Presseerklärung vom 8. August 2005

Der Iran am Scheideweg

Zum Konflikt über die iranische Atompolitik erklärt der Stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Gernot Erler

Wenn die iranische Führung, wie angekündigt, die Urankonversionsanlage in Isfahan wieder in Betrieb nimmt, droht ein Abbruch der Gespräche zwischen Teheran und dem EU-Verhandlungstrio Frankreich, Großbritannien und Deutschland. Wir stehen dann vor einer ernsthaften internationalen Krise.

Die Verantwortung für diese gefährliche Konfrontation trägt allein der Iran. Die Europäer haben ein faires, weitgehendes und flexibles Angebot gemacht. Es umfasst Sicherheitszusagen, eine nachhaltige Zusammenarbeit bei der friedlichen Nutzung der Atomenergie und eine auf Dauer angelegte Kooperation in Wirtschaft und Technologie. Noch nie hatte der Iran eine solche Chance, aus seiner bisherigen Rolle eines \"Schurkenstaates\" und aus seiner politischen Isolation herauszukommen und zugleich Unterstützung bei seinem Bestreben nach wirtschaftlicher Stabilität und Prosperität zugunsten der eigenen Bevölkerung zu erhalten.

Man muss die Alternativen im Einzelnen benennen, um zu ermessen, was der Iran jetzt verlieren kann. Auf der einen Seite steht das EU-Paket: Sicherheitszusagen besonders für ein regionales Stabilitätsregime bis hin zur Unterstützung einer Nahostzone ohne Massenvernichtungswaffen, nicht nur Anerkennung des Rechts auf zivile Atomnutzung, sondern volle Unterstützung eines Programms für Leichtwasser- und Forschungsreaktoren einschließlich der bisherigen russisch-iranischen Nuklear- Kooperation, EU-Garantien für die Lieferung von Brennstoffen und moderner Technologie für dieses Programm, Abnahmezusagen für iranische Öl- und Gaslieferungen, Aufbau eines gemeinsamen \"Energie-Management und Technologie-Centers\", Hilfe beim WTO-Beitritt sowie Abschluss eines Handels- und Kooperationsabkommens zwischen EU und Iran.

Auf der anderen Seite, als Kostenrechnung für ein Ausschlagen des ausdrücklich als verhandelbar bezeichneten Rahmenvorschlags, steht an erster Stelle die Annullierung all dieser Einbindungs-, Kooperations- und Unterstützungsangebote. Teheran hat in der Vergangenheit gegen Verifikationsauflagen des Atomwaffensperrvertrages verstoßen und kann heute die Dringlichkeit eines kompletten Brennstoffkreislaufs einschließlich der Uran-Anreicherung und Wiederaufarbeitung in keiner Weise mit zivilen Zielen begründen. Das schafft Misstrauen, und dieses Misstrauen wird zu internationaler Isolierung, möglicherweise auch zu schmerzhaften Sanktionen des UN-Sicherheitsrates führen. Das wird alle iranischen Programme, auch das Nuklearprogramm in Mitleidenschaft ziehen. Russland, Irans langjähriger Partner bei der zivilen Nutzung der Atomenergie, wird unter Druck geraten, diese Kooperation einzuschränken. Wie der neue Präsident Ahmadinedschad unter solchen Umständen seine Versprechen zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation im Lande einhalten will, bleibt sein Geheimnis.

Noch ist die Tür nicht endgültig zugeschlagen. Die Europäer werden sie bis zur letzten vertretbaren Möglichkeit offen lassen. Die Bilder des Wochenendes haben symbolische Bedeutung: Ein trotziger Schulterschluss mit dem ebenfalls isolierten Syrien - soll das die Zukunft des Iran sein? Diese Alternative zu einem Status als eingebundenes und geachtetes Mitglied der Weltgemeinschaft und als wichtiger Energie-, Wirtschafts- und Technologie-Partner der EU kann niemanden überzeugen.