Gernot Erler: Deutschland weiterhin Anwalt Bulgariens. Interview für das Bulgarische Wirtschaftsblatt, 02/2006

Gernot Erler: Deutschland weiterhin Anwalt Bulgariens

WB: Welchen Eindruck haben Sie von den Vorbereitungen Bulgariens auf den EU-Beitritt? Was stellt sich unserer Integration noch in den Weg?

G.E.: Es ist offensichtlich, dass Bulgarien ernsthafte Bemühungen unternimmt, die Restforderungen der EU noch rechzeitig zu erfüllen. Die verbleibenden Beanstandungen beziehen sich vorwiegend auf die Verlässlichkeit der bulgarischen Rechtsorgane sowie auf den notwendigen Kampf gegen Korruption und Organisiertes Verbrechen.

WB: Wird die eventuelle Verzögerung des Beitrittstermins um ein Jahr einen negativen Einfluss auf die Entwicklung des Landes haben oder wird sie ihm eher helfen, das Versäumte nachzuholen?

G.E.: Was die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft angeht, könnte eine Verschiebung auch Vorteile haben. Aber letztlich würde ein solcher Aufschub des Beitritts sicherlich zu Reaktionen der Enttäuschung und zu einem Prestigeverlust für Bulgarien führen. Deswegen sollten die Anstrengungen bis zur letzten Minute fortgesetzt werden, um einen positiven abschließenden Fortschrittsbericht für den 17. Mai zu erreichen.

WB: Wie beurteilen Sie den Beitrag Deutschlands zum EU-Beitritt Bulgariens? Welchen Platz nimmt dabei das von ihnen gegründete und geleitete Deutsch-Bulgarische Forum ein?

G.E.: Deutschland hat sich kontinuierlich für eine Fortsetzung der europäischen Integrationspolitik eingesetzt und dabei versucht, die Rolle eines guten Anwalts für die bulgarischen Interessen auszufüllen. Das Deutsch-Bulgarische Form hat immer wieder in der Öffentlichkeit auf die großen Reformanstrengungen hingewiesen und über sie informiert.

WB: Ist die Mission des Forums mit dem EU-Beitritt Bulgariens schon erfüllt? Worauf wird es sich in Zukunft konzentrieren?

G.E.: Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass Bulgarien mit dem EU-Beitritt schon „über dem Berg ist". Viel Arbeit wird auch danach geleistet werden müssen - das zeigt auch die Entwicklung bei den neuen EU-Mitgliedern, die diesen Schritt schon hinter sich haben. Ich bin sicher, dass insofern auch dem Deutsch-Bulgarischen Forum wie auch unserer Partnerorganisation in Bulgarien die Aufgaben nicht ausgehen werden.

WB: Auf Ihrer Webseite haben Sie gesagt, dass Sie das Forum aus Sympathie für unser „armes und sympathisches Balkanland" gegründet haben? Wir gehen davon aus, dass Bulgarien Ihnen immer noch sympathisch ist. Ist es jedoch, Ihrer Meinung nach, weiterhin arm?

G.E.: Typisch für Bulgarien ist die Parallelität von besser werdenden makroökonomischen Daten, aber anhaltenden sozialen Problemen und Schieflagen. Meine bleibende Sympathie für Bulgarien werde ich deshalb in Zukunft besonders dadurch zum Ausdruck bringen, dass ich für eine gerechtere Verteilung und für eine faire Partizipation der Mehrheit der Bürger an Wachstum und Fortschritt in Bulgarien werben werden.

WB: Sie gelten als ein guter Freund Bulgariens, sind jedoch Staatsminister im Auswärtigen Amt einer Koalitionsregierung, die sich eher skeptisch gegenüber dem frühestmöglichen EU-Beitritt Bulgariens verhält. Ist es schwer für Sie, sich in dieser Umgebung für den Beitritt unseres Landes ab dem 1. Januar 2007 einzusetzen?

G.E.: Richtig ist, dass es wie auch in anderen europäischen Ländern in Deutschland in der Öffentlichkeit eine kritische Diskussion zu dem Fahrplan der weiteren EU-Erweiterung gibt, was unmittelbar Bulgarien und Rumänien betrifft. Aber im vereinbarten Koalitionsvertrag steht ein eindeutiges Bekenntnis zum Beitritt beider Länder, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Insofern hängt jetzt alles von dem abschließenden Fortschrittsbericht ab, den wir für den 17. Mai erwarten.

WB: Wann können wir mit der Ratifizierung des Beitrittsvertrags Bulgariens seitens der BRD rechnen?

G.E.: Das Ratifizierungsverfahren soll sofort eingeleitet werden, wenn die positive Empfehlung der EU-Kommission vorliegt. Dann wird es möglich sein, das Ratifizierungsverfahren noch rechzeitig bis zum Ende dieses Jahres abzuschließen.

WB: Wie beurteilen Sie die Höhe der deutschen Investitionen in Bulgarien. Ist das Engagement deutscher Firmen ausbaufähig? Wird der Standort Bulgarien nach dem EU-Beitritt für deutsche Unternehmen attraktiver werden?

G.E.: Ich stelle immer ein großes Interesse der deutschen Wirtschaft an Investitionen in Bulgarien fest. Leider gab es in der Vergangenheit bei wenigen, aber viel beachteten Einzelfällen auch negative Erfahrungen, die dieses positive Interesse natürlich nicht gefördert haben. Wenn es nicht mehr zu solchen Rückschlägen kommt, bin ich optimistisch, was die Zukunft der deutsch-bulgarischen Zusammenarbeit, den Handelsaustausch und den Tourismus in den attraktiven bulgarischen Landschaften angeht.