Interview mit Gernot Erler im SWR 2 Tagesgespräch, 12. Juli 2005: Reform des UN-Sicherheitsrates

Reform des UN-Sicherheitsrates

Sabine Hackländer im Gespräch mit Gernot Erler (MDB, SPD), stellvertretender Fraktionsvorsitzender 

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Gernot Erler ist davon überzeugt, dass der deutsche Vorschlag für eine Reform des UN-Sicherheitsrats erfolgreich sein wird. Nach langer Zeit der Vorbereitungen und vielen Einzelgesprächen seien die Chancen für die notwendige Zweidrittelmehrheit in der UN-Vollversammlung gut, so Erler im Südwestrundfunk. Allein schon die reelle Chance auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat spiegele den Erfolg deutscher Außen- und Sicherheitspolitik wider. Wenn Italien dies mit einem Gegenentwurf zu verhindern suche, belege dies nur die Missgunst des italienischen Ministerpräsidenten, sagte Erler.


Hackländer: Die UNO will den veralteten Sicherheitsrat reformieren. Dazu tagt seit gestern die Vollversammlung in New York. Deutschland, Brasilien, Japan und Indien hoffen endlich, einen ständigen Sitz in dem Gremium zu ergattern, aber der Widerstand ist offenbar stärker als gedacht. Italien und einige weitere Staaten wollen nur weitere befristete Mitgliedschaften erlauben. Droht die Reform damit zu platzen?

Erler: Es gibt sehr gute Chancen für diese Reform. Das ist ja nicht so, dass da gestern erst angefangen wurde, sondern da ist ja lange Zeit alles vorbereitet worden. In vielen Einzelgesprächen und nach der Rechnung der so genannten G4, die sie eben aufgezählt haben, gibt es eine gute Chance, die notwendige Mehrheit zu erreichen, das ist Zweidrittelmehrheit von 191 Mitgliedern. Das sind 128 Länder, die würden dann bis spätestens zum 20. Juli eine Entscheidung in der Vollversammlung fällen müssen, dass diese Strukturreform durchgeführt wird, und dann würden in einem zweiten Durchgang tatsächlich die einzelnen Länder gewählt. Also, erst mal geht es nur darum, ob diese Aufstockung um sechs ständige Mitglieder und vier rotierende Mitglieder stattfinden soll oder nicht.

Hackländer: Trotzdem kommt dieser Gegenvorschlag der so genannten Konsensgruppe ein bisschen überraschend. Kalt und selbstsüchtig strebten die G4 nach Privilegien und stellten sich dabei gar noch als Fürsprecher der Schwachen und Benachteiligten dar. Warum ist das Misstrauen so groß?

Erler: Also, da muss man mal sagen, dieser so genannte Coffee-Club, wie der sich nennt, der besteht vor allem aus Ländern, die eine ganz konkrete Konkurrenz im Auge haben. Italien zum Beispiel gönnt Deutschland nicht den Sitz, Pakistan will unbedingt Indien vermeiden und Mexiko hat etwas gegen Brasilien. Und das sind die drei Hauptbefürworter von diesem Coffee-Club, die diesen Gegenentwurf gemacht haben. Der hat überhaupt keine Chance angenommen zu werden, sondern das ist ein Verhinderungsentwurf. Jetzt in der letzten Sitzung haben natürlich diese Länder sich zu Wort gemeldet und haben ihre Kritik vorgetragen, aber wir wissen ganz genau, dass sie keine Chance haben, mit ihrem Gegenentwurf durchzukommen.

Hackländer: US-Präsident Bush hat sich ja beim letzten Besuch Schröders in Washington vor einigen Wochen nicht gegen aber auch nicht für Deutschland ausgesprochen. Schröder hat das damals als Erfolg gewertet. Muss man diese Zurückhaltung doch anders interpretieren. Gibt es da noch einen weiteren Gegenspieler?

Erler: Nein, es ist ja so, dass am Anfang gedacht wurde, dass sich Amerika aktiv gegen diesen G4-Vorschlag mit Deutschland wenden würde. Natürlich auch wegen der Auseinandersetzung im Irak-Krieg im Hintergrund. Und das war schon ein großer Erfolg, dass für die gesamt Weltöffentlichkeit hörbar der amerikanische Präsident gesagt hat, er werde nichts gegen diese Resolution, gegen diesen Vorschlag, machen. Das ist wichtig, da es ja viele Länder gibt, von diesen 191 überwiegend aus der Dritten Welt kommenden Ländern, die von Amerika abhängig sind, die hören da natürlich genau zu, und wenn Amerika gesagt hätte, wir sind völlig dagegen, hätten viele nicht gewagt, da zuzustimmen. Insofern war das ein ganz wichtiger Schritt für die Chancen jetzt von diesen vier Ländern.

Hackländer: Wie verhandlungsoffen ist denn die deutsche Position? Ein ständiger Sitz ohne Vetorecht war ja ohnehin schon im Gespräch für die G4-Gruppe. Warum dann nicht auch einer befristeten Erweiterung zustimmen?

Erler: Irgendwann muss man sich mal festlegen. Jetzt gibt es also diesen Resolutionsentwurf, der vorliegt. Der ist auf dieser Ebene sehr geschickt. Der sagt eben, die neuen Mitglieder des ständigen Sicherheitsrates würden für 15 Jahre Verzicht üben auf das Vetorecht und dann sehen sie nach 15 Jahren eine Überprüfung der Arbeit des Sicherheitsrates vor und frühestens dann könnte man auch etwas an diesem Vetorecht ändern. Das nimmt natürlich die Bedenken weg von den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates, die auf keinen Fall jetzt zugestimmt hätten, dass das Vetorecht auch auf andere Länder übergeht. Und die müssen eben vor allen Dingen bei dem Ratifizierungsprozess, der steht ja dann auch noch an, auch zustimmen. Da müssen ausdrücklich diese fünf Vetoländer zustimmen und jetzt hat man ein Hindernis ausgeräumt, dass dann womöglich diese Veränderung der Struktur des Sicherheitsrates in dem Ratifizierungsprozess noch scheitern könnte.

Hackländer: Sie gehen also weiter davon aus, dass der G4-Vorschlag letztendlich durchkommt. Hätte die Annahme des Coffee-Club-Vorschlags einen Imageverlust für Deutschland zur Folge?

Erler: Also wie gesagt, es ist völlig undenkbar, dass der Vorschlag die 128-Länder-Unterstützung kriegt, also eine Zweidrittelmehrheit. Er markiert eben die Gegenposition und versucht eine Annahme dieses Vorschlages von Deutschland, Japan, Brasilien und Indien zu vermeiden, aber hat selber keine Chancen. Und jeder versteht das auch, weil man jedes Land zuordnen kann zu einem konkreten Konkurrenten. Bei Italien war das sehr deutlich, dass da gekämpft wurde gegen Deutschland. Herr Berlusconi gönnt einfach Deutschland nicht diesen Erfolg. Dieser Erfolgt spiegelt ja auch wider, welches hohe Ansehen Deutschland im Augenblick hat. Dass überhaupt Deutschland in dieser Gruppe ist, die eine Chance hat, heißt ja auch, dass das deutsche Ansehen für die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik, und das, was wir international machen, doch sehr hoch ist, sonst kämen wir gar nicht in die Chance hinein.