Deutsche Beteiligung am Kampf gegen den internationalen Terrorismus

Liebe Genossinnen!
Liebe Genossen!

In wenigen Tagen entscheidet der Bundestag über die Frage der Bereitstellung deutscher bewaffneter Streitkräfte bei der Bekämpfung des weltweiten Terrorismus. Eine Entscheidung, die sich niemand von uns leicht macht. Dies zeigen auch die zahlreichen Diskussionen und Gespräche der vergangenen Tage. Die Fraktion hat in der ablaufenden Woche 9 Stunden intensiv diskutiert.

Wir möchten Euch an dieser Stelle noch einmal in Kurzform die Argumente vortragen, die aus unserer Sicht für eine Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung sprechen.

1. Entscheidungslage

Die Vereinigten Staaten von Amerika, angegriffen und verwundet durch die Anschläge vom 11. September, haben das eigene Bündnis um Hilfe gerufen. Am 4. Oktober hat die NATO einstimmig den Bündnisfall erklärt. Das bedeutet: Jeder Mitgliedsstaat ist zum Beistand verpflichtet. Die Bundesregierung hat von Anfang an erklärt: Das wird keine symbolische, sondern eine konkrete Unterstützung werden, die bei einer entsprechenden Anfrage auch militärische Unterstützung einschließt.

Diese Position hat der Deutsche Bundestag mit sehr breiter Mehrheit übernommen. Er hat sich bereits am 19. September in einer Entschließung zu politischer und wirtschaftlicher Unterstützung sowie zur Bereitstellung geeigneter militärischer Fähigkeiten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus bekannt. Zitat: "Über diese Maßnahmen ist nach Kenntnis der amerikanischen Unterstützungswünsche in eigener Verantwortung und gemäß der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu entscheiden."

Inzwischen liegen die amerikanischen Wünsche vor. Die Bundesregierung hat daraufhin erklärt, welche Art der Unterstützung sie für leistbar und geeignet hält. Nun ist es Aufgabe des Deutschen Bundestages, zu prüfen und zu entscheiden, ob wir diese Vorschläge für überzeugend und geeignet halten.

2. Was soll bereitgestellt und im Bedarfsfall eingesetzt werden?

Es handelt sich um fünf Kategorien militärischer Anforderungen, um die uns die Amerikaner ersucht haben. Dazu gehören

· Sanitätskräfte zur Rettung verwundeter Zivilisten und Soldaten (250 Mann)
· Lufttransportmittel zum Transport ziviler Hilfsgüter und militärischer Geräte (500)
· der besonders anerkannte Spürpanzer "Fuchs" zum Aufspüren von ABC-Waffen (800)
· Seestreitkräfte zum Schutz ziviler Seeschiffahrt am Horn von Afrika (1 800)
· ca. 100 Mann Spezialkräfte, die über polizeiähnliche Zugriffsmöglichkeiten im so genannten "Hit-and-Run-Verfahren" verfügen und besonders geeignet sind, identifizierte mutmaßliche Täter dingfest zu machen.

Für dieses fünf Kategorien wird eine zahlenmäßige Obergrenze von insgesamt 3.900 Soldaten festgelegt. Eine deutsche Beteiligung an einem Bodenkrieg und an militärischen Luftschlägen ist damit ausgeschlossen ist. Diese Zusammenstellung von zahlenmäßig limitierten militärischen Fähigkeiten ist von uns sowohl leistbar als auch verantwortbar.

Das Angebot bezieht sich bis auf die Spezialkräfte, die terroristische Täter ergreifen können, ausschließlich auf Defensiv- und Schutzfähigkeiten. Es ist sehr begrenzt und wird nur auf tatsächliche Anfrage hin eingesetzt - die ABC-Schutzeinheiten z. B. nur, falls zu befürchten ist, dass von der Seite der Taliban oder bei Terrorangriffen anderswo B- oder C-Waffen eingesetzt werden.

3. Wo darf gegebenenfalls eingesetzt werden?

Die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits im Vorfeld der Kabinettsentscheidung großen Wert darauf gelegt, dass hinsichtlich des Einsatzgebietes eine eindeutige Eingrenzung des Operationsrahmens für die deutschen Unterstützungskräfte festgelegt wird. Diese findet sich in Punkt 7 des Antrags der Bundesregierung wieder und lautet, dass sich "deutsche Kräfte an etwaigen Einsätzen gegen den internationalen Terrorismus in anderen Staaten als Afghanistan nur mit Zustimmung der jeweiligen Regierung beteiligen [werden]". Das heißt also: Befürchtungen, dass deutsche Soldaten im Irak zum Einsatz kommen, sind unbegründet.

Wir betonen diesen Punkt deshalb so ausdrücklich, weil wir davon überzeugt sind, dass der Kampf gegen den Terrorismus auf die große politische Allianz, die sich gebildet hat, angewiesen ist. Diese große politische Allianz, in der sich bis heute auch fast alle islamische Staaten befinden, ist davon abhängig, dass der Kampf gegen den Terrorismus den Täterbezug bewahrt.

4. Deutsche Entscheidungen = deutsches Kommando = deutsche Kontrolle

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Frage, wie wir verhindern können, dass die bereitzustellenden deutschen Kräfte in Szenarien geraten könnten, in denen das Geschehen von unserer Seite weder kontrolliert noch gesteuert werden kann. Deswegen ist die Aussage des Bundeskanzlers, dass es bei jedem Einsatz deutscher Kräfte bei einer Entscheidung in deutscher Verantwortung und deutscher Kommandoverfügung bleiben wird, für uns von elementarer Bedeutung. Wir haben das in der Plenardebatte noch einmal unterstrichen.

5. Parlamentarische Kontrolle

Mit der Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung werden die Entscheidungen über die Modalitäten, die Umfänge und die Dauer der Einzeleinsätze für die kommenden zwölf Monate in die Hände der Regierung gelegt. Dies entspricht voll und ganz dem Geist des Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1994 und ist, was die Zeit der Bereitstellung angeht, angesichts der Besonderheiten der terroristischen Herausforderung unabdingbar.

Zugleich beinhaltet dieser Beschluss auch einen Vertrauensvorschuss an die Regierung. Wir erwarten daher von der Bundesregierung, dass sie uns regelmäßig und detailliert über den Verlauf, die Ergebnisse und die Erfahrungen mit den deutschen Einsätzen im Kampf gegen den Terrorismus informiert. Das bezieht sich auch auf eine eventuelle Verschiebung der Kräfteverhältnisse innerhalb der angegebenen Obergrenze von 3.900 Soldaten.

Gegenwärtig sind wir im Gespräch mit der Bundesregierung darüber, nach spätestens 6 Monaten eine intensive parlamentarische Evaluierung der bis dahin erfolgten Einsätze (eine Art "midterm controlling") vorzusehen. Ohnehin bleiben die Rechte des Parlaments, die Bereitstellung und den Einsatz der deutschen Kräfte jederzeit auf die Tagesordnung zu setzen, bis hin zum Widerruf der Zustimmung, unberührt.

6. Politisches Gesamtkonzept

Das militärische Vorgehen gegen den Terrorismus ist eine Notwendigkeit, und es wird vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen durch die einstimmigen Resolutionen 1368 und 1373 nachhaltig unterstützt und legitimiert. Trotzdem ist der militärische Beitrag allein nicht hinreichend.

Wir benötigen ein politisches Gesamtkonzept, das dem afghanischen Volk die Möglichkeit eröffnet, frei und selbstbestimmt über die eigene Zukunft zu entscheiden. Heute zeichnet sich ein solches Post-Taliban-Afghanistan erst in undeutlichen Konturen ab. Aber eines ist den letzten Wochen deutlich geworden: Die Beseitigung des Taliban-Regimes als Quelle und Förderer des internationalen Terrorismus und als Verantwortliche für die Unterdrückung und die unvorstellbare Not der afghanischen Bevölkerung ist eine unabdingbare Voraussetzung, um den Menschen eine hoffnungsvollere Perspektive zu eröffnen.

Wir müssen uns eingestehen, dass uns das Schicksal Afghanistans lange Zeit nur am Rande berührt hat. Jetzt müssen wir Mitverantwortung dafür übernehmen, dass sich in Afghanistan langfristig Strukturen herausbilden können, in denen alle Bevölkerungsgruppen, Männer und Frauen, am öffentlichen Leben teilhaben können.

Deutschland und Europa spielen in dem so genannten Post-Taliban-Prozess eine entscheidende Rolle. Es besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Bereitschaft, die militärischen Risiken mit zu tragen und der Möglichkeit, den zivilen Post-Taliban-Prozess mit zu gestalten. Eine Arbeitsteilung, bei der wir das politisch Konzeptionelle, das letztendlich auch populärer und viel einfacher vermittelbar ist, übernehmen, und die anderen das militärische, das mit größeren Risiken und unpopulären Maßnahmen verbunden ist, überlassen, wird niemand von unseren Verbündeten akzeptieren. Ein solcher Versuch würde zur Folge haben, dass Deutschland auf der internationalen Bühne auf lange Sicht nicht mehr ernst genommen würde.

Zu dem politischen Gesamtkonzept werden SPD-Fraktion und Grüne in der bevorstehenden Sitzungswoche noch einen detaillierten Entschließungsantrag vorlegen, der gegenwärtig erarbeitet wird!

7. Dialog mit der Öffentlichkeit

Bereits heute haben 14 Länder in Europa und jenseits des Atlantiks militärische Zusagen gemacht oder sie in Aussicht gestellt. Dass Deutschland eines dieser Länder ist, ist zugleich ein Beleg dafür, dass unser Land mit beiden Füßen fest in die internationale Gemeinschaft integriert und weiter als jemals zuvor in seiner Geschichte davon entfernt ist, nationale Alleingänge zu beschreiten. Dies ist bei aller Problematik der vor uns stehenden Entscheidung auch ein ermutigendes Signal.

Wir alle stehen in diesen Tagen unter einem ungeheuren Erwartungsdruck. Jeder von uns wird in Gesprächen und Diskussionen sein Abstimmungsverhalten erläutern müssen. Es gibt Zustimmung, aber auch Befürchtungen, mit denen wir konfrontiert sind. Wir müssen uns diesen kritischen Fragen stellen und uns mit ihnen auseinandersetzen.

Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Repräsentanten der islamischen Länder, die sich der Anti-Terror-Allianz angeschlossen haben, ein unvergleichlich höheres Risiko eingegangen sind, als sie sich in dieser herausfordernden Situation an die Seite von Amerika gestellt haben, obwohl sie mit zum Teil fanatisierten und gewaltbereiten Massenprotesten konfrontiert sind.

Die Menschen in unserem Land erwarten von uns als ihren gewählten Repräsentanten, dass wir ihnen Sicherheit geben. Diese Anstrengungen müssen nach den Ereignissen des 11. September verstärkt werden. Wir beschließen gerade in diesen Tagen eine Reihe von Maßnahmen zur inneren Sicherheit. Diese Maßnahmen sind notwendig, jedoch allein nicht ausreichend, um den internationalen Terrorismus zu besiegen. Parallel dazu müssen wir auch Initiativen im Bereich der Äußeren Sicherheit ergreifen. Versäumnisse auf diesem Feld würden sich zwangsläufig auf die innere Stabilität unseres Landes auswirken. Weitere Restriktionen im Innern wären notwendig. Wir sind davon überzeugt, dass dies keine ernsthafte Alternative sein kann. Die offene demokratische Gesellschaft wird so nur Bestand haben, wenn der Terrorismus dort, wo er herkommt, unter einen ausreichenden Druck gestellt wird!

Wir haben bei der Abstimmung in der kommenden Woche eine große Verantwortung. Wir müssen uns dabei immer wieder den 11. September als Ausgangspunkt der Auseinandersetzung vor Augen führen. Wir haben diese Auseinandersetzung nicht gesucht und auch nicht gewollt. Sie wurde uns aufgezwungen. Stellen wir uns dieser Herausforderung nicht, haben wir die Auseinandersetzung bereits verloren. Den Status eines Unbeteiligten gibt es in dieser Situation nicht mehr. Häufig hört man in diesen Tagen das unvollständige Brecht-Zitat "Stell Dir vor, es gibt Krieg, und keiner geht hin". Vollständig lautet es "Stell Dir vor, es gibt Krieg, und keiner geht hin, dann kommt der Krieg zu Dir". Dem ist nichts hinzuzufügen.

Mit freundlichen Grüßen

gez. Dr. Peter Struck gez. Gernot Erler