Unterstützung für Putins Idee einer Partnerschaft des Vertrauens und der Partizipation

Zu der Bundestagsrede des russischen Staatspräsidenten sowie zur Aussprache im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages mit Wladimir Putin erklärt der Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler:

Der russische Präsident nutzt die Gunst der Stunde. Sein Angebot, Russland zu einem wirksamen Faktor innerhalb der globalen Allianz gegen den Terrorismus zu machen, ist in diesen Tagen äußerst wertvoll. Das weiß Putin.

Die Bühne des Deutschen Bundestages ist nicht schlecht gewählt, um für eine neue Verantwortung Russlands in der europäischen Politik nach dem Ende des Kalten Krieges zu werben. Die Leitplanken, die zu diesem neuen Platz führen sollen, haben Namen: Vertrauen und Partizipation.

Der Kalte Krieg, nun ein gutes Jahrzehnt vorbei, war gegründet auf Misstrauen und - folgerichtig - einem System von Sicherheit gegeneinander. Der KSZE-Prozess leitete mit seiner Einsicht von der "Gemeinsamen Sicherheit" den Übergang ein. Für Russland ist dies ein langer Übergang geworden, bisher noch nicht von einer Ankunft gekrönt.

Wladimir Putin fordert jetzt die Ankunft ein. Wechselseitiges Vertrauen soll den Weg dahin ebnen. Moskau gibt gerade einen Vorschuss an Vertrauen. Es unterstellt dem verletzten Amerika nicht, es könnte jetzt auf eine Erweiterung seines Einflusses im unmittelbaren russischen Umfeld vom Kaukasus bis Kaspien aus sein. Putin vertraut Bush bei der Prioritätensetzung: Im Moment geht es allein darum, die Triumphwirkung des New Yorker Anschlags und den Tätigkeitsradius der Terroristen durch gezielte Schläge zu unterbrechen. Da ist Moskau zu konkretem Beistand bereit.

Aber Russland will Gegenvertrauen als Antwort. Es will nicht weiter ausgeschlossen bleiben oder immer erst hinterher eingebunden werden, wenn der Westen Entscheidungen trifft. Die Wunden, die der Kosovo-Krieg schlug, sind noch nicht vernarbt. Deutschland plädierte damals, letztlich mit Erfolg, für die Wiedereinbindung von Russland.

Putin will, dass Russland in Zukunft von vornherein ins Vertrauen gezogen wird, will echter Partner des Westens werden. Er will sich nicht nachträglich politisch einkaufen lassen, wenn es ohne Russland nicht geht. Putin erwartet eine Partnerschaft der Partizipation, die nachhaltige Einbeziehung Russlands in alle wichtigen europäischen Entscheidungsabläufe.

Dieses Angebot gewinnt vor dem ernsten globalen Hintergrund an Gewicht. Es ist keine Neuauflage jener abstrakten beleidigten Suche nach der verlorenen Weltmachtsrolle, in der sich die politische Klasse Russlands gelegentlich zu verlieren droht. Wir müssen dieses Angebot ernst nehmen. Die Einforderung von Vertrauen und Beteiligung an Entscheidungsprozessen hat eine unverzichtbare Voraussetzung: die Bereitschaft, politische Mitverantwortung zu übernehmen.

Konkret heißt das: Die Zusammenarbeit NATO-Russland und EU-Russland muss auf eine neue, verbindliche und institutionalisierte Basis gestellt werden. Der NATO-Russland-Rat reicht nicht. Das Unvorstellbare des 11. September muss uns dazu veranlassen, bisher schwer Vorstellbares zu prüfen. Eine geregelte Partizipation Russlands an den Willenbildungs- und Entscheidungsprozessen der NATO kann auch die programmierte Krise bei der nächsten NATO-Erweiterung entschärfen. Und wenn dies die NATO schafft, muss die EU erst recht eine Lösung anstreben. Russlands Platz am Tisch der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik Europas (GASP und ESVP) muss gefunden werden. Der im Oktober bevorstehende EU-Russland-Gipfel bietet die erste Gelegenheit, mit dieser Aufgabe voranzukommen.

25. September 2001