Interview mit Gernot Erler im Deutschlandfunk vom 7. Januar. 2005

Hilfe für die Flutopfer kann internationale Beziehungen verbessern

Moderation Bettina Klein: Am Telefon begrüße ich Gernot Erler, SPD-Außenpolitiker, stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Bundestag. Schönen guten Morgen Herr Erler!

Gernot Erler: Guten Morgen Frau Klein.

Klein: Können sich die internationalen Beziehungen im Zuge der gegenwärtigen höchst umfangreichen internationalen Spenden- und Hilfsaktionen zum Besseren verändern, oder wäre dies zu glauben sehr naiv?

Erler: Die Chance besteht auf jeden Fall, denn das, was jetzt zwölf Tage nach der säkularen Katastrophe an internationaler Kooperation anfängt, das ist schon beachtenswert. Wir haben ja eine Fülle von internationalen Geberkonferenzen. Wir haben heute die Beratungen der EU-Minister in Brüssel. Wir haben dann am nächsten Dienstag noch die Geberkonferenz in Genf und Sie haben schon darauf hingewiesen, dass in Jakarta gestern Ergebnisse erzielt worden sind. Das ist ja eine sehr dichte Folge und das ist eine Zusammenarbeit, das ist ein Kampf um Hilfsbereitschaft und das steht natürlich in einem Kontrast zu dieser geteilten Welt, die vor allen Dingen von dem Kampf gegen den Terrorismus bisher geprägt war. Die Chance besteht schon, dass dies eine neue Qualität annimmt, was sich hier an internationaler Kooperation jetzt entwickelt.

Klein: Wo konkret sehen Sie denn Entwicklungspotenzial in den weltweiten Beziehungen?

Erler: Es geht hier ja um eine gewaltige Koordinationsaufgabe, wobei eben genau das nicht wirken wird, wenn irgendwelche Länder sagen, wir wollen hier die Führung übernehmen, wir wollen uns hier besonders profilieren, wir treten hier in einen Wettbewerb darüber ein, wer denn am besten und am wirksamsten hilft. Das kann alles nichts bewirken, denn wir wissen ja tatsächlich, dass es immer einen Kontrast gibt zwischen dem, was dort zugesagt wird, und was denn tatsächlich gemacht wird. Die Betroffenen vor Ort brauchen einmal jetzt Soforthilfe. Die brauchen aber dann vor allen Dingen auch den langen Atem. Die brauchen auch noch eine Aufmerksamkeit, wenn sich längst die Scheinwerfer der internationalen Aufmerksamkeit wieder auf irgendwelche anderen Ereignisse gerichtet haben. Das wird passieren, das wird auch bei dieser säkularen Katastrophe passieren. Dann wird die entscheidende Frage sein: Stehen dann die Länder, die sich jetzt an diesen Zusagen beteiligen, noch zu dem, was sie gesagt haben, oder werden sie dann auch ihre eigenen Zusagen eher auf der Agenda ein bisschen nach hinten stellen.

Klein: Lassen Sie uns dazu gleich noch kommen. Zunächst noch eine Frage: Man sieht aber immer noch hinter den Kulissen unter der Oberfläche die alten Verwerfungen in den vergangenen Tagen und Wochen. Die USA, so hieß es, wollen sich angeblich gegen die UNO abgrenzen, während die Europäer mit den Vereinten Nationen gerne eng zusammenarbeiten würden. Sehr schnell ist an der US-amerikanischen Uneigennützigkeit gezweifelt worden. Was hat sich denn da verändert?

Erler: Na ja, wenn man jetzt genau hingeguckt hat, zum Beispiel in Jakarta, dann war im Vorfeld auch alles Mögliche geredet worden über eine Schwächung von Kofi Annan über ein Bedürfnis der Amerikaner, vor allen Dingen in dem großen muslimischen Land Indonesien Eindruck zu erzielen, und das waren ja keine guten Vorzeichen für diese Konferenz. Es hat sich dann aber gezeigt, dass die Führungsrolle der Vereinten Nationen und vor allen Dingen jetzt die Koordinierungskraft der Vereinten Nationen bei der Durchführung der Hilfsaktionen unbestritten ist und dass sich auch die anderen Länder bereit sind, dort einzureihen. Vorher ist ja so eine Kerngruppe USA, Indien, Japan, Australien gebildet worden. Die sind jetzt aber bereit - und das ist auch sinnvoll, dass die dort zusammenarbeiten -, unter der Führung der Vereinten Nationen diese Kernaufgaben zu übernehmen. Das sind doch eigentlich positive Signale, die dort gekommen sind, und man hat doch den Eindruck, dass gerade die, die sich in der Region auch umgesehen haben, beeindruckt sind von dem Ausmaß der Hilfsbedürftigkeit und des Schreckens, dass sie jetzt alle anderen Ziele ein bisschen hinten anstellen. Ich bin da nicht naiv. Selbstverständlich werden da immer auch geopolitische Ziele, Einflussziele und so weiter verfolgt werden, aber wenn sich das dann so auswirkt, dass die Hilfsbedürftigen tatsächlich rasch Hilfe kriegen, finde ich, dann ist dies das Allerwichtigste.

Klein: Die Bundesrepublik steht an der Spitze der Geberländer mit einer halben Milliarde Euro, eine Entscheidung für diese Summe, die dem Ruf Deutschlands sicher nicht schaden wird?

Erler: Es ist kein Schönheitswettbewerb. Australien hat zum Beispiel 580 Milliarden Euro zugesagt. Ganz an der Spitze stehen wir also nicht. Wir stehen in Europa auf jeden Fall an der Spitze. Ich denke aber, das ist für ein Land wie Deutschland eine sehr gute Geste, die da gemacht wird, wie es insgesamt glaube ich nicht nur um die Höhe der Summe geht, sondern auch um die Schnelligkeit der Reaktionen. In Deutschland ist von Anfang an sehr schnell und sehr entschieden hier auch mit dem Krisenstab geantwortet worden, vielleicht auch deswegen, weil so viele Deutsche auch selber betroffen sind. Ich glaube aber, dass wir darüber froh sein können, welche Rolle im Augenblick die Bundesrepublik hier spielt.

Klein: Ist es denn eine so verkehrte Idee, sich zu überlegen, dass man auch damit beweist, die Bundesrepublik ist bereit, sich weltweit in diesem Umfang zu engagieren, und das ist vielleicht auch ein Faktor, der das Land würdig macht für einen ständigen Platz im Weltsicherheitsrat?

Erler: Ich würde es mal so ausdrücken: Die Bundesrepublik und die Bundesregierung haben bisher schon wichtige internationale Verantwortung vor allen Dingen auch im Sicherheitsbereich übernommen. Ich denke da an unser umfangreiches langfristiges Engagement auf dem Balkan, aber auch in Afghanistan. Gleichzeitig aber haben gerade wir von Deutschland aus immer gesagt, weltweit geht es nicht nur um militärische Sicherungsaufgaben, sondern auch um zivile Kapazitäten. Es war Deutschland, zusammen vor allen Dingen mit den skandinavischen Ländern, das dafür gesorgt hat, dass in Europa auch zivile Kapazitäten aufgebaut worden sind nach dem europäischen Rat in Helsinki 1999. Jetzt ist der richtige Moment, auch mal zu beweisen und zu zeigen, wie wichtig es ist, dass wir eben in einer Welt leben, in der häufig auch solche zivilen Kapazitäten notwendig sind, zum Beispiel in der Katastrophenhilfe, in der schnellen Möglichkeit, hier ganz konkret, wo möglich in einem völlig anderen Erdteil Hilfe zu leisten. Hier tatsächlich vorbereitete ausgebildete Leute zur Verfügung zu haben, ist dann ein Stück von Präventionsfähigkeit und Reaktionsfähigkeit auf solche Krisen.

Klein: Das heißt aber auch Sie gehen davon aus, dass unseres Land von dem Engagement auch selbst profitieren wird?

Erler: Ja, wir profitieren. Wir können aber auch zeigen, dass wir dort auf dem richtigen Weg sind. Das ist eigentlich die Chance, dass man hier gleichzeitig auch für ein Prinzip wirbt. Indem man sich so engagiert zeigt man aber auch, Europa hat sich auf solche Situationen vorbereitet und Europa setzt nicht nur auf militärische Interventionsfähigkeit, sondern auch auf zivile Krisenprävention und hat sich darauf vorbereitet, auch was Kapazitäten angeht, und Deutschland hat bei diesen Entscheidungen eine führende Rolle gespielt. Deswegen ist es klug, sich hier jetzt persönlich zu engagieren, auch mit der Chance, auf diesen Punkt hinzuweisen.

Klein: Es gibt eine gravierende Sorge der Hilfsorganisationen, Herr Erler, nämlich die Fluthilfsmittel, die jetzt bereitgestellt werden, werden im Wesentlichen bezahlt mit anderen Entwicklungshilfeposten, die dann einfach wegfallen. Können Sie das für Deutschland ausschließen?

Erler: Ich bin ganz sicher, dass diejenigen, die politische Verantwortung haben, sehr darauf achten werden, dass das nicht passiert, dass wir hier keinen Verdrängungswettbewerb von Hilfszusagen bekommen. Ich denke da an solche aktuellen Katastrophen, die ja keineswegs durch die Flutwelle geringer geworden sind, wie die Lage im Kongo oder in Darfur, wo immer noch 1,6 Millionen Menschen auf internationale Hilfe angewiesen sind. Ich glaube, dass wir alle, die wir Verantwortung tragen, dafür sorgen werden, dass jetzt nicht etwa hier ein Verschiebebahnhof entsteht und weil es nun aktuell ist, weil die Scheinwerfer eben jetzt sich natürlich - das ist ganz logisch - ein bisschen wegbewegen und hin auf diese Region um den indischen Ozean, dass deswegen hier andere darunter leiden müssen. Das darf nicht sein. Das wäre unverantwortlich. Dort ist die gleiche Forderung nach nachhaltiger Hilfe, das heißt dauerhafter Hilfe, die tatsächlich strukturell etwas bewirkt, wie um den indischen Ozean.

Klein: Wenn das Geld nicht daher kommt, wodurch soll es denn finanziert werden, aus welchen Haushaltsbereichen?

Erler: Darüber sind jetzt noch keine Entscheidungen in der Bundesregierung gefallen, aber ich möchte daran erinnern, dass wir immer noch ein sehr ehrgeiziges Ziel verfolgen, was sehr schwierig ist unter der aktuellen Haushaltslage, nämlich diese internationale Verpflichtung, bis zum Jahr 2006 wenigstens diese 0,33 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungsmaßnahmen aufzuwenden. Davon sind wir noch ein Stück weit weg, aber ich denke man wird die Bundesregierung auch daran messen, ob sie jetzt diese aktuellen Ereignisse auch zum Anlas nimmt, tatsächlich hier mehr Geld zur Verfügung zu stellen, um dieses internationale Ziel, was auch eine Selbstverpflichtung darstellt, zu erreichen. Es geht also nicht nur um Verschiebung, es geht nicht nur um Schuldenerlass, sondern es geht auch wirklich darum, hier die Haushalte zu verändern. Dieser Anlas ist eigentlich die beste Chance, um diese internationale Verpflichtung tatsächlich zu erfüllen.

Klein: Aber irgendwo muss das Geld herkommen und bei der Haushaltslage, die wir in Deutschland seit Jahren haben, scheint das kein leichtes Unterfangen zu sein?

Erler: Nein, das ist kein leichtes Unterfangen - das will ich auch in keiner Weise irgendwie harmonisieren wollen -, sondern es ist eine ganz schwierige Operation, weil das ja auch immer bedeutet, dass das Geld dann an anderen Stellen fehlen wird. Aber natürlich ist jetzt die Chance, einen Konsens darüber zu finden, auch einen gesellschaftlichen Konsens, dass es notwendig ist, hier Verschiebungen im Haushalt für die nächste Zeit vorzunehmen. Der ist vielleicht noch nie so groß gewesen wie gerade jetzt.

Klein: Verschiebungen für den Entwicklungshilfeetat meinen Sie?

Erler: Richtig!

Klein: Gernot Erler war das, SPD-Außenpolitiker, stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Bundestag. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Erler.

Erler: Ich danke Ihnen.