"Die SPD steht voll hinter dem Bundeskanzler", Interview mit dem Deutschlandfunk, 28, September 2005

Erler: Die SPD steht voll hinter dem Bundeskanzler

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Erler sieht erhebliche Differenzen in zentralen Politikfeldern mit der Union. In den Bereichen Steuern, Gesundheit und Energie seien noch große Brücken zu schlagen, sagte Erler. Personelle Entscheidungen könnten aber erst getroffen werden, wenn man in Koalitionsgesprächen eine inhaltliche Einigung erzielt habe. Erler wies Presseberichte zurück, die SPD sei vom Anspruch der Kanzlerschaft abgerückt. Die Partei stehe weiter voll hinter Gerhard Schröder.

Bettina Klein: Am Telefon begrüße ich den stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Gernot Erler. Schönen guten Morgen.

Gernot Erler: Guten Morgen, Frau Klein.

Klein: "Rückzug Schröders im Gespräch" - das ist die Titelzeile heute der Süddeutschen Zeitung. Herr Erler, dementieren Sie sofort?

Erler: Ja, das ist völliger Quatsch. Das bringt vielleicht Auflage aber nicht mehr Klarheit.

Klein: "Intern" - so zitiere ich jetzt mal - "rücken Gerhard Schröder und die SDP-Spitze vom Anspruch auf die Kanzlerschaft ab und kalkulieren auf eine Juniorpartnerschaft der Sozialdemokraten mit Franz Müntefering als Vizekanzler. Die Union soll dafür aber auf Angela Merkel als Kanzlerin verzichten", Zitat Ende. Das ist frei erfunden von der SZ?

Erler: Ich war bei allen Gremiensitzungen Anfang dieser Woche dabei, und davon ist überhaupt keine Rede gewesen. Die SPD steht nach wie vor voll hinter dem Bundeskanzler. Aber das Positive ist doch was ganz anderes, wir werden heute erste inhaltliche Sondierungsgespräche haben. Es geht also zehn Tage nach der Wahl weiter in Richtung einer Koalition, die handlungsfähig sein soll. Und das kann sie nur sein - wenn sie ein Erfolg werden will - wenn sie es auch schafft, die großen Unterschiede in vielen wichtigen Bereichen von inhaltlichen Themen zu überwinden und dort eine gemeinsame Basis zu finden. Das erwarten die Menschen doch auch.

Klein: Herr Erler, Sie setzen also darauf, dass Angela Merkel zurückzieht. Das ist die Bedingung weiterhin für Sie, wenn eine große Koalition zustande kommen soll.

Erler: Nein, wir setzen jetzt, nachdem in der letzten Woche hier einige Klarheit geschaffen werden musste über die Ausgangsposition beider Seiten, darauf, dass eine vernünftige Reihenfolge gemacht wird, nämlich dass zunächst einmal eine inhaltliche Basis geschaffen wird und dann - was ja auch eigentlich logischer ist - dann die Frage geklärt werden muss, ...

Klein: Herr Erler? Wir haben offenbar ein Problem mit der Leitung und probieren es gleich noch mal. ... Wir waren dabei, dass Sie gesagt haben, erst kommen die inhaltlichen Fragen, dann kommen die personellen Entscheidungen. Da spricht ja vielleicht auch einiges für. Aber was ist dann? Wir haben ja die gleiche Ausgangsposition - Gerhard Schröder gegen Angela Merkel - bei der Beanspruchung des Kanzleramtes.

Erler: Ja, dabei bleibt es vorerst offensichtlich. Auf beiden Seiten ist hier eine klare Entschlossenheit zu erkennen. Aber ich finde es gut, dass jetzt die Ultimaten, die da von der CDU gestellt worden sind Anfang der Woche, erst mal vom Tisch sind. Diese drei Bedingungen, die dann der Ersatz für das Ultimatum waren unter dem Stichwort Vertrauen, Ausgangsanalyse, Zukunftsperspektive - alles etwas wolkig formuliert - sind offenbar jetzt auch nicht mehr ein Hinderungsgrund, sich heute zu treffen.

Klein: Ist für Sie denn vorstellbar, wie ein Ausgleich aussehen könnte zwischen beiden Parteien?

Erler: Der Ausgleich wird sich daran entscheiden, wie die Gespräche verlaufen. Ich sage ja, das sind noch keine Verhandlungen, das sind Sondierungsgespräche. Wir haben zum Beispiel in der Steuerpolitik, ganz besonders in der Gesundheitspolitik, aber auch in der Energiepolitik erhebliche Brücken zu schlagen, wenn das überhaupt funktionieren soll. Und darüber muss man ja mal reden, damit die Leute auch erkennen, was kann denn eigentlich rauskommen aus so einer großen Koalition. Dann wird es auch am Ende einfacher sein, über die Personalfragen zu entscheiden.

Klein: Ja, es wird einfacher werden. Aber was haben denn die inhaltlichen Fragen jetzt damit zu tun, wer die Kanzlerschaft für sich beansprucht?

Erler: Naja, an den inhaltlichen Fragen entscheidet sich doch erst mal die Gesamtchance von der großen Koalition, und am Ende müssen doch auch die Personen irgendwie passen zu dem, was an Inhaltlichem ausgemacht worden ist. Da geht es doch nicht nur um die Kanzlerschaft, da geht es ja auch noch um viele andere Fragen. Wir haben noch andere personelle Entscheidungen zu treffen. Und das steht in einem Gesamtzusammenhang. Und das kann man alles besser beurteilen, wenn man weiß, kommt man denn zusammen, und wo kommt man und wie kommt man zusammen.

Klein: Also, das heißt, da ist auch noch bei den Ämterbesetzungen einiger Spielraum drin, wo man heute sagen kann, da weiß die SPD auch noch nicht so ganz genau, wie sie am Ende dasteht, ob als Junior- oder als Seniorpartner.

Erler: Ich denke, dass es überhaupt nur funktionieren kann auf der Basis, die wir \"gleiche Augenhöhe\" nennen. Sehen Sie, 225 zu 222, das ist ein sehr, sehr knapper Vorsprung, da sind 15 Überhangmandate dabei, auf beiden Seiten zusammengezählt. Wir wissen aus der letzten Legislaturperiode, da können sich die Zahlenverhältnisse ändern. Wenn ein Überhangmandatsträger ausscheidet, wird das nicht nachbesetzt, dann ändern sich die Kräfteverhältnisse. Die CDU hat letztes Mal einen Kollegen, Herrn Hohmann, verloren wegen dessen inhaltlicher Abweichung von dem CDU-Kurs. Das kann alles passieren, deswegen gibt es nur die eine Möglichkeit, sich wirklich als gleich starker Partner zu behandeln und auch zu respektieren. Anders wird es nicht funktionieren.

Klein: Also Entscheidungen wirklich erst nach der Neuwahl oder Nachwahl in Dresden. Vielen Dank zunächst an Gernot Erler, SDP-Fraktionsvize.