Bulgarien: Politische Pirouetten zu Beginn 21. Jahrhunderts

Zum Ausgang der Wahlen in Bulgarien erklärt der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler:

Der Wahlsieg des vor über 50 Jahren aus dem Land getriebenen Königs Simeon II. zeichnete sich bereits seit einigen Wochen ab. Lediglich die Höhe seines Sieges überrascht selbst diejenigen, die mit den Wechselbädern der bulgarischen Innenpolitik eng vertraut sind.

Das Ergebnis zeigt wieder einmal: Die Menschen dürfen auf dem Weg in die europäische Integration, der mit schmerzhaften Reformen verbunden ist, nicht zurück gelassen werden. Jede Bevölkerung ist bereit, Opfer zu erbringen, wenn diese mit einer glaubwürdigen Perspektive versehen sind. Die Regierung unter Iwan Kostow hat es versäumt, dies zu vermitteln.

Sein Verdienst ist es jedoch, die außenpolitische Reputation seines Landes wiederhergestellt zu haben. Bulgarien ist heute sowohl EU-Beitrittskandidat als auch Anwärter auf eine Nato-Mitgliedschaft. Als er vor vier Jahren sein Amt antrat, verordnete er seinem Land eine harte Roßkur, um den Anschluss an die damals bereits davongeeilten mittelosteuropäischen Reformstaaten wieder herzustellen. Während des Kosovo-Krieges stand Bulgarien fest an der Seite des westlichen Bündnisses - ein nicht einfacher Schritt für ein Land, das traditionell enge Bindungen zu seinem Nachbarn Jugoslawien unterhält.

Doch die Menschen im eigenen Land haben bislang keine Dividende für diesen harten Sanierungskurs erhalten. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 18 Prozent, viele Menschen sind zur Subsistenzwirtschaft zurückgekehrt, und Aussicht auf baldige Verbesserung der Lebensverhältnisse besteht auch nicht. Statt dessen sahen sie, wie sich einzelne Regierungsmitglieder schamlos bereicherten und die ohnehin vorhandene Korruption noch weiter um sich griff.

In einer solchen Situation haben es Demagogen und Populisten leicht. Der verhinderte König Simeon II. nutzte die Gelegenheit, um sich den notleidenden Menschen als Retter zu empfehlen. Er werde, so versicherte er den erwartungsfrohen Massen, binnen 800 Tagen für Gerechtigkeit und Wohlstand sorgen. Eine Botschaft, die offenbar bei weiten Teilen der desillusionierten Bevölkerung verfing.

Simeon II. bleiben nun zwei Möglichkeiten: Entweder er setzt den Sanierungs- und Reformkurs in einem breiten Koalitionsbündnis fort und erklärt den Wählern, dass die Durststrecke doch noch etwas länger als 800 Tage dauern wird, oder er verteilt Wahlgeschenke, für die sein Land jedoch einen hohen Preis bezahlen müsste. Eine Abkehr vom bisherigen Reformkurs würde nicht nur das gerade wieder gewonnene Vertrauen im Ausland zerstören, es wäre zugleich eine Absage an die europäische Integration und ein Schritt zurück in die selbst gewählte Isolation. Bleibt zu hoffen, dass sich Bulgarien für den schmerzhafteren, aber richtigen Weg entscheidet.

18. Juni 2001