Rede Gernot Erlers in der 150. Sitzung des Deutschen Bundestages am 9. Februar 2001: Regierungserklärung - Die Bundeswehr der Zukunft

Die Bundeswehr der Zukunft

Gernot Erler (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus Januar/Februar 2001 werden wir zwei Erinnerungen mitnehmen:

(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Ja, an die Rede des Ministers!)

eine daran, dass in diesen Tagen ein wichtiger Schritt zur Umsetzung der Bundeswehrreform getan wurde, und zwar mit dem Ziel, die Bundeswehr bündnisfähiger, aufgabenfähiger und zukunftsfähiger zu machen; eine andere daran, dass die Opposition, vor allem die CDU/CSU, diesen Schritt ausschließlich mit Geschrei und leer laufenden Attacken begleitet hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was hier abläuft, ist eine durchschaubare Inszenierung. Herr Merz, erst haben Sie sich an der Kampagne beteiligt, dem Verteidigungsminister bei der Uranmunition irgendwas in die Schuhe zu schieben.

(Peter Zumkley [SPD]: Ja, so war es!)

Ich betone dabei "irgendwas"; denn die Vorwürfe waren beliebig und wechselten täglich. Erst hieß es, es hätte zu späte Informationen für die eingesetzten Soldaten gegeben, später hieß es, das Problem sei vernachlässigt worden, und schließlich hieß es, es hätte eine schlechte Information des Parlaments gegeben. Was ist heute davon übrig geblieben? - Nichts, gar nichts!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie mussten anerkennen: Die eingesetzten Soldaten sind rechtzeitig gewarnt und informiert worden, die Bundeswehr hat anders als andere Streitkräfte sogar eigene Untersuchungen durchgeführt - das beweist das Gegenteil von Gefahrenunterschätzung -, und wir konnten Ihnen nachweisen, dass der Bundestag über das Thema früh, wiederholt und gründlich informiert wurde.

(Widerspruch bei der PDS)

Wir haben dabei gemerkt: Ihnen ist es überhaupt nicht um die Sicherheit der Soldaten oder den Schutz von Umwelt und Land gegangen; denn Sie haben uns, als wir versucht haben, in der NATO wenigstens einen Stopp der Verwendung dieser Munition zu erreichen, im Stich gelassen. Sie haben uns überhaupt nicht unterstützt. Das beweist, um was es Ihnen bei dieser Geschichte wirklich gegangen ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dann kamen die Standortentscheidungen. Wieder ging das Geschrei vom Kahlschlag und von der Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik los. Eigentlich hat nur noch gefehlt, dass Sie Ihre Familien in ein sicheres Ausland verbracht hätten, so ein Geschrei haben Sie angestellt.

(Heiterkeit bei der SPD)

Das waren absurde Vorwürfe. Das Echo in der Öffentlichkeit war verheerend,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und zwar für Sie, nicht für den Verteidigungsminister.

(Beifall bei der SPD)

Ich will Ihnen etwas aus der Süddeutschen Zeitung vortragen. Sie schreibt: "Man kann mäkeln und meckern an dieser oder jener Ecke seiner Reform: Rudolf Scharping kommt das klare Verdienst zu, anders als seine Vorgänger von der Union, gründlich Inventur bei der Bundeswehr gemacht zu haben. Seine Standortliste schreckt nicht vor harten Wahrheiten zurück und hat die Logik auf ihrer Seite: Wer eine moderne und kleinere Bundeswehr will, muss sich damit abfinden, dass sie sich dann aus manchem Stadtbild verabschiedet. Das eine wollen und das andere nicht aufgeben, geht nicht. Der Vorwurf des Kahlschlags ist nicht gerechtfertigt. Auch die Unterstellung der parteipolitischen Auswahl geht bei genauer Betrachtung der Streichliste ins Leere."

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das sind nicht wir, die das sagen, das ist die Öffentlichkeit.

Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Erler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen von Klaeden?

Gernot Erler (SPD): Nein, ich möchte gern im Zusammenhang vortragen. Im Mannheimer Morgen stand: "Scharping hat die Erblast in nur zwei Jahren überwunden und die Bundeswehr so radikal und grundlegend umgekrempelt wie keiner seiner Vorgänger." Das könnten wir gar nicht besser ausdrücken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Kölnische Rundschau schreibt: "Dabei versucht die Union wieder einmal, alte Schlachten neu zu schlagen. Sie spricht von Kahlschlag

(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Unverschämtheit!)

und verlangt eine Bundeswehrstärke von 300.000 Soldaten. Im Grunde will die Unionsspitze also nur kosmetische Veränderungen, aber keine Reformen." So ist das; das hat die Öffentlichkeit gemerkt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es war also wieder nichts mit der Attacke. In Wirklichkeit wissen Sie ganz genau, dass die Standortentscheidungen im Ganzen rational, in der Lastenverteilung fair und von der Sache her unumgänglich sind. Von der CSU haben wir das sogar schriftlich bekommen, freilich verbunden mit der Aufforderung an die eigenen Funktionäre, trotzdem nach Kräften vor Ort Rabatz zu machen.

(Peter Zumkley [SPD]: So ist das!)

Sie nutzen also die örtlichen Betroffenheiten, die es gibt, die wir ernst nehmen und auf die wir vor Ort auch unsere Antworten geben werden,

(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das haben wir gemerkt!)

für Ihre billigen Attacken gegen die gesamte Bundeswehrreform aus, zu der Sie in 16 Jahren nicht die Kraft gefunden haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Merz, Sie haben noch etwas gemacht: Sie haben in München auf der Sicherheitskonferenz - vielleicht sind Sie so nett und hören mir einmal zu, weil ich Sie persönlich ansprechen möchte - vor Fachleuten aus der ganzen Welt Ihr eigenes Land an den Pranger gestellt mit den sachlich falschen Behauptungen, die Bundesrepublik werde durch die Kürzung der Verteidigungsausgaben um 20 Milliarden DM

(Christian Schmidt [Fürth] [CDU/CSU]: Das hat doch Scharping selber gesagt, guter Mann! Hören Sie doch zu!)

ihre Bündnisverpflichtungen nicht erfüllen können, die übrige Welt sei mit Deutschland unzufrieden. Das ist ein unerhörter Regelverstoß; das gibt es in keinem anderen Land. Das hat es in 36 Konferenzen vorher nicht gegeben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Damit haben Sie den Grundkonsens in der Sicherheitspolitik gebrochen, Herr Merz. Leute, die mehr Erfahrung haben als Sie, werden Ihnen noch oft sagen, dass diese Premiere fehlgeschlagen ist. Sie werden Ihnen sagen, was sie davon halten, nämlich gar nichts.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Michael Glos [CDU/CSU]: Wer schreit, hat Unrecht! - Friedrich Merz [CDU/CSU]: Ihnen hört ja nicht mal mehr der Scharping zu!)

Ziehen wir also Bilanz: Ihr Versuch bezüglich der Uranmunition ist gescheitert, ebenso der bezüglich der Standortentscheidungen. Über die Provokation, die Sie sich in München geleistet haben, haben alle geschwiegen, weil es allen nur peinlich war. Aber Sie brauchen ja etwas, um schnell in die Offensive zu kommen. Sie müssen ja ablenken von Ihrem internen Führungshakeln und Führungsdebakel,

(Dr. Peter Struck [SPD]: Debakel ist besser!)

von Ihrem geschmacklosen Plakatdesaster und all den anderen Pleiten der letzten Tage. Deswegen haben Sie jetzt ein neues Thema gefunden, nämlich die Bundeswehrfinanzen. Nach dem Motto "Ist der Ruf erst ruiniert, lebt sich's gänzlich ungeniert" kann man jetzt natürlich mit diesem Thema kommen, ohne irgendwelche Etatvorschläge, die gedeckt sind, zu machen. Die Methode ist: Wieder rein in die Vollen, Horrorzahlen verbreiten, Unsicherheit säen - alles wie gehabt. Die Öffentlichkeit erwartet in der Tat schon gar nichts anderes mehr von Ihnen.

(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Der Verteidigungsexperte Erler!)

Aber, Herr Kollege, die Zahlen sind nun einmal neutral; die können Sie nicht anzweifeln. Nach den Zahlen ist es nun einmal Tatsache, dass der Einzelplan 14 nicht in Ihrer Zeit, sondern in den nur drei Etats der neuen Bundesregierung angewachsen ist. Es ist nun einmal Tatsache, dass Sie für die Materialerhaltung in den letzten vier Jahren Ihrer Regierung im Schnitt 4 Milliarden DM aufgewendet haben.

(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Das ist ja wirklich hanebüchen!)

Wann wurde denn von der Kannibalisierung ganzer Waffensysteme gesprochen? Dieser Begriff ist doch zu Ihrer Regierungszeit geprägt worden und nicht zu unserer.

(Beifall bei der SPD)

Diese Mittel sind jetzt aufgestockt worden. In Investitionen in die militärische Beschaffung sind fast 2 Milliarden DM mehr als in Ihrer Regierungszeit geflossen. Wir haben doch noch die vielen Klagen der Industrie im Ohr, die in Ihrer Regierungszeit in Bezug auf die Arbeitsplätze und die Fähigkeit, international mitzuhalten, geäußert wurden. Das ist jetzt besser geworden. Auch die Investitionsquote, eine magische Größe, haben Sie von 26,9 Prozent im Jahre 1991 auf 23,7 Prozent in Ihrem letzten Regierungsjahr heruntergefahren - mit einem Tiefpunkt von 21,1 Prozent im Jahr 1994. Das ist damals international in der Tat ein Thema gewesen. Jetzt liegt die Investitionsquote wieder bei 24,3 Prozent; wir wollen in diesem Jahr auf 25,4 Prozent kommen. An diesen Zahlen kommen Sie nicht vorbei. Ihre Attacken in Bezug auf diese Etatfrage brechen schlicht und einfach zusammen. Tatsache ist: Die neue Bundesregierung hat die Mittel im Einzelplan 14 erhöht.

(Günther Friedrich Nolting [F.D.P.]: Wo waren Sie eigentlich in den letzten Wochen?)

Sie hat die Materialerhaltung verstärkt. Sie hat die Mittel für Investitionen erhöht und vor allen Dingen die Investitionsquote wieder heraufgesetzt. Das alles ist im dritten Etatjahr der neuen Bundesregierung gelungen. Das ist ein respektables, ein vorzeigbares Ergebnis, das zudem unter den Zwängen der Haushaltskonsolidierung erzielt worden ist, die von der Bevölkerung akzeptiert wird und die auch für die Bundeswehr gelten muss. Darüber gibt es in unserer Gesellschaft einen Konsens.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen kann ich von dieser Stelle aus abschließend nur eines tun: Ich kann Sie, Herr Merz, und Ihre Fraktion nur dazu auffordern, endlich einmal zur Kenntnis zu nehmen, dass Sie mit Ihrer ständigen Aufforderung zur Ausweitung der Verteidigungsausgaben weder in der Fachwelt noch in der Mehrheit der Bevölkerung Zustimmung finden. Die Mehrheit hat die Unseriosität Ihrer Forderungen, die ja gar nicht von irgendwelchen Deckungsvorschlägen begleitet werden, erkannt.

(Werner Siemann [CDU/CSU]: Sie sollten einmal in den Verteidigungsausschuss kommen, Herr Erler!)

Sie zielen mit Ihren haltlosen Zahlenspielen zwar auf die Verunsicherung der Beschäftigten ab, werden damit aber Schiffbruch erleiden. Denn die Menschen haben längst bemerkt, dass es nicht um mehr Verteidigungsausgaben geht, sondern darum, die Sicherheit und die Zukunft der Bundeswehr auf der Basis einer Reform, einer realistischen Anpassung der Größenordnung, also auf der Basis von Strukturveränderungen, zu gestalten. Dies ist der einzige Weg und den geht Rudolf Scharping bzw. die Koalition.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich rufe Ihnen zu: Hören Sie auf mit Ihrem unverantwortlichen Gerede! Kehren Sie zur Sacharbeit zurück, die noch genügend Platz für ein Ringen um die besseren Antworten lässt! Herr Merz, kehren Sie zu dem in sicherheitspolitischen Fragen bewährten Grundkonsens zurück! Davon haben in der Vergangenheit alle profitiert: die Gesellschaft, die Bundeswehr und das Ansehen Deutschlands in der ganzen Welt. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)