Nordkorea muss an den Verhandlungstisch

Interview im Deutschlandradio, 6. Juli 2006 • Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt, erwartet im Streit um die nordkoreanischen Raketentests keine Sanktionen des UNO-Sicherheitsrates. Sanktionen, die die Bevölkerung betreffen, kämen aus humanitären Gründen nicht in Frage, sagte der SPD-Politiker. Insofern werde es vermutlich bei "geharnischten Erklärungen" bleiben.


Oliver Thoma: In New York hat es noch keine Einigung auf Sanktionen gegeben, sie ist auch nicht wirklich in Sicht. Sind Sie enttäuscht?

Gernot Erler: Ich habe es, ehrlich gesagt, nicht anders erwartet, weil diese Unterschiede in der Frage, wie man reagiert, schon vorher deutlich waren. Auf der anderen Seite gibt es ja eine breite Einigkeit, dass es sich hier um eine ganz gezielte Provokation handelt. Dazu hat auch China seine Sorge ausgedrückt, das ist auch verurteilt worden von Russland, also von den beiden Mächten, die jetzt keine Sanktionsentscheidung wollen. Insofern gibt es Einigkeit darüber, dass man alles jetzt tun muss, um Nordkorea wieder an den Verhandlungstisch dieser so genannten Sechserverhandlungen zu bringen, und mit irgendeinem sehr scharfen Beschluss nicht genau das, was alle wollen, zu verhindern.

Thoma: Eine Provokation aus Nordkorea, aber ist es auch eine ernsthafte Gefahr?

Erler: Zumindest ist die Möglichkeit einer Gefahr hier angedeutet. Eindrucksvoll waren die Tests ja nicht, vor allen Dingen nicht bei dieser Langstreckenrakete vom Typ Taepodong-2, die nach den Beobachtungen für nicht länger als 40 Sekunden sich in der Luft halten konnte und dann explodiert ist und ins Meer gefallen ist. Man weiß nicht genau, was die Hintergründe sind. Es gibt Spekulationen, dass es vielleicht sogar beabsichtigt war, um die Provokation nicht allzu doll zu machen, aber wahrscheinlicher ist vielleicht sogar, dass es sich um einen Fehltest gehandelt hat. Insofern ist sicherlich noch nicht der Beweis erbracht, aber theoretisch kann von der Reichweite diese Rakete Alaska und damit amerikanisches Gebiet erreichen, in jedem Fall von der Reichweite Japan erreichen, und insofern ist natürlich die Vorstellung, dass Nordkorea seine selbst erklärten nuklearen Potenziale nun mit Trägerwaffen in andere Länder tragen kann, eine potenziell sehr ernsthafte Bedrohung.

Thoma: Wobei es ja auch Experten gibt, die bezweifeln, dass Nordkorea schon so weit ist, und dass sie vielleicht ein bisschen Plutonium haben, aber das war es auch.

Erler: Das ist richtig. Es gibt keine Beweise für die nuklearen Fähigkeiten, aber Nordkorea hat sich selber zur Atommacht erklärt und hat ja auch entsprechende Arbeiten und Tests nachweislich gemacht. Wieweit tatsächlich dieses Programm ist in diesem Land, das nicht in der Lage ist, die eigene Bevölkerung zu ernähren, was auf Nahrungsmittelhilfe zum Beispiel von Südkorea und China angewiesen ist, das ist nicht völlig klar. Deswegen spreche ich eben auch von einer potenziell sehr ernsthaften Bedrohung.

Thoma: Wir sind bei der Frage, welche Sanktionen, welche Möglichkeiten hat die Staatengemeinschaft überhaupt, Nordkorea weiter zu isolieren? Da gibt es ja nicht mehr sehr viele, Nordkorea ist ja schon isoliert. Wenn man das will, könnte man das zum Beispiel über diese Nahrungsmittelprogramme tun, aber da trifft man wohl die Falschen, oder?

Erler: Das ist eben genau der Punkt, dass solche Sanktionen, die also die Bevölkerung betreffen, eigentlich aus humanitären Gründen nicht in Frage kommen. Insofern bleibt das, was jetzt weltweit passiert, dass die Botschafter einbestellt werden, dass geharnischte Erklärungen abgegeben werden, Japan will keinen Schiffsverkehr mehr zwischen Nordkorea und Japan zulassen, die Fährverbindungen unterbinden und auch Personen keine Einreise mehr gewähren, Japan ist natürlich auch in der Region am ehesten im Fadenkreuz vielleicht von nordkoreanischen militärischen Aktionen, fühlt sich jedenfalls so. Also es gibt jetzt sehr individuelle Maßnahmen und diese üblichen starken Erklärungen, die auch den Botschaftern entsprechend übermittelt werden. Aber mehr ist wahrscheinlich auch bei weiteren Beratungen des Sicherheitsrats nicht zu erreichen, es sei denn, es kommt noch mal eine Erklärung der Präsidentschaft, die im Augenblick bei Frankreich liegt, im Sicherheitsrat. Das ist die Alternative zu einer Resolution, dass eine Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates vorbereitet und abgestimmt wird, die noch mal sehr deutlich sich an Nordkorea wendet und sicherlich von Pjöngjang vor allem die Rückkehr zu den Sechsergesprächen fordern wird.

Thoma: Ist diese Machtdemonstration vielleicht auch eher innenpolitisch begründet, kämpft Kim Yong Il vielleicht auch ums Überleben im eigenen Land? Was sagt zum Beispiel der deutsche Botschafter dazu. über die Lage?

Erler: Beinahe wäre ich jetzt versucht zu sagen, es wäre schön, wenn es so ist. Es gibt eigentlich keine Hinweise darauf, dass das Regime in irgendeiner Weise von innen her gefährdet wird, aber wir kennen natürlich aus der Vergangenheit auch gelegentlich solche eklatanten Provokationen, die schlicht und einfach Nordkorea wieder ins Gespräch bringen. Vielleicht ist das auch das eigentliche Ziel. Es stimmt ja nun, dass mit diesen Tests erreicht wurde, dass die ganze Welt nach längerer Zeit übrigens wieder mal überhaupt Nordkorea zur Kenntnis nimmt, und vielleicht hat er sich von dieser Demonstration von Stärke irgendeinen Vorteil jetzt politischer Art im Kontext mit den anstehenden Verhandlungen erwartet. Dann ist das aber schief gegangen, das kann man daran sehen, wie einhellig die Weltmeinung zu diesem Thema ist.

Thoma: Welche Reaktion ist angemessen auf die nordkoreanischen Provokationen? Das war Gernot Erler, der Staatsminister im Auswärtigen Amt. Vielen Dank für das Gespräch.