Politische Zwischenbilanz sechs Monate nach dem 11. September 2001

Am 11. März 2002 sind genau sechs Monate seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington vergangen, die politisch die sogenannte "Nachseptemberwelt" eingeläutet haben. Anläßlich dieses Datums habe ich versucht, eine kurze politische Zwischenbilanz zu ziehen. Außerdem habe ich Dr. Dieter Dettke von der Friedrich-Ebert-Stiftung gebeten, aus seiner Sicht ebenfalls eine solche Analyse niederzuschreiben. Beide Texte habe ich zum 11. März 2002 den Mitgliedern der SPD-Bundestagsfraktion für ihre Arbeit zur Verfügung gestellt und mache sie nachstehend auch hier verfügbar.


Der 11. September und seine Folgen - Eine politische Zwischenbilanz nach sechs Monaten

Von Gernot Erler MdB, Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion

Die Terroranschläge des 11. September 2001 in New York und Washington haben neue politische Prioritäten gesetzt. Die internationale Politik stellt seitdem fast alle ihre Aktivitäten in den Dienst des "Kampfes gegen den Terrorismus". Der verbreitete Gebrauch des Begriffs "Nachseptemberwelt" verweist auf eine historische Zäsur. Nicht alles hat sich verändert, aber vieles auf vielen Gebieten, auch in der Innenpolitik. Am Ende des ersten halben Jahres nach dem 11. September scheint eine erste Phase des internationalen Antiterrorkampfes auszulaufen. Die Debatte um Ziele und Vorgehensweisen einer nachfolgenden zweiten Phase ist voll entbrannt. Es ist Zeit, eine politische Zwischenbilanz zu ziehen.

I. Der Gegenschlag gegen Al Quaida und Taliban

Blutige Terroranschläge gegen amerikanische Einrichtungen hat es auch vorher schon gegeben. Wenn der 11. September in den Vereinigten Staaten einen Schock bisher ungekannten Ausmaßes ausgelöst hat, dann aus drei Gründen: wegen der Zahl der Opfer, wegen der Symbolik der ausgewählten Ziele und wegen der demonstrativen Ausschaltung aller denkbaren Abwehrmöglichkeiten.

Das verwundete Amerika hat sich zunächst um Schutz und Hilfe in der internationalen Gemeinschaft bemüht und damit Erfolg gehabt:

· Washington wandte sich an die Vereinten Nationen, die bereits am 12. September in der Sicherheitsratsresolution 1368 die Anschläge als "Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit" verurteilten und bekräftigten, "dass diejenigen, die den Tätern, Drahtziehern und Förderern helfen, sie unterstützen oder ihnen Zuflucht gewähren, zur Rechenschaft gezogen werden". Damit setzte der Sicherheitsrat die von Privatpersonen durchgeführten Anschläge mit einem kriegerischen Angriff, wie er normalerweise von einem Staat erfolgt, gleich, bestätigte dem angegriffenen Amerika das Recht auf Selbstverteidigung und legitimierte darüber hinaus ein Vorgehen auch gegen die Schützer der Attentäter (Taliban).

· Es entsprach der Logik dieser Gleichsetzung von Terroranschlag und kriegerischem Angriff, die NATO um die Auslösung des Bündnisfalles zu ersuchen. Die westliche Allianz entsprach diesem Wunsch, erstmals in ihrer Geschichte, am 4. Oktober 2001.

· Durch diplomatische Aktivitäten rund um den Globus gelang es den Vereinigten Staaten, eine "Große Koalition gegen den Terrorismus" zusammenzubringen und dabei auch Staaten wie die Russische Föderation und China, aber auch fast alle arabischen und islamisch geprägten Staaten miteinzubeziehen.

Erst nach diesen multilateral ausgerichteten Aktivitäten (die bei einer Administration, die zuvor etwa bei den Fragen der Raketenabwehr und des globalen Klimaschutzes unilaterale bis einsame Entscheidungen getroffen hatte, eher überraschten), nach wochenlangen Vorbereitungen und nach mehrfachen, allerdings erfolglosen Ultimaten an die Adresse der Taliban, starteten dann am 7. Oktober 2001 die Amerikaner die militärische Operation "Enduring Freedom" - diese dann aber weitgehend auf sich selbst gestellt und mit einer eher symbolischen bewaffneten Unterstützung anderer Länder.

Wie verteilen sich aus der Sicht des Halbjahrestages einerseits die Erfolge von "Enduring Freedom", andererseits die Defizite und offenen Fragen? Zu den Erfolgen lässt sich stichwortartig feststellen:

· Nach anfänglichen Schwierigkeiten gelang es den Amerikanern, im Verein mit der "Nordallianz" die Herrschaft des Taliban-Regimes zu brechen und die Handlungsfähigkeit des Netzwerkes von Al Quaida deutlich einzuschränken.

· Diese militärischen Erfolge bahnten den Weg für einen politischen Neuanfang in Afghanistan nach 22 Jahren Bürgerkrieg. Auf der Grundlage des "Bonn Agreement" vom 5. Dezember 2001 hat sich eine multiethnische und politisch pluralistisch zusammengesetzte Übergangsregierung gebildet. Die wichtigsten politischen Kräfte des Landes haben der Übergangslösung und einem auf zwei Jahre angelegten Stufenplan zur vollständigen Renormalisierung des politischen Lebens zugestimmt.

· Es ist Washington gelungen, auch während der militärischen Aktivitäten im Rahmen von "Enduring Freedom" die internationale politische Koalition gegen den Terrorismus aufrechtzuerhalten. Beeindruckend ist dieser Erfolg besonders im Falle Pakistans, das früher regelmäßig das Taliban-Regime unterstützte und, trotz des Druckes der Islamisten im Lande, für ein kooperatives Verhalten gewonnen werden konnte.

Aber auch einige Defizite und offene Fragen lassen sich nicht übersehen:

· Die beiden Hauptfiguren, Osama Bin-Laden als Oberhaupt von Al Quaida und Mullah Omar als Chef des vertriebenen Taliban-Regimes, konnten bisher nicht gefasst werden.

· Das militärische Vorgehen gegen Al Quaida und Taliban und die dabei verwendeten Waffen haben einer noch nicht ermittelten Zahl von unbeteiligten Zivilpersonen das Leben gekostet und dem ohnehin schon von geschätzten 10 Millionen Minen weithin unbewohnbar und unbewirtschaftbar gemachten Land eine weitere gefährliche Erbschaft hinterlassen, etwa mit den nichtexplodierten Teilen der zahlreich eingesetzten Cluster-Bomben, deren Beseitigung enorme zusätzliche Anstrengungen erfordern wird.

· Es gibt derzeit keine abgestimmte konzeptionelle Antwort auf die Frage, wie der Kontroll-Radius der Übergangsregierung Karsai ausgedehnt werden kann, ob die bislang 4.500 Mann umfassende International Security Assistance Force (ISAF) überhaupt in der Lage ist, die Sicherheit der Interimsautorität und der Region Kabul zu gewährleisteten und mit welchen Mitteln ein Wiederaufflammen bewaffneter Clan-Rivalitäten verhindert oder wenigstens eingeschränkt werden soll.

Am Ende des sechsten Monats der Nachseptemberzeitrechnung erreichen die bewaffneten Auseinandersetzungen mit offenbar reorganisierten Kräften von Al Quaida und Taliban eine bisher ungekannte Intensität. Noch immer hindert die unsichere Sicherheitslage die internationalen Hilfsorganisationen am Zugang zu einigen Regionen mit dringend hilfsbedürftigen Menschen. Die Interimsregierung Karsai dringt auf die praktische Realisierung der zahlreich gemachten materiellen Hilfszusagen und wirbt nachdrücklich für eine zahlenmäßige Vervielfachung der ISAF sowie für eine Ausweitung ihres Kontrollgebiets. Vorzeitige Annahmen, die internationalen Verpflichtungen in Afghanistan seien bereits weitgehend erfüllt, erweisen sich als trügerisch und fahrlässig.

II. Der deutsche Beitrag im Kampf gegen den Terror

In den ersten Stunden und Tagen nach den Anschlägen bekundeten in Deutschland zahlreiche Menschen ihre tiefe Betroffenheit und Anteilnahme mit den Opfern des 11. September und ihre Solidarität mit dem angegriffenen und verwundeten Amerika. Die vom Bundeskanzler einen Tag nach der Tragödie verkündete "uneingeschränkte Solidarität" mit den Vereinigten Staaten griff eine verbreitete Stimmungslage in Deutschland auf. Später erfuhr dieser Ausdruck eine politische Deutung, etwa im Sinne einer bedingungslosen deutschen Gefolgschaft für alle von Washington beschlossenen Antiterrormaßnahmen. Diese Deutung führt in die Irre: Tatsächlich haben Bundestag und Bundesregierung für die deutschen Beiträge im weltweiten Anti-Terror-Einsatz enge Grenzen und eigene Prioritäten gesetzt.

Bereits eine Woche nach den Anschlägen erklärten die Regierungs- und Oppositionsfraktionen im Deutschen Bundestag (außer PDS) am 19. September 2001 in einem Entschließungsantrag ihre Bereitschaft, den Vereinigten Staaten über die verbalen Solidaritätserklärungen hinaus konkret Beistand zu leisten. Wörtlich heißt es in der Entschließung: "Dazu zählen politische und wirtschaftliche Unterstützung sowie die Bereitstellung geeigneter militärischer Fähigkeiten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus." In demselben Text tritt der Deutsche Bundestag aber auch "jeder kulturellen und religiösen Pauschalverurteilung" entgegen, bekennt sich zum Schutz der muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deutschland und unterstreicht die Aufgabe, über die Unterstützung der USA hinaus "mit anderen Nationen und internationalen Institutionen humanitäre Hilfe zu leisten sowie politische und ökonomische Konzepte zu erarbeiten, die geeignet sind, die Ursachen des Terrorismus zu bekämpfen und ihm seinen Nährboden zu entziehen."

Es wird dann einige Wochen dauern, bis die NATO am 4. Oktober 2001 auch formal den Bündnisfall erklärt und bis die Regierung in Washington Anfang November definieren wird, welche militärische Unterstützung von Seiten der Bundesrepublik ihr willkommen ist. Die Bundesregierung nutzt diese Zeit, um eigene politische Akzente zu setzen:

· Mit der Autorität ihrer aktuellen Präsidentschaft in der "Afghanistan Support Group" ausgestattet geht die Bundesregierung mit einer Erhöhung ihrer Mittelzusagen zugunsten von Humanitärer Hilfe für die notleidende afghanische Zivilbevölkerung auf über 100 Mio DM voran und erreicht damit zahlreiche weitere Mittelaufstockungen, so z. B. bei der EU auf über 250 Mio Euro. Die Bundesregierung trägt dadurch dazu bei, dass die äußerst schwierigen Aufgaben der internationalen Hilfsorganisationen bei der Versorgung der afghanischen Bevölkerung und der anschwellenden Zahl von Flüchtlingen auch unter den zunächst die Hilfsmöglichkeiten noch einschränkenden Bedingungen der ab 7. Oktober 2001 beginnenden Kampfhandlungen nicht an zu geringen Geldmitteln scheitern.

· Die Bundesregierung und in besonderer Weise Außenminister Fischer bemühen sich, wenn auch letztlich ohne Erfolg, um eine Vermittlung im Nahostkonflikt und nutzen dabei die besondere beiderseitige Vertrauensposition, die Deutschland gegenwärtig sowohl bei Israelis wie Palästinensern genießt. Der Zusammenhang mit den Anti-Terror-Aktivitäten ergibt sich aus der neuen Bedeutung, die regionale Konflikte (auch die auf dem Balkan und in Kaschmir) nach dem 11. September beanspruchen können, und aus der Tatsache, dass Osama bin Laden sich per Video-Erklärung selber zum Rächer der Palästinenser erklärt.

· Die deutsche Politik schaltet sich besonders intensiv in die internationalen Bemühungen um die politische Zukunft Afghanistans ein (Post-Taliban-Prozess) und profitiert dabei von einem aus der Geschichte der deutsch-afghanischen Beziehungen erwachsenen Vertrauensbonus. Seine Krönung findet dieses Engagement in der Konferenz der Vereinten Nationen zur Zukunft Afghanistans, die am 26. November 2001 auf dem Bonner Petersberg beginnt und am 5. Dezember mit der international "Bonn Agreement" genannten Friedens- und Übergangsvereinbarung erfolgreich abschließt. Die Beendigung des 22 Jahre anhaltenden Bürgerkrieges, das Öffnen eines Weges in eine stabile Zukunft Afghanistans, die Bildung der Übergangsregierung Karsai und der Plan für eine schrittweise Renormalisierung des politischen Lebens in einer zweijährigen Übergangsphase - all das ist ein großer Erfolg der Vereinten Nationen, es verbindet sich aber auch mit den besonderen deutschen Vermittlungsbemühungen.

Am 16. November 2001 konkretisiert der Deutsche Bundestag nach langen und schwierigen Beratungen in den einzelnen Fraktionen und in Verbindung mit der vom Bundeskanzler gestellten Vertrauensfrage die bereits am 19. September angekündigte "Bereitstellung geeigneter militärischer Fähigkeiten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus". Das Parlament stimmt der Entsendung von bis zu 3.900 Soldaten im Rahmen der Operation "Enduring Freedom" zu. Es sind vorwiegend defensive Fähigkeiten, die Deutschland bereitstellt: 250 Mann Sanitätskräfte, Lufttransportkräfte (500), ABC-Abwehrkräfte (800), Seestreitkräfte (1.800) und 100 Mann Spezialkräfte, die vor Ort vor allem zur Ergreifung von Tätern aus dem Al Quaida-Netzwerk unter schwierigen Umständen oder für Geiselbefreiungen vorgesehen sind. Was die Beteiligung an "Enduring Freedom" angeht, legt der Bundestag größten Wert auf eine geographische Einschränkung. In dem Beschluss-Text heißt es: "Deutsche Kräfte werden sich an etwaigen Einsätzen gegen den internationalen Terrorismus in anderen Staaten als Afghanistan zur mit Stimmung der jeweiligen Regierung beteiligen".

Dahinter steckt das Bestehen auf dem "Täterbezug" bei der deutschen Beteiligung am Antiterrorkampf. Das wird noch einmal in der zum Beschluss gehörenden Protokollerklärung der Bundesregierung verdeutlicht, die zum Auftrag der Soldaten erläutert, dass die "genannten Operationsziele sich allein gegen das terroristische Netzwerk Bin Ladens, Al Quaida, und diejenigen, die es beherbergen und unterstützen, richten". Diese Beschlussfassung hat von vornherein einen Riegel vor jede denkbare Ausweitung der Antiterroroperationen ohne eine ausdrückliche neue Beschlussfassung des Deutschen Bundestages geschoben.

Selbst ein nicht in die Einzelheiten gehender Blick auf die genannten eigenständigen politischen Initiativen der Bundesregierung, auf die intensive parlamentarische Begleitung dieser Politik und auf die einschlägigen Beschlussfassungen des Deutschen Bundestages reicht aus, um zu erkennen, dass eine Summierung dieser Vorgänge unter der Aufschrift "uneingeschränkte Solidarität" eine falsche Fährte legt. Wer tatsächlich erkennen will, in welche Richtung sich die politische Verarbeitung der Septemberereignisse in Deutschland entwickelt, kann noch andere Spuren finden. Zum Beispiel in dem 10-Punkte-Entschliessungsantrag von SPD und Grünen, der am 16. November 2001 parallel zu dem Streitkräfte-Entsendungsbeschluss im Bundestag verabschiedet wurde. Dieser Antrag ist getragen von der Überzeugung, dass der Kampf gegen den Terrorismus allein mit militärischen Mitteln nicht gewonnen werden kann, und er zeichnet die Umrisse einer globalen Strategie zur Eindämmung der verhängnisvollen Kettenreaktion von Armut und Demütigung über Haß und Gewaltbereitschaft bis zu Gotteskriegertum und Terrorismus. Die beiden Regierungsfraktionen bestehen darauf, dass die westlichen humanitären Grundsätze auch im Kampf gegen den Terror gelten und dass im militärischen Einsatz vor Ort "das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und der größtmöglichen Vermeidung ziviler Opfer" Beachtung findet. Der Text weist auf die Notwendigkeit hin, die gefährlichen regionalen Konflikte vom Nahen Osten bis Kaschmir so rasch wie möglich zu entschärfen, die Anstrengungen für eine Verbesserung ziviler Konfliktbearbeitung und Krisenprävention zu erweitern, sich neuen politischen Strategien zur Humanisierung der Globalisierung und zur Korrektur einer ungerechten und unfairen Weltordnung zu widmen, den Dialog der Kulturen zu intensivieren und die Vereinten Nationen als wichtigste Instanz für die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen zu stärken. All diese Schritte werden als unverzichtbar angesehen, wenn es darum geht, an die Ursprünge des Terrorismus, an seinen Nähr- und Resonanzboden heranzukommen.

Dass dieser Entschließungsantrag nicht als bloßes Ornament für den parallelen Entsendebeschluss des Bundestages betrachtet werden kann, läßt sich an der Rolle ablesen, die das Thema der zivilen Strategien gegen den Terror auf den beiden nachfolgenden Parteitagen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gespielt hat. So haben etwa die Delegierten des Nürnberger SPD-Parteitages am 19. November 2001 nach intensiver und kontroverser Beratung zwei umfassende Leitanträge zum Thema "Internationale Kooperation und Verantwortung" und "Globalisierung menschlich gestalten" beschlossen, die mehrere Ansätze der skizzierten Bundestagsentschließung vom 16. November aufgreifen, konkretisieren und vertiefen.

Die Bedeutung dieser Debatten und Beschlüsse über die nichtmilitärischen Antworten auf die terroristische Herausforderung darf nicht unterschätzt werden. Sie sind Teil des immer noch sehr breiten gesellschaftlichen Konsenses in Deutschland, der die militärische Teilhabe am Antiterrorkampf einschließt. Von der Basis kommend gibt es aber eine starke Erwartungshaltung, dass die Rot-Grüne Bundesregierung den Weg fortsetzt, im Rahmen ihrer Beiträge zur internationalen Antiterrorpolitik eigene Initiativen zu starten und eigene Prioritäten zu setzen. Gelegenheiten dazu bietet die internationale Agenda des Jahres 2002 genug, etwa mit der UNO-Konferenz "Financing for Developement" im März in Monterrey und dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg Ende August dieses Jahres.

Zwei Tage vor Weihnachten, am 22. Dezember 2001, hat der Bundestag einen deutschen Beitrag zu der bereits auf dem Petersberg beschlossenen Internationalen Sicherheitsunterstützungsgruppe für die Übergangsregierung in Afghanistan (International Security Assistance Force/ISAF) freigegeben. Demnach kann die Bundesregierung bis zu 1.200 Soldaten in Kabul und Umgebung im Rahmen der ISAF bis zum 20. Juni 2002 einsetzen. Zwar musste die Bundesregierung es ablehnen, in Nachfolge der Briten ab April 2002 die ISAF-Führung zu übernehmen, das deutsche Einsatzkontingent wird aber die taktische Führung der ausschließlich für Kabul zuständigen Multinationalen Brigade, bestehend aus deutschen, britischen, französischen, niederländischen, österreichischen und dänischen Kräften, noch vor dem 30. April 2002 übernehmen. Längst hat ein Tauziehen um die ISAF begonnen: Die Forderung von Interimspremier Karsai nach einer deutlichen Erweiterung von Kopfzahl und Auftrag findet die Unterstützung des UN-Generalsekretärs, die Amerikaner würden dagegen den raschen Aufbau von umfangreichen nationalen afghanischen Streitkräften bevorzugen, während die Europäer dazu neigen, ISAF zu verstärken, aber zunächst nicht mehr als 30.000 Soldaten für die Interimsregierung auszubilden und auszurüsten.

Die ungeklärte Sicherheitsfrage behindert die Normalisierung des Lebens im Lande und bedroht bereits den Stufenplan des "Bonn Agreements". Eine Entscheidung darüber, wie sich die internationale Gemeinschaft weiter in Afghanistan engagieren soll, erscheint überfällig. Die genannten Schwierigkeiten weisen allerdings auf ein grundsätzliches Problem hin: Über die Gestaltung der anstehenden "Zweiten Phase" im weltweiten Kampf gegen den Terrorismus besteht kein Konsens.

III. "Zweite Phase": Das Ringen um die richtige Anschluss-Strategie

Keine Frage, in den Vereinigten Staaten haben die militärischen Erfolge in Afghanistan ein Hochgefühl des Triumphes ausgelöst. Es war zu spüren in George W. Bushs Rede zur Lage der Nation vom 29. Januar 2002, in der er ankündigte, die nächsten Schläge gegen den Irak, den Iran und Nordkorea führen zu wollen - jene inzwischen schon sprichwörtlich gewordene "Achse des Bösen". Diese Drohung verzichtet auf die Herstellung eines direkten Zusammenhangs mit dem 11. September und Al Quaida, es geht vielmehr um angekündigte Präventivmaßnahmen gegen "Schurkenstaaten", die nationale Programme zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen betreiben.

Wenige Tage später, am 2. Februar 2002, nutzte die amerikanische Delegation auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Gelegenheit, Washingtons Vorstellungen von der zweiten Phase des Antiterrorkriegs zu verdeutlichen. Der einflußreiche Senator John McCain pries dort die Afghanistan- Intervention als "Modell": Man nehme überlegene Luftkräfte, verbinde sie mit Spezialeinheiten auf dem Boden sowie mit einheimischen Oppositionskräften und schreite rechtzeitig zur Tat, statt auf Aktivitäten des Feindes zu warten - dann spare man sogar Kosten! Der stellvertretende Verteidigungsminister Paul Wolfowitz machte den europäischen Konferenzteilnehmern klar, dass die USA ihr Vorgehen nicht von ihrer Zustimmung abhängig machen würden. Koalitionen hätten keinen Eigenwert, und die jeweilige Mission werde sich in Zukunft selber die passende Ad-Hoc-Koalition schaffen. Notfalls würden die Amerikaner ihre Ziele eben auch alleine verfolgen.

Unverkennbar ist die Zeit vorbei, als die Vereinigten Staaten, direkt nach dem Schock des . September, selber Schutz in der internationalen Gemeinschaft suchten. Man sieht sich wieder im Vollbesitz politischer und militärischer Handlungsfähigkeit. Die Botschaft lautet nicht, dass man zusammen mit den Verbündeten und Freunden die nächsten Schritte im Kampf gegen den Terrorismus diskutieren und gemeinsam zu Ergebnissen kommen will. Die Botschaft lautet eher, ihr könnt wählen: ja oder nein!

Die Europäer haben aber Diskussionsbedarf, und sie haben ihn in den Wochen nach der "State-of-the-Union"-Rede des amerikanischen Präsidenten auch gleich für mehrere Punkte unüberhörbar angemeldet:

· Bei den Staaten Nordkorea, Iran und Irak teilen die Europäer die Sorge um deren Politik und deren Rüstungsprogramme. Aber gerade die schlechte Erfahrung mit Isolierungs- und Sanktionskonzepten hat die Europäer zu anderen Rezepten greifen lassen, die z. T. auf einen "Wandel durch Annäherung" setzen: Ein Erfolg der Sunshine-Politik zwischen Nord- und Südkorea, die von Bush nach dem Regierungswechsel unterbrochen wurde, könnte das Nordkorea-Problem dauerhaft lösen. Eine vorsichtige Unterstützung der Reformgruppierungen um den iranischen Präsidenten Chatami erscheint sinnvoller, als ihn zu die Reformer desavouierenden antiamerikanischen Aufrufen zu treiben, wie es die Achse-des-Bösen-Rede erreicht hat. Und beim Irak halten die Europäer genauso wie die Amerikaner zwar eine Wiederaufnahme der Waffeninspektionen für absolut unverzichtbar, sie unterstützen aber die aktuellen Bemühungen der Vereinten Nationen, genau dieses Ziel in Verbindung mit einer Revision der bisher gescheiterten Sanktionspolitik zu erreichen.

· Aus europäischer Sicht wird die Bildung der politischen "Großen Koalition gegen den Terrorismus" als der wichtigste Erfolg der amerikanischen Diplomatie nach dem 11. September angesehen. Eine zweite Phase von präemptiven Schlägen gegen islamische Staaten, so fürchtet man, wird diese Koalition sprengen. Aber gerade dieser weltweite Zusammenschluss heterogener Staaten und Gesellschaften hat ja Bin Ladens Hoffnung auf eine globale Konfrontation zwischen Westen und Islam mit der Folge eines weltumfassenden Dschihad zerschlagen. Und diese große Koalition hat neue Interessengemeinschaften zwischen westlichen Staaten einerseits und China und Russland andererseits sichtbar gemacht. Aus der spontanen Bereitschaft von Präsident Putin, Amerika in der Stunde der Not aktiv beizustehen, haben sich z. B. zwischenzeitlich produktive Entwicklungsmöglichkeiten ergeben: beim russisch-amerikanischen Abrüstungsdialog und der Raketenabwehrfrage, bei Moskaus Position zur bevorstehenden NATO-Osterweiterung und bei einer neuen Qualität der Kooperation im NATO-Russland-Rat. Insofern weist diese politische Antiterror-Koalition aus europäischer Sicht doch eine Eigenwertigkeit auf, weshalb er fahrlässig wäre, sie ohne Not aufs Spiel zu setzen.

Die Europäer schauen auch mit Sorge auf eine neue globale Arbeitsteilung, die in den Medien gelegentlich auf die Kurzformel gebracht wird: "The US fights, the UN feeds, the EU funds". Dabei stellt sich nicht nur als Problem dar, dass in der öffentlichen Wahrnehmung allein der Kampfjob als echter Einsatz wahrgenommen wird. Eine solche Arbeitsteilung führt auch direkt in ein Überforderungssyndrom. Fast alle militärischen Interventionen der letzten Jahre haben zur Entstehung von Verhältnissen geführt, die man am ehesten als langfristige Versorgungs-Protektorate beschreiben könnte. Auf dem Balkan bestehen sie seit 1995 in Bosnien-Herzegowina, seit 1999 im Kosovo und faktisch seit 2001 auch in Mazedonien. Alleine in Südosteuropa sind 8.000 deutsche Soldaten stationiert, während die Amerikaner den Rückzug ihrer Soldaten bereits halboffiziell ankündigen. Jetzt ist Afghanistan dazugekommen, mit einem kaum abschätzbaren Mittelbedarf für die Schutztruppe ISAF, für die Versorgung von Bevölkerung und Flüchtlingen und den Wiederaufbau des Landes. Ein möglicher Angriff auf den Irak enthält nicht nur erhebliche Risiken für die Sicherheit der ganzen Nahost-Region einschließlich der Existenzfrage Israels und des ungelösten Kurdenproblems, eines solche Intervention wirft auch die Frage auf, wer denn hinterher die Verantwortung für die humanitäre Hilfe, die Dauersicherung des Landes und den Wiederaufbau übernehmen soll. Eine Automatik nach den genannten Mustern auf dem Balkan und am Hindukusch kann es nicht geben: Der Klärungsbedarf zwischen der amerikanischen Führungsmacht, den europäischen Partnern und den Organisationen der Weltgemeinschaft ist unabweisbar.

Am 28. März 2002 trat der Generalsekretär der Vereinten Nationen erstmals mit einer Rede im Deutschen Bundestag auf. Nicht zufällig sprach er fast ausschließlich über Afghanistan. Auch Kofi Annan sieht in Afghanistan ein "Modell", aber in ganz anderem Sinn, als Senator McCain es der Münchner Konferenz präsentiert hat. Der Friedensnobelpreisträger wirbt eindringlich dafür, sich langfristig vor Ort zu engagieren, nicht zu früh rauszugehen und Afghanistan zu einem Beispiel für einen neuen Ansatz von "sustainable peace" zu machen. Die Strategie einer auf Dauerhaftigkeit angelegten Friedenspolitik stellt Kofi Annan gleichberechtigt neben das Postulat der "Nachhaltigen Entwicklung", das sich weltweit immer stärker durchsetzt. Und er warnt vor den Fehlern der Vergangenheit, als es zu früh zur "Vernachlässigung" von Konflikten kam, statt zur Beherzigung der Regel "no exit without strategy", also kein Abzug, ohne über ein dauerhaftes Stabilisierungskonzept zu verfügen. Für den UN-Generalsekretär entscheidet sich am Beispiel Afghanistan die Frage der Glaubwürdigkeit der westlichen Antworten auf die Herausforderung des Terrorismus.

Mit Recht hat Kofi Annan darauf gezählt, dass seine Botschaft in Berlin auf offene Ohren trifft. In Deutschland besteht die Bereitschaft, die eigene Mitverantwortung für jene globalen Verwerfungen anzuerkennen, die den Humus für Extremismus und Terrorismus abgeben. Deswegen ist das politische Deutschland auch offen für jeden vernünftigen Vorschlag, wie wir durch eine Veränderung unseres Verhaltens und unserer Strategien die Biotope des Terrorismus austrocknen können. Wir stehen am Anfang eines neuen Kapitels: Auf dem Balkan mußten die Europäer lernen, dass ihre Fähigkeiten zur regionalen Krisenprävention nicht ausreichten und sie dafür bitteres Lehrgeld zahlen mußten. Es läßt sich nachweisen, dass sich diese Fähigkeiten inzwischen verbessert haben, wofür die Lösung der Mazedonien-Krise als Beispiel dienen kann. Aber schon stehen wir einer völlig neuen Herausforderung gegenüber: Man könnte sie als Aufgabe zur Herausbildung von Instrumenten und Fähigkeiten zur strukturellen oder globalen Prävention bezeichnen.

Auch in Europa zweifelt niemand daran, dass der Kampf gegen die Netzwerke und Verstecke des Terrorismus im Innern wie im Äußern fortgesetzt werden muß. Aber in der zweiten Phase dieser globalen Aufgabe geht es nicht mehr in erster Linie um Selbstverteidigung. Wir haben die Pflicht, jeden einzelnen Schritt nach seiner Wirkung im Gesamtkontext der Terrorismusbekämpfung zu überprüfen und abzuwägen. Die Europäer haben zu Beginn dieses neuen Abschnitts keine fertigen Konzepte. Es gibt viele wichtige Ansätze bei der Behandlung von regionalen Konflikten, bei der Antwort auf gefährliche Entstaatlichungstendenzen (Entstehung von sogenannten "No-Go-Areas"), bei der besseren Verteilung von globalen Entwicklungschancen, bei der humaneren Gestaltung der kaum aufhaltbaren Globalisierungsprozesse und bei der notwendigen Intensivierung des Dialogs der Kulturen - zahllose Einzelansätze, aus denen am Ende eine schwerpunktmäßig zivile Strategie der strukturellen und globalen Prävention gegen die terroristischen Aktivitäten entstehen kann.

Wir brauchen auf diesem Weg den transatlantischen Dialog. Wer uns Ja-Nein-Antworten zu anderswo ohne uns getroffenen Entscheidungen abverlangt, unterfordert uns und verschenkt dringend benötigte Potentiale. Ein erster Schritt zu diesem unverzichtbaren transatlantischen Dialog könnte die Bildung einer europäisch-amerikanischen High-Level-Spezialistengruppe aus den diversen Fachrichtungen der internationalen Politik in den Bereichen Sicherheit, Wirtschaft, Umwelt, Soziales und Recht sein, um gemeinsame Antworten für die beginnende zweite Phase im Kampf gegen die terroristische Herausforderung vorzubereiten.


Sechs Monate nach dem 11. September: Eine Zwischenbilanz

Von Dr. Dieter Dettke, Friedrich-Ebert-Stiftung, Washington

I

Sechs Monate nach dem 11. September hat Operation Enduring Freedom zumindest teilweise eine Erfolgsbilanz im Kampf gegen den internationalen Terrorismus aufzuweisen:

· Al Quaida ist als Terrororganisation erheblich, wenn nicht sogar entscheidend in seiner Handlungsfähigkeit geschwächt. Die Entführung und brutale Ermordung des amerikanischen Journalisten Daniel Pearl in Pakistan bestätigen diesen Befund mehr als dass sie ihn widerlegen. Der Mord an Pearl, demonstrativ als ritueller Judenmord vollzogen, legt die zum Holocaust bereite Intensität des Antisemitismus Osama bin Ladens und seiner Gefolgschaft bloß.

· Das Talibanregime in Afghanistan als zentrale Schutzmacht Osama bin Ladens und seines Terrornetzwerks ist entmachtet, seine Truppen weitgehend zerschlagen und etwa 7.000 Taliban- und Al Quaida-Kämpfer gefangen genommen, darunter 500 in amerikanischer Gefangenschaft, größtenteils auf Guantanamo Bay, Kuba. Ihr rechtlicher Status-und ebenso ihre Behandlung-sind umstritten und bedürfen dringend einer Klärung. Es wäre ein Fehler, und Amerika würde sich unnötigerweise eine Blöße geben, ihnen den Schutz internationaler Rechtsnormen zu verweigern.

· Afghanistan ist seit der UN-Konferenz auf dem Bonner Petersberg Anfang Dezember 2001 auf dem Wege einer friedlichen Entwicklung. Diese ist zwar noch immer hauptsächlich außengestützt, auf wirtschaftlicher Ebene wie auch in Hinblick auf seine innere und äußere Sicherheit, aber dennoch mit einer erfolgsversprechenden Zukunftsperspektive ausgestattet.

Eine realistische Einschätzung der bisherigen Ergebnisse in der Auseinandersetzung mit dem internationalen Terrorismus zwingt aber auch zu den folgenden Feststellungen:

· Osama bin Laden als Kopf von Al Quaida und Mullah Omar als Führer der Taliban sind nach wie vor auf freiem Fuße und bleiben damit potentielle Gefahrenquellen und Zentren möglicher Destabilisierung, zumal sich wohl beide nach jüngsten Berichten noch immer in Afghanistan aufhalten. Vereinzelte Taliban- und Al Quaida-Kräfte leisten noch immer Widerstand gegen die amerikanischen Streitkräfte in Afghanistan. Die innenpolitische Lage in Afghanistan ist deshalb nach wie vor äußerst störanfällig. Der Einfluß sogenannter Warlords könnte wieder zunehmen, wenn die innenpolitische Befriedung und die wirtschaftspolitische Stabilisierung nicht zügig genug vorankommen und erfolgreich verlaufen.

· Die 4.500 Mann starke International Security Assistance Force (ISAF) wird vermutlich nicht ausreichen, um die Übergangsregierung von Hamid Karsai wirksam zu stützen. Eine realistische Größenordnung von Truppen zur Aufrechterhaltung der inneren und äußeren Sicherheit Afghanistans während der Übergangszeit, d.h. bis eine stabile demokratische Regierung mit eigenen Sicherheits- und Streitkräften im Amt ist, dürfte eher bei 30.000 liegen.

· Spannungen zwischen Indien und Pakistan als Begleiterscheinung der Auseinandersetzung mit dem internationalen Terrorismus zeigen, dass die Gefahr eines regionalen militärischen Konfliktes in Südwestasien zugenommen hat. Ebenso treibt der Nahostkonflikt in einen Spannungszustand, der sich auch dort in einem Krieg entladen könnte.

· Operation Enduring Freedom hat in den USA und in Europa ausreichend innenpolitische Unterstützung erhalten. Der Militäreinsatz konnte sich auf die Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, auf Artikel 51 der Satzung der UN sowie auf Artikel 5 des Nordatlantikvertrags abstützen und wurde von einer beeindruckend breiten Koalition von Staaten unterstützt, darunter auch Staaten, die nicht mit den Vereinigten Staaten verbündet sind, wie z.B. Rußland, China und der Iran. Der Deutsche Bundestag hat am 16. November 2001 dem Einsatz deutscher bewaffneter Streitkräfte zugestimmt. Großbritannien, Frankreich, Italien, Spanien und andere europäische Partner der USA haben ebenfalls Streitkräfte und andere Hilfsmittel zur Verfügung gestellt.

Außerhalb Europas und der Vereinigten Staaten hat Operation Enduring Freedom jedoch erheblich weniger Unterstützung gefunden. Vor allem in der islamischen Welt stieß das militärische Vorgehen gegen das Talibanregime in Afghanistan und die Terrororganisation Al Quaida überwiegend auf Ablehnung. Einer Gallup-Umfrage zufolge, die kurz nach dem 11. September in 37 Ländern durchgeführt wurde, sprachen sich nur in Israel, Indien und den USA deutliche Mehrheiten für ein militärisches Vorgehen aus. In Pakistan waren 82 Prozent gegen einen militärischen Eingriff, obwohl Präsident Musharraf sich auf die Seite der Vereinigten Staaten stellte. Auch in der Türkei, ein NATO-Verbündeter, stieß das militärische Vorgehen gegen Al Quaida in Afghanistan auf Vorbehalte. Tatsache ist, dass in der islamischen Welt noch heute die meisten Menschen glauben, dass die Terroranschläge vom 11. September nicht von moslemischer Hand stammen.

II

Das bedeutet: Die erste Phase des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus ist noch nicht ganz abgeschlossen. Es sind nach wie vor auf allen Ebenen der Auseinandersetzung mit dem internationalen Terrorismus erhebliche Anstrengungen notwendig, um den Erfolg sicherzustellen. Erfolg hängt letztlich aber auch von westlicher Überzeugungsfähigkeit ab und von der Notwendigkeit, Menschen durch das eigene Beispiel für sich zu gewinnen. Der Westen darf nicht den Eindruck erwecken, der islamischen Welt westliche Werte überstülpen zu wollen. Es kann nicht nur ein Modell von Marktwirtschaft, Demokratie und Toleranz geben. Auch wir müssen für neue Entwicklungen offen bleiben. Die Bedrohung durch den Terrorismus, vor allem für eine offene Gesellschaft, darf nicht unterschätzt werden, denn letztlich sind es die Werte, Überzeugungen und Institutionen der offenen Gesellschaft, deren Zerstörung sich Terroristen wie Osama bin Laden zum Ziel gesetzt haben. Es wäre naiv und unrealistisch anzunehmen, dass es mit Terroristen vom Schlage Osama bin Ladens eine rationale Diskussion geben kann. Im Kern dreht sich die Auseinandersetzung eben nicht um einen Kampf der Zivilisationen wie Samuel Huntington ihn vorausgesagt hat. Diesen Zivilisationskonflikt möchten Osama bin Laden und seine Terrornetzwerke zwar herbeiführen, um auf der Basis des erstrebten Sieges den reinen islamischen Staat-das Kalifat-zu errichten. Die wirkliche Auseinandersetzung dreht sich um die Substanz der gesellschaftlichen Ordnung, in der wir leben. Sie gilt es zu verteidigen, denn Demokratie, individuelle Selbstbestimmung, Gleichberechtigung von Mann und Frau und religiöse Toleranz haben in der von Osama bin Laden angestrebten Ordnung keinen Platz. Seine tiefe Verachtung des Westens rührt von der Ablehnung dieser Werte her. Er ist der Überzeugung, dass der Islam vom Westen, insbesondere von Amerika an seiner Entfaltung gehindert wird und negativem Einfluß ausgesetzt ist, solange Amerika insbesondere in der Golfregion sowie im arabischen Raum eine umfangreiche Militärpräsenz unterhält und maßgebliche Kontrolle über die Ölvorkommen in arabischen Staaten ausübt. Osama bin Laden sieht sich als Opfer des Westens und Amerika als Zentralgewalt arabischer Unterdrückung und versucht damit Terror, Gewalt und Mord zu rechtfertigen. Sein Kampf wird in der Sprache der Religion und des Glaubens geführt, aber mit Religiosität und Glauben hat dies wenig zu tun. Es handelt sich um einen existenziellen Konflikt und hier kann es auf unserer Seite keinen Zwang geben, die Selbstverteidigung auf zivile Mittel zu beschränken.

Eine Auseinandersetzung von dieser Dimension kann aber nicht nur auf militärischer Ebene geführt werden. Militärische Vergeltung alleine reicht nicht aus, um vor terroristischen Anschlägen sicher zu sein. Nötig ist eine Strategie, die dem Terrorismus auf Dauer den Boden entzieht, auf dem er gedeiht. Nur ein umfassender politischer, militärischer, wirtschaftlicher und vor allem auch kultureller Ansatz kann zum Erfolg führen. Entscheidend ist auch, dass sich Europa und Amerika auf ein gemeinsames Konzept einigen.

III

Amerika und Europa haben den 11. September bei aller Solidarität in der Betroffenheit und einem anfänglichen Zusammenstehen im Angesicht einer tödlichen Bedrohung aus unterschiedlichen Perspektiven erlebt und wahrgenommen. In Amerika sind die Terroranschläge vom 11. September vor allem als ein Versagen der amerikanischen militärischen Abschreckungsfähigkeit gegenüber dem Terrorismus verstanden worden und man hat daraus die Notwendigkeit abgeleitet, die eigene Abschreckungsfähigkeit auch für asymmetrische Konflikte mit allen Mitteln und mit eiserner Entschlossenheit wiederherzustellen. Das schließt das energische Weiterbetreiben einer Raketenabwehr ein. Umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen werden auch für die Abwehr eines möglichen Einsatzes von sogenannten "schmutzigen Nuklearwaffen" durch Terroristen, die durch Zündung von waffenfähigem Uran Verseuchungskatastrophen auslösen würden, getroffen. Das neu geschaffene Amt für Home Security wird dafür verantwortlich sein.

Der finanzielle Aufwand, den die Vereinigten Staaten zur Erreichung dieses Zieles aufzubringen bereit sind, ist gewaltig. Die Steigerungsrate für den US-Verteidigungshaushalt allein wird im Haushaltsjahr 2002/2003 rund 48 Milliarden Dollar betragen. Das ist mehr als das Doppelte des gesamten deutschen Verteidigungshaushalts. Der gesamte amerikanische Verteidigungshaushalt 2002/2003 wird 379 Milliarden Dollar betragen, mehr als alle übrigen NATO Partner insgesamt für ihre Verteidigung aufbringen. Selbst die Verteidigungsausgaben der 10 Länder zusammen, die den USA gemessen an den Verteidigungsausgaben dem Rang nach folgen (Rußland, China, Japan, Großbritannien, Saudi-Arabien, Frankreich, Deutschland, Brasilien, Indien, Italien) reichen bei weitem nicht an die Größenordnung des amerikanischen Verteidigungshaushalts heran.

Die zunehmende Lücke in der Leistungsfähigkeit zwischen Europa und den Vereinigten Staaten ist nach Auffassung des Staatssekretärs für Politische Angelegenheiten im amerikanischen Außenministerium, Marc Grossman, das bei weitem größte Langzeitproblem der NATO. Die Vereinigten Staaten sind überzeugt, dass die wichtigste Voraussetzung für die Wiederherstellung der Abschreckungsfähigkeit auch für asymmetrische Konflikte-und dazu gehören Terroranschläge-die Bereitschaft und der Wille sind, alle verfügbaren Mittel zum Schutz gegen Terrorangriffe einzusetzen und, falls die Abschreckung versagt, fähig zu sein, Vergeltung zu üben. Die Bush-Doktrin geht neuerdings sogar noch einen Schritt weiter und droht nicht nur Vergeltung im Falle eines Angriffs, sondern schließt auch Präventivschläge zur Verhinderung von terroristischen Anschlägen ein. Die Androhung von Präventivschlägen richtet sich nun nicht mehr allein gegen Staaten, die Terroristen Unterschlupf gewähren, sondern schließt auch Staaten ein, die eine Unterstützung der Vereinigten Staaten im Kampf gegen den internationalen Terrorismus ablehnen und über Massenvernichtungswaffen nuklearer, chemischer oder biologischer, einschließlich bakteriologischer Art, verfügen. In diesem Zusammenhang hat Präsident Bush in seinem Bericht zur Lage der Nation vom 29. Januar 2002 den Irak, Iran und Nordkorea als "Achse des Bösen" gebrandmarkt, obwohl zwischen diesen drei nuklearfähigen Staaten, die auch über andere Massenvernichtungswaffen verfügen, keine vertraglichen oder sonstigen politischen Verbindungen bestehen. In Europa, dessen Beiträge zur Terrorismusbekämpfung in dem Bericht zur Lage der Nation von Präsident Bush nicht erwähnt worden sind, ist dadurch Unsicherheit über die amerikanische Antiterrorismusstrategie entstanden. Im Falle des Irak handelt es sich um ein Regime, das auch vor dem Gebrauch von Massenvernichtungswaffen nicht zurückschreckt und chemische Waffen sowohl im Krieg gegen den Iran als auch gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat. Im Iran liegen die Dinge jedoch anders. Dort wird durch die Androhung eines Präventivschlages der demokratischen Opposition der politische Boden entzogen, und auf der koreanischen Halbinsel wird damit die Sunshine Policy des südkoreanischen Präsident Kim Dae Jung, ein amerikanischer Verbündeter, untergraben.

Bislang ist es jedoch nur bei der Androhung von Präventivschlägen geblieben. Die amerikanische Regierung hat bisher in der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus eher maßvoll reagiert. Als mögliches Ziel von amerikanischen militärischen Eingriffen auch unabhängig von terroristischen Aktivitäten-und damit völkerrechtlich nicht gedeckt durch die UN-Resolutionen 1368 (2001) und 1373(2001), Artikel 5 des NATO-Vertrages sowie Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen-ist in der amerikanischen Öffentlichkeit vor allem der Irak genannt worden. Mit der Niederlage im Golfkrieg ist der Irak gezwungen worden, auf den Besitz von Massenvernichtungswaffen zu verzichten und andere militärische Beschränkungen hinzunehmen. Die letzten UN-Inspektionen zur Überprüfung der aus dem Golfkrieg resultierenden Auflagen fanden 1998 statt und blieben ergebnislos. Das neue im Jahre 2001 durch UN-Resolution 1284 ins Leben gerufene Inspektionsregime (UNMOVIC), mit dem das gescheiterte UNSCOM-Regime ersetzt werden soll, wartet noch immer auf seine Einreise in den Irak. Ende Mai läuft die Verlängerung des Oil for Food Programms der UNO aus. Bis dahin soll ein Mechanismus gefunden werden, mit dessen Hilfe die irakische Weigerung, die Einreise von UNMOVIC zuzulassen, überwunden werden kann. Kommt es bis Ende Mai dieses Jahres nicht zu einem neuen UN-Inspektionsregime mit Auflagen, die der internationalen Staatengemeinschaft die Sicherheit geben, dass der Irak nicht über Massenvernichtungswaffen verfügt, wird in den USA der Druck steigen, auf einen Regimewechsel-wenn nötig auch mit Hilfe einer militärischen Intervention-hinzuwirken. Die USA würden durchaus ein multilaterales Vorgehen gegen den Irak bevorzugen, sind aber auch entschlossen, notfalls allein zu handeln, um dem Irak Herstellung, Besitz und Verfügungsgewalt über Massenvernichtungswaffen zu versagen. Der notwendige innenpolitische Rückhalt in der öffentlichen Meinung wie auch in beiden politischen Lagern für eine-falls erforderlich-auch ohne internationale Unterstützung durchgeführte Militärintervention mit dem Ziel eines Regimewechsels im Irak ist vorhanden.

Die Bundesregierung sollte jetzt vor allem darauf hinwirken, ein neues wirksames UN-Inspektionsregime zu errichten. Es liegt auch im europäischen Interesse, dass der nuklearfreie Status des Irak erhalten bleibt und dass der Irak auf die Herstellung und den Besitz von Massenvernichtungswaffen verzichtet. Zur Sicherstellung der Einhaltung der entsprechenden internationalen Verpflichtungen müssen die dazu notwendigen Inspektionen ungehindert stattfinden können.

IV

Die Vereinigten Staaten richten sich auch auf eine verstärkte militärische Präsenz weltweit ein. Die US-Präsenz in Südwestasien, ausgehend vom gegenwärtigen Militäreinsatz in Afghanistan, wird mit Sicherheit über einen längeren Zeitraum und über die unmittelbaren Kriegsziele im Kampf gegen Al Quaida und des Talibanregime hinaus erhalten bleiben. Gleichzeitig streben die USA ganz neue Formen der internationalen militärischen Kooperation zum Zwecke der Terrorbekämpfung an.

1. Anfang dieses Jahres stellte das amerikanische Pazifikkommando unter der Führung von Admiral Blair den Philippinen amerikanische Spezialeinheiten für Trainingszwecke und zur Ausbildung von philippinischen Streitkräften in der Terrorbekämpfung zur Verfügung.

2. Seit Ende Februar bemüht sich das zentrale Kommando der USA unter Leitung von General Franks, der gleichzeitig auch die Führung von Operation Enduring Freedom innehat, um die Zustimmung von Regierung und Kongress, dem Jemen ebenfalls US-Streitkräfte für Ausbildungs- und Trainingszwecke zur Verfügung zu stellen.

3. Anfang März dieses Jahres entschloß sich das Europäische Kommando der USA unter Leitung des Generals der Luftwaffe, Joseph Ralston, der gleichzeitig und in Amtseinheit auch Oberbefehlshaber der NATO ist, Georgien mit Hubschraubern zu versorgen und außerdem auch amerikanische Einheiten zur Ausbildung georgischer Soldaten zu Verfügung zu stellen, um Georgien im Kampf gegen Terroristen, die sich im Pankisi-Tal in der Nähe der Grenze Georgiens zu Tschetschenien aufhalten, zu unterstützen.

Es ist denkbar, dass sich diese weltweite amerikanische Militärpräsenz zum Zweck der Bekämpfung des internationalen Terrorismus in Zukunft ausweiten wird. Es gibt Überlegungen, für diesen Zweck sogar ein neues, zentrales Kommando zu schaffen.

Die Bundesregierung sollte gemeinsam mit ihren europäischen Partnern darauf hinwirken, dass sich die USA in Zukunft auch stärker an internationalen Friedenstruppen beteiligen, statt die Aufgabe der Friedenssicherung allein anderen zu überlassen.

V

Europa hat die Terroranschläge vom 11. September vor allem als Zivilmacht wahrgenommen und dementsprechend nicht die eigenen militärischen Beiträge, sondern die nicht-militärischen Möglichkeiten und Notwendigkeiten zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus in den Vordergrund gerückt, zum Beispiel die Wirtschaftshilfe in Krisengebieten, die UN-Konferenz über die Zukunft Afghanistans auf dem Petersberg bei Bonn und die Notwendigkeit, in der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus gleichzeitig auch den Dialog der Kulturen zu fördern. Das Bundeskabinett erhöhte deshalb auch folgerichtig nach dem 11. September nicht nur den Verteidigungsetat, sondern auch den Etat des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Aus amerikanischer Perspektive erscheinen Begleitmaßnahmen wie interkultureller Dialog und Armutsbekämpfung mit dem Ziel, dem Terrorismus den Boden zu entziehen, auf dem er gedeiht, zumindest in Teilen der Öffentlichkeit eher als Appeasement und nicht als die geeignete Gegenstrategie in der Auseinandersetzung mit dem internationalen Terrorismus. Die Vorstellung, angesichts zahlreicher existentieller Bedrohungen-nicht nur durch den Terrorismus-als Zivilmacht überleben zu können, ist Amerika fremd und wird von Autoren wie Charles Kanthammer als selbstmörderisch qualifiziert. So wie in Europa die Rolle des Militärischen in der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus möglicherweise unterschätzt wird, scheint in Amerika das militärische Vorgehen verkürzt und ohne durchaus mögliche negative Rückwirkungen reflektiert zu werden. Amerika glaubt sich zum Teil auch in moralischer Hinsicht auf einer Ebene zu bewegen, die dem europäischen Ansatz überlegen ist. Sechzig amerikanische Philosophen und Sozialwissenschafter-überwiegend der politischen Mitte in Amerika zuzuordnen-, darunter Michael Walzer, Amitai Etzioni, Jean Bethke Elshtain, Francis Fukuyama, William Galston, Samuel Huntington, Senator Moynihan, Robert Putnam, Fred Siegel u.a. haben das militärische Vorgehen gegen Al Quaida und das Talibanregime als "gerechten Krieg" und damit als nicht nur moralisch gerechtfertigt, sondern sogar als moralisch notwendig bezeichnet. Ihre Schlußfolgerung lautet: "Wir kämpfen, um uns zu verteidigen, aber wir glauben auch, dass wir kämpfen, um jene universellen Prinzipien der Menschenrechte und der Menschenwürde zu verteidigen, die unsere beste Hoffnung für die Menschheit sind."

In Europa ist hinter der Welle eines neuen Patriotismus und den innenpolitischen Zwängen und Erfordernissen zur Rechtfertigung auch der Kosten der militärischen Operationen die Tiefe der Verletzung des amerikanischen Selbstbewusstseins und Selbstverständnisses durch die Terroranschläge zum Teil nicht richtig erkannt worden. Die Konfrontation mit der eigenen Verwundbarkeit trotz überlegener militärischer und wirtschaftlicher Macht hat in Amerika einen Schock ausgelöst und ist noch immer nicht vollkommen verarbeitet worden. Europa hat demgegenüber anders als Amerika im Laufe seiner Geschichte eine sehr viel tiefere kulturelle Abneigung gegenüber dem Krieg entwickelt und vor allem seit dem Zweiten Weltkrieg gelernt, mit der eigenen Verwundbarkeit zu leben. Hier gibt es deutliche Erfahrungsunterschiede auf beiden Seiten des Atlantiks. Eine moralisch-philosophische Debatte über die Wertigkeit europäischer und amerikanischer Ansätze zur Bekämpfung des Terrorismus wäre bitter notwendig, denn es stellen sich tatsächlich existentielle Fragen über Werte, wie und mit welchen Mitteln sie zu erhalten und zu verteidigen sind, welche Rolle und Verantwortung nationale Regierungen gegenüber der eigenen Bevölkerung haben und in welchem Maße internationale Institutionen eine Schutzfunktion gegen Terroranschläge übernehmen können.

VI

Überall auf der Welt war mit der Tragödie des 11. September auch die Hoffnung verbunden, dass diese Anschläge auf die gesamte zivilisierte Welt auch neue Impulse zur Wiederbelebung gemeinschaftlichen Handelns der zivilisierten Welt auslösen würden. Davon kann bisher aber nur bedingt die Rede sein. Die Vereinigten Staaten haben den 11. September vor allem als eine nationale Herausforderung betrachtet. Sie hätten mehr tun können, um das politische, wirtschaftliche und militärische Potential ihrer Partner, Freunde und Verbündeten wirksamer zu nutzen und die zur Verfügung gestellten militärischen Mittel auch tatsächlich einzusetzen. In einer echten europäisch-amerikanischen Partnerschaft läge ein gewaltiges Potential zur Konfliktlösung. Die USA haben einen Anteil von 40 Prozent an den Gesamtausgaben für militärische Zwecke weltweit. Der Beitrag der EU für entwicklungspolitische Zwecke weltweit liegt bei 55 Prozent. Europa und die USA zusammen leisten 90 Prozent aller Ausgaben für humanitäre Zwecke. In Afghanistan lässt sich die Wirksamkeit gemeinsamen europäisch-amerikanischen Handels erkennen. Gelänge es, das gemeinsame Potential auch im Nahen Osten voll auszuschöpfen, würden die Aussichten auf eine baldige Friedensregelung erheblich zunehmen.

Auch die heute so übergroß erscheinende amerikanische Macht ist nicht grenzenlos, und langfristig werden die Kosten des Multilateralismus und auch der zusätzliche Management-, Abstimmungs- und Koordinationsbedarf durch Stabilitätsvorteile aufgewogen. Unilateralismus ist keine dauerhafte Politik. Bald wird sich zeigen: Je deutlicher die Kosten des amerikanischen Unilateralismus zum Vorschein kommen, desto stärker werden der amerikanischen Öffentlichkeit die Vorteile des Multilateralismus bewußt. In Fragen der NATO-Erweiterung, der Sicherheit auf dem Balkan, in der Zusammenarbeit der NATO mit Russland und auch in der Frage der Raketenabwehr kann Amerika Europa nur zum eigenen Nachteil auf Dauer ignorieren. Globale Herausforderungen ließen sich mit Europa gemeinsam zum beiderseitigen Vorteil lösen. Das gilt für den globalen Umweltschutz, die Gesundheitspolitik und dabei vor allem die Gefahr neuer Epidemien, den Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und andere Fragen. Kein anderer Partner könnte mit den USA auf einer ähnlich breiten Front zusammenarbeiten. Europa ist heute friedlicher, demokratischer und wirtschaftlich höher entwickelt als je zuvor in seiner Geschichte. Das haben wir Europäer unter anderem auch den Vereinigten Staaten zu verdanken. Der Erfolg bindet, auch wenn der Zwang zur Partnerschaft nicht mehr vorgegeben ist, sondern immer wieder neu erarbeitet werden muß.