„Sanktionsandrohungen können zu einer Eskalation führen". Eintrag vom 11.01.2006
Interview von Gernot Erler im Deutschlandradio, 11. Januar 2006

Sanktionsandrohungen können zu einer Eskalation führen

SPD-Politiker Erler für diplomatische Lösung im Iran-Konflikt
Moderation: Klaus Remme
Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler (SPD), rechnet nicht mit einer militärischen Eskalation im Konflikt um die Atompolitik des Iran. Es gebe noch genügend Spielräume für eine diplomatische Lösung, betonte Erler.
Remme: Iranische Techniker haben gestern Siegel an Atomanlagen im Lande entfernt und damit einen internationalen Konflikt, der bereits existierte, weiter auf eine höhere Stufe gebracht. Am Telefon ist Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt. Herr Erler, wenn Ihr Minister Frank-Walter Steinmeier von einer sehr, sehr verhängnisvollen Entwicklung spricht und sagt, der Iran habe eine Linie überschritten, was meint er damit?


Erler: Er meint damit, dass mit dieser einseitigen Eskalation von Seiten des Iran die fachlichen Grundlagen für die Gespräche, die seit vielen Monaten geführt werden mit dem Iran, entzogen werden, und dass deswegen zunächst einmal die europäische Seite sich darüber verständigen muss, wie es weitergehen soll, und deswegen hat Außenminister Steinmeier für morgen seine beiden Kollegen aus London und Paris nach Berlin eingeladen, um zu klären, wie es jetzt weitergehen kann.


Remme: Sind diese monatelangen Verhandlungen Ihrer Ansicht nach gescheitert?


Erler: Sie sind jetzt an einem sehr, sehr schwierigen Punkt angelangt, weil man jetzt die Grundlagen aus den Augen verliert. Die Grundlage war ja das Teheraner Abkommen vom November 2004, wobei sich der Iran auf eine Unterbrechung sämtlicher Forschungs- und sonstigen Aktivitäten vor allen Dingen im Bereich der Konversion und der Anreicherung von Uran bereiterklärt hat, und durch die Brechung der Siegel und vor allen Dingen jetzt die weitere Nutzung der Anlage Natanz, wo es um Anreicherung von Uran geht, sind nun eine Provokation, die so nicht hinnehmbar ist.


Remme: Herr Erler, hat der Westen in diesen Verhandlungen vielleicht den Fehler gemacht, dass man dem Iran zu wenig angeboten hat, zu wenig Konkretes?


Erler: Das war ja gerade der Punkt, weshalb die Verhandlungen im Dezember wiederaufgenommen worden sind und jetzt am 18. Januar fortgesetzt werden sollten. In der Tat gab es am 5. August letzten Jahres ein schriftliches Angebot der drei Staaten Großbritannien, Frankreich, Deutschland, im Namen der EU mit einem sehr weitreichenden Kooperationsangebot inklusive zivile Nutzung der Atomenergie, aber auch Lieferung von anderer Hochtechnologie, freier Zugang zu westlichen Märkten, Unterstützung bei der Vermarktung von den Energieressourcen des Iran, bis hin zur Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich. Die iranische Regierung hat dieses Angebot als unzureichend bezeichnend und zurückgewiesen. Darüber sollte jetzt verhandelt werden, und diese Verhandlungen wurden im Dezember wiederaufgenommen. Insofern war der Westen ja durchaus bereit, war die EU ja durchaus bereit, hier darüber zu reden, was denn da unzureichend an dem Angebot gewesen sein sollte.


Remme: Wie wahrscheinlich sind die Gespräche am 18. Januar?


Erler: Ich weiß nicht, was die drei Außenminister morgen beschließen werden, aber ich glaube, dass sie ohne eine Zusicherung des Iran, dass es nicht zu einer konkreten Aktivität im Bereich der Anreicherung kommt, nicht weiter verhandeln können.


Remme: Wie glaubwürdig ist die Beteuerung Teherans, die Kernkraft lediglich friedlich nutzen zu wollen?


Erler: Das ist ja gerade der Punkt, dass hier sehr schwer erklärbar ist, warum der Brennstoffkreislauf von Seiten des Iran inklusive Konversion, inklusive Anreicherung und Wiederaufarbeitung geschlossen werden muss, weil es keine Räson dafür gibt. Wenn man sich nur die zivile Nutzung der Atomenergie ansieht, der Iran hat noch kein einziges Atomkraftwerk in Betrieb, wo das irgendeinen Sinn machen könnte, und insofern ist eben der Verdacht solange nicht ausgeräumt, solange nicht ein Verzicht auf die Anreicherung im Lande selbst tatsächlich garantiert ist, und das muss möglichst durch einen Verzicht auf diese Technologie im Lande selbst passieren. Deswegen war es sehr hilfreich, dass die russische Seite das Angebot gemacht hat, mit iranischen Wissenschaftlern und Technikern das auf russischem Gebiet zu machen, damit Iran auch Zugang zu der Technologie hat, aber eben nicht unkontrolliert im eigenen Land.


Remme: Washington will das Thema gerne vor dem Weltsicherheitsrat verhandelt sehen. Was spricht dagegen?


Erler: Das Problem dabei ist, dass die Weltgemeinschaft bestimmte Erfahrungen mit einer solchen Übergabe in die Verantwortung der Vereinten Nationen hat. Es ist schwer zu kalkulieren, in welche Richtung dann die Entwicklung geht. In der Regel werden dann Forderungen gestellt, die mit Sanktionsandrohungen bedacht werden, und das kann zu einer Eskalation führen, die außer Kontrolle gerät. Das ist das Risiko dabei, so war es zum Beispiel bei der Vorbereitung und bei dem Weg hin zum Irakkrieg, und insofern wäre das, was zusätzlich zu allen anderen Problemen, die wir im Augenblick in dem größeren Bereich des Nahen Ostens haben, keineswegs beruhigend, wenn das in die Vereinten Nationen geht. Aber sollte der Iran bei seiner jetzigen Politik bleiben, ist es nicht unwahrscheinlich, dass es in diese Richtung geht.


Remme: Und könnten dann Sanktionen etwas ausrichten?


Erler: Das ist eben gerade das Problem. Sanktionen werden wahrscheinlich gerade von den Hardlinern in Teheran aufgegriffen als eine Frage der nationalen Ehre und könnten auch zu Solidarisierungsreflexen bei anderen arabischen Staaten führen. Allerdings sollte der Iran beachten, dass er gerade Briefe von allen fünf Vetonationen der Vereinten Nationen, des Sicherheitsrates bekommen hat, also auch von China und Russland, wo eindringlich gewarnt wird vor dem, was jetzt passiert ist, und wo gesagt wird, dass unbedingt diese einseitigen Maßnahmen zurückgenommen werden müssen. Das heißt, der Iran kann sich keineswegs darauf verlassen, dass seine klassischen Partner wie Russland, etwa hier dann einen solchen Sanktionsmechanismus in den Vereinten Nationen verhindern würden.


Remme: Herr Erler, für wie wahrscheinlich halten Sie eine militärische Eskalation des Konflikts?


Erler: Ich sehe die im Augenblick nicht. Hier teile ich auch die Meinung des britischen Außenministers Straw, der gesagt hat, im Augenblick kann keine Rede von einer militärischen Reaktion sein. Es gibt noch genügend Spielräume für eine diplomatische Lösung, und man darf auch nicht sehen, in welcher brisanten Situation jetzt diese Frage hier auftaucht. Wir haben ja diese Krise in Syrien mit der Beschuldigung des Präsidenten Assad, was den Mord an Hariri angeht. Wir haben die unsichere Lage in Israel mit der Erkrankung von Scharon und der prekären Situation in den palästinensischen Gebieten vor den Wahlen. Wir haben nach wie vor die unsichere Lage im Irak, und diese Drohung von Ahmadinedschad, dem iranischen Präsidenten, gegen das Existenzrecht von Israel. Das ist das politische Umfeld, und in dieser Situation kommt es darauf an, eine Lösung zu finden, die nicht eine weitere Krise zufügt zu dieser ohnehin sehr pikanten und schwierigen Lage im Nahen Osten.


Remme: Vielen Dank für das Gespräch.