Presseerklärung vom 8. Oktober 2002

Bosnien-Herzegowina darf nicht abgeschrieben werden

Zum Wahlergebnis in Bosnien und Herzegowina erklärt der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler:

Vor dem Hintergrund der Krisen in Kosovo und Mazedonien sowie den Folgen des 11. September 2001 war das internationale Interesse an Bosnien und Herzegowina in den letzten Jahren fast auf Null zurückgegangen. Dies war insofern auch verständlich, da dort nach dem furchtbaren Bürgerkrieg der neunziger Jahre offensichtlich Ruhe eingekehrt war und es so aussah, als ob sich das Land mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft wieder normalisiere.

Alle Experten jedoch wiesen immer wieder darauf hin, dass diese vordergründige Ruhe nicht bedeutet, dass die grundlegenden Probleme des Landes gelöst sind. Das sehr deutliche Wahlergebnis für die nationalistischen Parteien aller drei Ethnien hat nun gezeigt, dass es bis zum von Europa herbeigesehnten Zusammenwachsen zu einem multiethnischen Bosnien doch noch ein langer Weg ist.

Das Wahlergebnis zeigt, dass es eben nicht damit getan ist, Milliarden in ein Land zu pumpen und eine protektoratsähnliche internationale Administration überzustülpen. Eine Veränderung der Mentalitäten hin zu einer modernen offenen Zivilgesellschaft ist damit allein nicht zu erreichen.

Das Wahlergebnis sollte weder verharmlost noch dramatisiert werden. Es bedeutet aber auf jeden Fall, dass die Verantwortung Europas für diesen Teil des Balkans noch lange nicht beendet ist. Unsere Präsenz wird daher weiterhin sowohl militärisch als auch zivil von großer Wichtigkeit bleiben.

Es wird weiterhin richtig sein, auf die nicht-nationalistischen Kräfte in der Gesellschaft Bosniens zu setzen, auch wenn diese nun eine Niederlage erlitten haben. Solange es den fortschrittlichen Kräften allerdings nicht gelingt, die Lebensverhältnisse der Menschen zu verbessern, werden sie schwach bleiben. Solange Korruption und organisiertes Verbrechen großen Einfluss haben, wird der Aufbau eines wirklichen Rechtsstaates nur schwer vorankommen. Die SPD wird sich daher dafür einsetzen, dass die Mittel und Instrumente zum Aufbau einer Zivilgesellschaft in Bosnien und Herzegowina künftig verstärkt eingesetzt werden.