Presseerklärung vom 5. Oktober 2005

Serbien-Montenegro: Licht und Schatten fünf Jahre nach Milossevic

Zum fünften Jahrestag der Beendigung des Regimes von Slobodan Milo¨ević erklärt der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und Präsident der Südosteuropa-Gesellschaft, Gernot Erler:
Seit dreieinhalb Jahren steht der ehemalige jugoslawische Präsident Slobodan Milo¨ević in Den Haag vor Gericht wegen des Vorwurfs von massenhaften Menschenrechtsverletzungen. Mit welcher Bilanz für sein Land er am 5. Oktober 2000 unter dem Druck friedlicher, demokratischer Demonstrationen seine Herrschaft aufgegeben hat, das wird er nicht vor den Schranken eines Gerichts verantworten müssen. Über diese Bilanz wird die Geschichte richten. Fünf Jahre nach dem Abgang von Milo¨ević ist jedenfalls noch keine der von ihm zu verantwortenden Wunden verheilt.

Im heutigen Unionsstaat Serbien und Montenegro wirft die Milo¨ević-Zeit noch lange Schatten. Ungelöst blieben bisher die Statusfragen von Kosovo und der Föderation Serbien-Montenegro selber. Das Trauma der Ermordung des demokratischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjić am 12. März 2003 schwebt weiter über dem Land wie das aus den Milo¨ević-Zeiten überkommene Netzwerk des Organisierten Verbrechens, das wie ein Staat im Staate die gesellschaftliche Weiterentwicklung aufhält.

Die aktuelle Regierung Ko¨tunica bleibt abhängig von der Duldung durch Milo¨ević\'s Sozialisten und durchlebt immer wieder personelle Krisen, während die stärkste politische Kraft im Lande die Ultra-Nationalisten Vojislaw ¦e¨els, der sich selber in Den Haag verantworten muss, darstellen. Kein Wunder, dass von der Aufbruchstimmung aus dem Herbst 2000 heute wenig geblieben ist.

Aber fünf Jahre nach dem Ende des Milo¨ević-Regimes gibt es nicht nur Schatten: Ministerpräsident Ko¨tunica arbeitet schrittweise besser mit dem internationalen Jugoslawien-Tribunal zusammen. Als Gegenleistung dafür werden noch in diesem Oktober die Verhandlungen mit der EU über das Stabilisierungs- und Assoziierungs-Abkommen begonnen, ein wichtiger Schritt zur europäischen Integration des Landes. Belgrads Position zur Statusfrage Kosovo ist realistischer und flexibler geworden, trotz der gewaltsamen Ausschreitungen der albanischen Seite vom März 2004. Und der serbische Präsident Boris Tadić entwickelt sich seit seiner Wahl im Juni 2004 immer mehr zum auch in der EU hochgeschätzten Hoffnungsträger einer neuen demokratischen Gesellschaft in Serbien.

In Belgrad wird die Mehrheit an diesem Jahrestag nicht nach Den Haag schauen, wo der Angeklagte Milo¨ević weiter ohne jedes Schuldgefühl an seinen Verschwörungstheorien bastelt, sondern nach Luxemburg, wo die EU-Außenminister den Weg zu Beitrittsverhandlungen mit der Türkei freigemacht und mit Kroatien geebnet haben. Das erhöht die Hoffnungen auf ein Ende der von Milo¨ević geerbten Isolierung und auf Anschluss an den europäischen Integrationsprozess. Nur in einer Fortsetzung dieser Integrationspolitik lassen sich die ungelösten und gefährlichen Statusfragen ohne neue Erschütterungen auf dem Balkan beantworten.