Interview mit Gernot Erler im WDR 5, 12. Juli 2005: Deutscher Sitz im Sicherheitsrat

Deutscher Sitz im Sicherheitsrat

Moderatorin (Cordula Denninghoff): Es sieht offenbar nicht besonders rosig aus für Deutschland. Gernot Erler, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion und zuständig für Außen- und Sicherheitspolitik, haben Sie noch Hoffnung?

Erler: Ja - guten Morgen, Frau Denninghoff -, durchaus. Denn es war ja klar, dass am Anfang hier die Gegensätze aufeinander prallen, vor allen Dingen von denen, die sozusagen ganz persönliche Rivalitäten hier pflegen. Das ist bei Italien der Fall, das Deutschland den Sitz nicht gönnt, das ist bei Pakistan der Fall, das auf jeden Fall verhindern will, dass Indien in den Sicherheitsrat kommt und das ist der Fall bei Mexiko, das Brasilien verhindern will. Das ist also völlig klar, aber in Wirklichkeit gibt es im Hintergrund doch deutliche Anzeichen dafür, dass eine große Zahl der Staaten diesem Vorschlag der G4 folgen wird und dass der Gegenvorschlag, der Vorschlag des so genannten Coffee-Clubs, hier auf keinen Fall eine Chance hat.

Moderatorin: Es sitzen doch schon zwei europäische Staaten im Sicherheitsrat, nämlich Frankreich und Großbritannien. Muss es da noch einen dritten Staat geben?

Erler: Es geht gar nicht darum, dass es da noch einen dritten europäischen Sitz gibt. Es geht darum, dass dieser Sicherheitsrat seit 1965 nicht mehr verändert worden ist in den letzten 40 Jahren, wo allerdings viele neue Länder dazu gekommen sind. Und wir haben einfach eine völlig ungleiche Verteilung der Kontinente, was Asien angeht, was Afrika angeht. Insofern glauben wir auch, dass die afrikanischen Länder einen Riesensprung machen würden. Sie sollen ja zwei Sitze im Sicherheitsrat bekommen und letztlich doch auch für diesen G4-Vorschlag stimmen werden.

Moderatorin: Aber wenn Deutschland einen ständigen Sitz bekäme, dann bedeutete das auch mehr Verantwortung. Ist Deutschland bereit, sich militärisch stärker zu engagieren, was notwendig werden könnte, wenn UN-Entscheidungen vorliegen?

Erler: Zunächst einmal wäre tatsächlich dieser Sitz für Deutschland eher eine Anerkennung für die bisherige deutsche Politik. Es ist ja schon mal ein sehr erstaunliches Faktum, dass Deutschland überhaupt diese Chance jetzt bekommt. Dahinter steckt ja nicht persönliches Prestigedenken, sondern die Anerkennung für die Haltung Deutschlands in der Irakfrage bis hin zur Konfliktbereitschaft mit der wichtigsten Weltmacht Amerika, gleichzeitig aber die Übernahme von wichtiger Verantwortung in Afghanistan, auf dem Balkan und der hohe Beitrag Deutschlands für entwicklungspolitische Maßnahmen und auch der hohe Beitrag für die UN selbst. Das heißt, dahinter steckt nicht die Forderung, dass Deutschland mehr macht, sondern eher die Anerkennung für die deutsche internationale Politik. Und dieses Ansehen, da brauchen Sie bloß mal nach New York zu fahren und die Leute zu fragen, ist im Augenblick sehr, sehr hoch.

Moderatorin: Ja, aber sind Sie sicher, dass diese zunehmende Verantwortung nicht auch in Zukunft mehr Geld kosten wird? Wir sind mit unseren Einsätzen in Afghanistan schon an die Grenze gestoßen. Also wäre Deutschland denn überhaupt in der Lage mehr zu zahlen, wenn es denn nötig wäre?

Erler: Wie gesagt, man wird nicht Mitglied des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, weil damit die anderen ausdrücken wollen, ihr müsst mehr tun, sondern man wird es höchstens als Anerkennung dafür, dass man bisher eine anerkannte und beeindruckende Leistung gebracht hat.

Moderatorin: Auf das Veto haben die vier Anwärter auf diesen ständigen Sitz im Sicherheitsrat schon im Vorfeld weitgehend verzichtet. Sie haben gesagt, das ist nicht unbedingt notwendig. Bringt der Sitz denn überhaupt etwas, wenn Entscheidungen über Krieg und Frieden weiterhin ohne Deutschland fallen, wenn kein Veto dagegen eingelegt werden kann?

Erler. Dazu muss man erst mal sagen, dass das nicht grundsätzlich vom Tisch ist. In dem Entschließungsentwurf steht drin, dass diese neuen Mitglieder des Ständigen Sicherheitsrates auf 15 Jahre auf das Veto verzichten und dass dann eine Revision stattfinden soll der gesamten Struktur des Sicherheitsrats und dann endgültig erst entschieden werden soll. Aber das Vetorecht ist auch in den letzten Jahren immer seltener angewandt worden von den fünf Vetomächten. Insofern ist das ein vertretbarer Kompromiss, ohne den dieser Vorschlag gar keine Chance hätte, denn die fünf Vetomächte haben klipp und klar erklärt, sie sind nicht einverstanden damit, dass es weitere Länder gibt, dieses Veto haben sollen.

Moderatorin: Mal angenommen, die Debatte über die Reform ergibt, Deutschland bleibt draußen. Ist dann die Frage für Jahrzehnte erledigt?

Erler: Ich glaube, das ist dann für lange Zeit erledigt, denn ich sehe keine andere Reformmaßnahme, die dann eine Chance hat. Also man muss schon sagen bei dieser Debatte der Vollversammlung, entweder dieser G4-Vorschlag, also der von Deutschland, Indien, Japan und Brasilien bekommt die notwendigen 128 Ja-Stimmen, das wären also zwei Drittel der 191 Mitglieder der Vereinten Nationen, oder kein anderer
Vorschlag. Das heißt, entweder scheitert jetzt die Reform des Sicherheitsrats für längere Zeit und das wäre sehr schade, wäre auch für die weitere Arbeit der Vereinten Nationen geradezu eine Tragödie, oder es klappt jetzt. In dieser Woche wird dann noch, spätestens am 20. Juli, eine Entscheidung fallen und dann wird ja erst in einem zweiten Durchgang bestimmt, wer diese Neuen im Sicherheitsrat sein sollen - sechs ständige, vier rotierende -, und dann hat Deutschland eine gute Chance, da auch zum Zuge zu kommen.

Moderatorin: Gernot Erler, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, hofft, dass die Vereinten Nationen Deutschland einen Ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat spendieren.