Rede Gernot Erlers in der 142. Sitzung des Deutschen Bundestages am 17. Januar 2001: Aktuelle Stunde (Außenminister Joschka Fischer)

Gernot Erler (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Außenpolitik ist ein Erfolgsthema der rot-grünen Regierung. Der Mann Joschka Fischer und seine Politik haben in der Öffentlichkeit Popularitätswerte, von denen Sie nur träumen können, und das wird auch so bleiben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Kerstin Müller [Köln][BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja das Problem!)

Jetzt wird eine Geschichte ausgegraben - keine neue, sondern eine, mit der sich Joseph Fischer längst intensiv und schmerzlich auseinander gesetzt hat -, die Sie überhaupt nicht interessiert. Sie interessiert weder die Frage von Gewalt in den 70er-Jahren noch das Wechselverhältnis von Provokation und Eskalation. Selbst die Opfer interessieren Sie nicht, die es übrigens auf beiden Seiten, bei den Polizisten, aber auch bei den Demonstranten und bei unbeteiligten Passanten, gegeben hat. Das alles interessiert Sie überhaupt nicht.

(Beifall des Abg. Detlev von Larcher [SPD])

Sie interessiert nur, wie Sie bestimmte Bilder, die Sie mit bestimmten falschen Konnotationen in die Öffentlichkeit bringen, politisch ausnutzen und instrumentalisieren können.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU/CSU: Einen Wehrlosen auf den Rücken geschlagen!)

Sie sind auf Beute aus. Auf der rechten Seite des Hauses sitzt eine ehrenwerte Jagdgesellschaft. Sie haben vergessen, die Jagdhörner mitzubringen; aber hier drinnen und auch draußen kann man ihren Klang hören.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie können die Wahrheit nicht vertragen!)

Dabei werden Sie keinen Erfolg haben, denn Sie machen das alles zu offen sichtlich. Ihre Treibjagd ist durchschaut; das Publikum ist nicht so blöd, wie Sie denken.

Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ihre Methode ist, gegen die real existierende Biografie des Außenministers eine hypothetische Biografie zu setzen.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

- Das ist die Logik. - Sie argumentieren: Was ist das eigentlich für ein etablierter Politiker, der in seinem Leben einen Abschnitt hat, in dem er sich eingemischt hat, in dem er sich aufgeregt hat, in dem er auf die Straße gegangen ist, in dem er polemisch geworden ist, in dem er radikal geworden ist, in dem er sich geirrt hat, in dem er sich geprügelt hat, in dem er sich dann mit den eigenen Leuten angelegt hat und schließlich aus dem eigenen Ausstieg ausgestiegen ist? Sie fragen sich: Was ist das überhaupt für ein Leben? Wo bleibt da die Übersicht? Warum ist er nicht in die Jugendorganisation einer etablierten Partei, in die Junge Union oder wenigstens bei den Jungsozialisten, eingetreten?

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Hat er überhaupt gedient? Warum hat er nicht irgendwann einmal einen Dr. jur. oder Dr. rer. pol. gemacht, damit er etwas in seinem Briefkopf hat? Wann hat er überhaupt seinen ersten Briefkopf gehabt? Das alles fragen Sie hier und setzen damit die scheinbare Normalität eines Politikerlebens gegen diese real existierende Biografie. Sie merken aber nicht, dass die Öffentlichkeit dabei gar nicht Beifall klatscht.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS)

Es haben noch viel mehr Menschen eine eigene Lebenserfahrung, eine andere als Sie. Ich möchte Ihnen einmal eine Situation schildern, bei der ich selber beteiligt war. 1975 wurde am Kaiserstuhl der Bauplatz für ein Atomkraftwerk besetzt.

(Zuruf von der F.D.P.: Sie waren dabei?)

- Ich war dabei, jawohl. - Da waren Bauern, Winzer, ganz normale Bürger, die es als Gewalt empfunden haben, dass vor ihre Nase, in ihre Lebenswelt ein Kernkraftwerk gesetzt werden sollte. Wissen Sie, was die Landesregierung gemacht hat? - Sie hat von weit her Polizisten geholt und gesagt, den Bauplatz hätten Spontis besetzt. Dann haben die Polizisten auf die Bauern und auf die Winzer draufgehauen.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Mit Geld sind sie angekarrt worden!)

- Sie sind von weit her angekarrt worden, damit sie nicht wissen, was da los ist. Das sind Erfahrungen, die wir gemacht haben. Was meinen Sie, welche Diskussion es da gegeben hat! Die Bauern und Winzer waren auf der Kippe, selber Gewalt anzuwenden. Das hätte anders ausgesehen, als wenn ein Sponti einen Stein wirft. Sie hätten ihre schweren Geräte eingesetzt. Diese Diskussionen sind geführt worden, und zwar nicht nur dort, sondern an vielen Orten dieser Republik. Wer davon nichts weiß, der sollte hier über diese Jahre nichts sagen, der hat keine Ahnung.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Deswegen sage ich Ihnen voraus: Ihre Treibjagd ist so durchschaubar, dass sie keinen Erfolg haben wird. Denn die deutsche Gesellschaft des Jahres 2001 ist eine mündige Gesellschaft. Die Gesellschaft durchschaut Ihre Taktik, Ihre Nichtbetroffenheit und Ihr artifizielles Kesseltreiben. Unser bester Verbündeter in dieser Auseinandersetzung ist der mündige Bürger, die mündige Gesellschaft, die eine eigene reiche Lebenserfahrung hat, die sie nicht nachträglich aufregender machen muss, als sie ist.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)