmen diskutiert, die geeignet sind, das Klima zwischen Mazedoniern und Albanern zu verbessern, sondern auch konkrete Schritte erörtert, die die objektiven Lebensbedingungen der Minderheiten verbessern würden. Alle diese Vorschläge können jedoch nur dann eine Chance haben, wenn die mazedonische Mehrheit sie schnell einleiten und rechtlich durchsetzen würde. Dies allerdings wird in der derzeitigen aufgeheizten Stimmung und während gleichzeitiger militärischer Konfrontationen nicht einfach werden.
Übereinstimmung gab es in der Konferenz daher vor allem in der großen Erwartungshaltung gegenüber der vor einigen Tagen ins Leben gerufenen Allparteienregierung. Sie wurde allgemein als eine der letzten Chancen gewertet, eine größere Konfrontation zwischen den beiden Völkern zu vermeiden und die Gefahr eines Bürgerkrieges und Auseinanderbrechens Mazedoniens zu vermeiden. Als ebenso notwendig wurde andererseits mehrheitlich eine sofortige Einstellung der Gewalttätigkeiten auf der albanischen Seite gesehen.

23. Mai 2001