Gernot Erler im SWR2-Tagesgespräch zur Vertrauensfrage

Vertrauensfrage

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Gernot Erler hat Verständnis für die Fraktionskollegen, die sich bei der morgigen Vertrauensabstimmung im Deutschen Bundestag nicht wie empfohlen enthalten wollen. Es sei sinnvoll keinen politischen Druck auszuüben, damit die geplante Auflösung des Bundestages bei einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht zusätzlich gefährdet wird, sagte Erler im Südwestrundfunk (SWR).Die Abstimmung sei das Ende eines quälenden sechswöchigen Prozesses. Bei vielen Abgeordneten gäbe es Enttäuschung, Frustration, auch Wut. Aber um diesem Land diese Phase der politischenBlockade zu ersparen müsse man auch persönliche Opfer bringen. Erler geht davon aus, dass sich die Mehrzahl der SPD-Abgeordneten nicht nach Strömungen geordnet enthalten wird.

Claus Heinrich: Der Bundeskanzler will sich bei der morgigen Vertrauensabstimmung der Stimme enthalten, seine Minister sollen das auch tun. Und auch die Mitglieder Ihrer Faktion, so die Einladung des Vorsitzenden Franz Müntefering. Werden Sie diese Einladung annehmen?

Gernot Erler: Ja, ich werde das machen, weil ich keine andere Möglichkeit sehe. Ich spüre den Widerspruch, der in dieser Situation drinnen steckt, dass man der eigenen Regierung das Vertrauen nicht ausspricht und sich enthält, aber es gibt keinen anderen Weg, um zu dem Ergebnis was alle wollen, was auch in der Bevölkerung mehrheitlich befürwortet wird, nämlich vorgezogene Neuwahlen.

Claus Heinrich: Alle in Ihrer Fraktion wollen diesem Schritt ja nicht folgen. Können Sie die Kollegen Bindig, Schösser und die Anderen mit ihren Skrupeln verstehen?

Gernot Erler: Ja, das kann ich durchaus und es ist auch sinnvoll, dass hier keinerlei Druck ausgeübt wird, eben man kann in diesem Widerspruch genauso sagen, ich mach das nicht mit und ich spreche eben dem eigenen Kanzler das Vertrauen aus, auch wenn man weiß, dass er es in diesem Fall gar nicht will. Wichtig ist, glaube ich auch, für alles das was hinterher an Prüfung kommt, das ein völlig offener Prozess ist, dass jeder das selber entscheidet und das nicht etwa irgendwelche Beschlüsse vollzogen werden.

Claus Heinrich: Die SPD-Abgeordnete Jelena Hoffmann geht noch einen Schritt weiter, nennt diese unechte Vertrauensfrage schizophren und will vor dem Bundesverfassungsgericht klagen, sich der Klage des grünen Abgeordneten Schulz anschließen. Wie gefährdet ist das Projekt Neuwahlen?

Gernot Erler: Ich glaube, niemand kann sich sicher sein, wir haben in Deutschland eine Verfassungswirklichkeit hier und auch eine politische Realität, die in den letzten Jahrzehnten gewachsen ist, dass wir auf der einen Seite solche Blockadesituationen haben, denn das ist ja eigentlich der Hintergrund, dass per Gesetz nichts mehr läuft, weil eben durch diese große Mehrheit der Opposition im Bundesrat und der Entschlossenheit, da nichts mehr laufen zu lassen, eigentlich jetzt ein 15-monatiger Stillstand hier drohte. Das kann ja nicht der Sinn eigentlich von Politik sein, aber es gibt keine wirklich verlässliche Art und Weise, die uns die Verfassung lässt, um dann vorzeitig zu Neuwahlen zu gehen und das ist eigentlich der quälende Hintergrund von diesem ganzen Prozeß.

Claus Heinrich: Ist dieses uneinheitliche Abstimmungsverhalten letztlich eine dialektische List, die die politische Handlungsunfähigkeit des Kanzlers auf unfreiwillige Art doch noch bestätigt?

Gernot Erler: Also, von List würde bei uns keiner sprechen. Wir haben eigentlich eher einen 6-wöchigen quälenden Prozess hinter uns seit dem 22. Mai, es war der Abend der NRW-Wahl, wo dieser Beschluss gefasst wurde. Und wegen dieser Unsicherheit war das außerordentlich quälend und ich glaube, wenn es morgen dann so weit ist, dann werden viele von uns auch erleichtert sein, dass diese Phase vorbei ist und keiner wird darauf kommen, dass das nun der Vollzug einer besonders raffinierten Politik gewesen ist.

Claus Heinrich: Noch mal zum uneinheitlichen Abstimmungsverhalten, müssen Sie nicht auch hier einen nicht unerheblichen politischen Schaden befürchten?

Gernot Erler: Ja, ganz klar, also diese vergangenen Wochen, mit dieser Unsicherheit, die haben allen geschadet. Man muss auch sehen, dass wir auch alle Pläne über den Haufen werfen mussten, persönliche Pläne, das darf man nicht vergessen als Hintergrund. Auch für die teilweise Enttäuschung, Frustration, ja Wut von einigen Abgeordneten, das ist völlig nachvollziehbar. Ich habe da persönlich auch sehr viel Verständnis dafür, aber letzten Endes geht es ja auch darum, eben dem ganzen Land diese Phase von politischer Blockade zu ersparen und dafür muss man auch persönliche Opfer bringen. Aber nochmals, es wird ja auf jeden Fall hinter her der Bundespräsident zu prüfen haben, es wird das Bundesverfassungsgericht mit Sicherheit angerufen werden und in sofern ist die Phase der Unsicherheit mit der morgigen Abstimmung nicht beendet, aber es ist dann jedenfalls nicht mehr in den Händen des Bundestages, das was die Abgeordneten da tun können, das haben wir dann getan und dann wird es einen Übergang geben, vielleicht und das hoffe ich wieder zur Auseinandersetzung um inhaltliche Themen.

Claus Heinrich: Die Grünen sagen, anders als die Sozialdemokraten werden wir größtenteils für den Kanzler stimmen und damit dokumentieren, dass Rot/Grün nicht am kleinen Koalitionspartner scheitert. Muss die SPD-Linke, zu der Sie ja gehören, dann die ganze Last des politischen Scheiterns auf sich nehmen, möglicher Weise sogar in der offiziellen Begründung des Bundeskanzlers für die Vertrauensfrage?

Gernot Erler: Ich gehe nicht davon aus, dass irgend jemand diese sehr schwierige Entscheidung, die wir da zu treffen haben, in unfairer Weise interpretiert. Ich gehe davon aus, dass es eine größere Zahl von Kolleginnen und Kollegen gibt in meiner Fraktion, und zwar nicht nach Strömungen geordnet, die da sich der Stimme enthält, weil wir ja wissen, das ist der einzige Weg um das gemeinsame Ziel zu erreichen, nämlich Neuwahlen.