Bulgarien: Wichtiger Schritt zur europäischen Normalität

Zur Bildung der neuen bulgarischen Regierung erklärt des Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Gernot Erler:

Mit der Amtsübernahme der neuen Regierung hat Bulgarien einen entscheidenden Schritt zur einer europäischen Normalität hin getan. Zum ersten Mal seit der Wende vor einem Jahrzehnt gab es einen völlig normalen Regierungswechsel nach einer vollen Legislaturperiode. Die seriöse und würdevolle Art, in der dieser Regierungswechsel gestern in Sofia praktiziert wurde, lässt hoffen, dass Bulgarien die zeitweise wirre Phase seines Transformationsprozesses hinter sich gelassen hat. Die Tatsache, dass erstmals bei der Regierungsvereidigung auch der Patriarch der Orthodoxen Kirche und der mohammedanische Großmufti im Parlament anwesend waren, gab diesem Akt eine besondere symbolische Note. Vor dem Hintergrund der Krise im Nachbarland Mazedonien zeigten damit die Bulgaren, dass sie fest entschlossen sind, den inneren Frieden unter den Ethnien und Religionen, auf den sie bisher stolz sein konnten, auch künftig zu bewahren.

Im Gegensatz zur neuen begrüßenswerten Normalität stellt die neue Regierung selbst eher eine friedliche Revolution dar. Mit ihrer Wahl wurde das überkommene bulgarische Parteiensystem völlig auf den Kopf gestellt. Die beiden bisher dominierenden politischen Kräfte, die konservative "Union der Demokratischen Kräfte" und die linke "Bulgarische Sozialistische Partei" sind heute beide in der Opposition. Die Enttäuschung der Bevölkerung über ihre Politik hat sie förmlich hinweggefegt und Platz gemacht für eine neue Kraft, deren einziges Aushängeschild im Wahlkampf die Person des aus dem Exil zurückgekehrten Ex-Königs Simeon II von Sachsen-Coburg und Gotha-Kohary war.

Simeon Sakskoburggotski, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, hat nun eine Regierung gebildet, in der er möglichst viele politische Kräfte des Landes vereinen will. Ganz ist ihm das nicht gelungen, immerhin aber ging er eine Koalition mit der Partei der türkischen Minderheit ein und hat auch zwei unabhängige prominente Sozialisten als Minister in seinem Kabinett. Da die neue Regierung künftig auch unpopuläre Entscheidungen zu fällen hat, um Bulgarien europareif zu machen, erscheint es sinnvoll, dies in einem breiten Konsens anzustreben. Es ist dabei zu hoffen, dass auch die beiden großen Oppositionsparteien ihre Rolle in einer fairen und konstruktiven Art ausüben.

Das neue Kabinett besteht fast ausschließlich aus sehr jungen Experten, die zwar als Fachleute gelten, jedoch in der Mehrheit über keine politische Erfahrung verfügen. Dies und die Tatsache, dass es bisher kein klares Regierungsprogramm gibt, führte zwangsläufig zu ersten kritischen Stimmen. Man sollte diese Regierung aber nicht zu frühzeitig abqualifizieren. Der große Vertrauensvorschuss der Bevölkerung gebietet es, ihr eine faire Chance zu geben. Wer sich, wie auch die SPD-Bundestagsfraktion, für den weiteren Integrationsprozess Bulgariens in die EU einsetzt, kann dieser Regierung nur Fortune und Erfolg wünschen.

25. Juli 2001