Netzeitung-Interview am 11. Februar 2005

Erler fordert von USA Klarheit

Netzeitung: Beim Politischen Aschermittwoch trat Schröder Kritik entgegen, Deutschland komme seinen internationalen Pflichten nicht nach. Er meinte, Deutschland sei bereit beim Wiederaufbau und beim Aufbau demokratischer Strukturen im Irak zu helfen. Welche Hilfe, neben der Ausbildung von irakischen Sicherheitskräften, kann Deutschland leisten?

Gernot Erler: Deutschland kann bei der Stabilisierung des Irak durchaus weitere Hilfe leisten. Wir haben im Zuge unserer präventiven Friedensfähigkeiten genügend Spezialisten für den Aufbau von Zivilverwaltung, aber auch von Rechtsstaatsinstitutionen wie Gerichten und Staatsanwaltschaften. Deutschland hat aber auch Fachleute, die im Irak bei der anstehenden Verfassungsarbeit einen substanziellen Beitrag leisten können.

Netzeitung: Was ist darüber hinaus an Hilfe möglich - die USA haben ja die Nato-Partner zu mehr Engagement aufgefordert?

Erler: Das deutsche Angebot richtet sich genau auf diese Punkte, die wesentlich sind. Die Regierung, die im Irak jetzt gebildet wird, hat die Hauptaufgabe bis zum Ende dieses Jahres eine neue Verfassung zu bilden. Das ist etwas, bei dem man die internationalen Erfahrungen nutzen muss, und hier kann Deutschland ganz wesentliche Unterstützung leisten. Ich denke der Aufbau von Rechtsstaatsinstitutionen, der Aufbau von Ministerien und die organisatorische Unterstützung dabei ist eigentlich exakt das, was in der irakischen Realität im Augenblick höchste Priorität hat. Das wäre von deutscher Seite aus eine substanzielle Unterstützung. Andere Forderungen an Deutschland sind mir nicht bekannt.

Netzeitung: Wer konkret würde für die Hilfe, die sie gerade beschrieben haben, eingesetzt werden?

Erler: Wir haben in jedem Ministerium in Deutschland Fachleute, die auch in der Lage sind, die Erfahrungen aus der eigenen Arbeit an andere Länder weiterzugeben. Wir haben zum Beispiel auch das ZIF, das Zentrum für internationale Friedenseinssätze, wo Leute für solche Einsätze bereitstehen. Außerdem haben wir im Rahmen des Aktionsplans für vorausschauende Friedenspolitik und Krisenprävention und Friedenskonsolidierung Pools von Fachleuten gebildet, in denen Verwaltungs- und Rechtsstaatsfachleute zur Verfügung stehen. Es gibt gleich mehrere Quellen, die man in Deutschland für eine Unterstützung anzapfen kann.

Netzeitung: ... die dann auch im Irak tätig wären.

Erler: Das ist zu entscheiden, in welcher Weise diese Arbeit geleistet wird. Aber selbstverständlich kommt da auch eine Arbeit vor Ort in Frage, wenn die Sicherheitslage es zulässt.

Netzeitung: Könnte Deutschland auch zur Stabilisierung der Sicherheitslage im Irak beitragen?

Erler: Einen Einsatz von deutschen Soldaten im Irak wird es nicht geben. Das ist mehrfach gesagt worden, und das wird auch von unseren Partnern, weder von den irakischen noch den amerikanischen, nicht in Frage gestellt. Dieser deutsche Grundsatz ist voll akzeptiert.

Netzeitung: Condoleezza Rice spricht von einem neuen transatlantischen Kapitel, das aufgeschlagen werden müsse. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht für die Beziehungen zwischen den USA und den europäischen Staaten - was wird sich, was muss sich ändern?

Erler: Ich glaube, wir haben es hier mit einem etappenweisen Prozess zu tun. Die Mission von Frau Rice in Europa war in charmanter Form den Europäern klar zu machen, dass die amerikanische Regierung eine Verbesserung des Verhältnisses mit den Europäern anstrebt und dabei auch den alten Konflikt in der Irak-Frage hinter sich lassen will. Substanziell ist aber dieses Ansinnen noch nicht gefüllt. Hierzu gibt es aber in der nächsten Zeit gleich mehrere Gelegenheiten: die Münchner Sicherheitskonferenz beispielsweise, die traditionell für solche Zwecke genutzt wird. Das ist eine gute Gelegenheit. Das wird dann fortgesetzt, durch die Treffen des amerikanischen Präsidenten mit den europäischen Politikern und eben auch durch seinen Staatsbesuch am 22. und 23. Februar in Mainz. Ich erwarte, dass dann substanziell klar wird, was eigentlich inhaltlich gemeint ist mit der gewünschten stärkeren Kooperation zwischen Amerika und Europa.

Netzeitung: Deutschland und Frankreich spielten als Gegner des Irakkriegs eine herausragende Rolle. Sehen Sie die beiden Länder weiterhin als eine Art kritischer Begleiter amerikanischer Außenpolitik?

Erler: Es gibt ja eine allgemeine Entschlossenheit, diese Vergangenheit hinter sich zu lassen. Es kommen jetzt einfach neue Fragen auf, deren Klärung aber auch ganz wichtig ist. Zum Beispiel ist den Europäern noch nicht klar geworden, warum die Vereinigten Staaten zwar eine skeptisch abwartende Haltung gegenüber diesen Dreier-Gesprächen mit Teheran haben, aber nicht bereit sind, diese diplomatische Initiative mit einer direkten Unterstützung zum Erfolg zu führen. Das ist sicherlich ein wichtiger Punkt, der in den nächsten Wochen geklärt werden muss. Dazu gehört auch die Frage, wie weit wird eigentlich das amerikanische Engagement bei dem absolut vorrangigen Nahostkonflikt gehen? Das ist deshalb wichtig, weil wir nach den Gesprächen in Scharm el Scheich eine neue historische Chance, wahrscheinlich die größte nach dem Beginn der Intifada im Jahr 2000, haben. Aber auch hier ist unklar, ob Amerika eher abwarten wird, ob die Verhandlungspartner selber zu einer Lösung kommen oder, ob man, wie Clinton das einst gemacht hat, ein hohes Risiko eingehen will, auch was den Erfolg dieser Gespräche angeht. Dann ist letztlich auch die Frage wichtig, was die Aussage von Frau Rice für die amerikanische Außenpolitik bedeutet, die von «Vorposten der Tyrannei» gesprochen hat.

Netzeitung: Inwiefern?

Erler: Es ist ja interessant, dass diese Aussage in problematischer Weise von Nordkorea aufgegriffen worden ist. Was Rice gesagt hat, hält dort sogar als Beweis dafür her, dass es sinnlos ist Verhandlungen fortzusetzen, weil man über Atomwaffen verfügt.

Netzeitung: Nordkorea verstärkt nach Ansicht von US-Außenministerin Rice seine internationale Isolation, wenn es sich wie angekündigt aus den Gesprächen über sein Nuklearprogramm zurückzieht. Wie sehen Sie das?

Erler: Das war sicherlich eine sehr vorläufige Reaktion, aber sie ist trotzdem interessant. Ich weiß ja nicht, ob man eine Isolierung noch steigern kann, die darin besteht, dass man ein Land mit fünf anderen auf eine Liste setzt und sie als «Vorposten der Tyrannei» bezeichnet. Das ist eine klare Zuordnung zu einem Lager der bösen Staaten, bei denen man einen Regime-Wechsel anstrebt. Hier ergibt sich erneut die Problematik des Nebeneinanders von Verhandlungen auf der einen Seite und der sehr starken Infragestellung eines Regimes auf der anderen. Das hat im Fall des Irak schon einmal zu einem Krieg geführt. Und es erweist sich jetzt, dass es schwierig ist, im Fall von Nordkorea die Sechser-Verhandlungen fortzusetzen, während gleichzeitig das Land isoliert und der Wunsch damit verbunden wird, einen Regime-Wechsel herbeizuführen. Beides verträgt sich offenkundig schlecht miteinander. Das ändert nichts daran, dass international alles versucht werden muss, um Nordkorea von diesem Weg zu mehr und einsatzfähigen Atomwaffen abzubringen. Wir müssen aber auch mit den Amerikanern darüber reden, welche die richtigen Strategien dafür sind.

Netzeitung: Nordkorea hat seine Teilnahme an weiteren Atomgesprächen auf «unbestimmte Zeit» ausgesetzt. Würde eine diplomatische Initiative Europas helfen?

Erler: Ich befürchte nein. An den Gesprächen sind Länder beteiligt, die stark genug sind, um Einfluss auf Nordkorea zu nehmen. Es sind neben den USA noch China, Russland, Südkorea und Japan. Die brauchen für ihre Nordkorea-Politik sicherlich den diplomatischen Beistand Europas, aber keine unmittelbare Hilfe.

Netzeitung: Was meinen Sie mit diplomatischem Beistand?

Erler: Selbstverständlich unterstützen wir das Ansinnen dieser Länder. Japan hat sich dazu schon geäußert, dass die Verhandlungen unbedingt fortgeführt werden müssen. Aber wir haben ja kaum eigene europäische Mittel, um Nordkorea zum Einlenken zu bewegen und die seit Juni letzten Jahres unterbrochenen Gespräche fortzusetzen.

Netzeitung: Machen Gespräche ohne Nordkorea Sinn?

Erler: Die Sechsergespräche machen nur Sinn, wenn Nordkorea dabei ist. Es muss jetzt darum gehen zu klären, wie man das Land, das ja in einem sozial katastrophalen Zustand ist, aus dieser Isolierung herausholen und wieder an den Verhandlungstisch bringen kann. Da sind wir wieder bei den Strategien. Den Europäern ist das beim Iran gelungen, weil man etwas anzubieten hatte und nicht nur den Partner auf die Anklagebank gesetzt hat. Wir kennen ja die Forderungen und Wünsche der Nordkoreaner. Insofern gibt es Spielraum für ein strategisches Verhandlungskonzept. Ich sehe aber die Problematik, dass man auf der einen Seite Drohungen ausspricht bis hin zu Militärschlägen und eine Inkriminierung im Sinne der Bezeichnung «Vorposten der Tyrannei» vornimmt und andererseits Gesprächsbereitschaft erwartet. Es erweist sich als schwierig, diese beiden Strategien nebeneinander voll gleichberechtigt aufrechtzuerhalten.

Netzeitung: Müssen die USA auf Nordkorea zugehen?

Erler: Ich habe hier, und ich glaube auch die Europäer insgesamt, keine Ratschläge an diese fünf Länder, die sich an den Gesprächen beteiligen, zu geben. Die Länder haben eine viel größere Erfahrung mit Nordkorea. Aber da das auch den Fall Iran betrifft, betone ich die Problematik dieser Parallelstrategie, die einerseits auf Ausgrenzung zielt, andererseits aber Verhandlungsbereitschaft einfordert.

Mit Gernot Erler sprach Dietmar Neuerer