Mai 2006

Es fehlt an greifbaren Erfolgen

Im Interview mit DW-RADIO spricht Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt und Vorsitzender des Deutsch-Bulgarischen Forums, über Erwartun­gen an Rumänien und Bulgarien, guten Willen und den deutschen Zeitplan für die Ratifizierung der Beitrittsverträge.

DW-RADIO/Bulgarisch: Herr Erler, die Europäi­sche Kommission hat keine Empfehlung für ein konkretes Beitrittsdatum für Bulgarien und Rumänien ausgesprochen. Die Entscheidung darüber wurde auf den Herbst verschoben. Ihr Kommentar dazu?

Gernot Erler: Ich glaube, dass das eine kluge Ent­scheidung war, weil sie eine Balance herstellt. Sie stellt eine Balance her zwischen dem wachsenden Unmut auch in der europäischen Öffentlichkeit dar­über, dass zwei Länder eingeladen werden zum Bei­tritt, die noch nicht alle Aufgaben erledigt haben, die ihnen gestellt worden sind und auf der anderen Seite natürlich der Gefahr, dass, wenn man jetzt diese Dinge allzu weit hinausschiebt, auch die Stimmung kippen könnte in den Ländern und die falschen poli­tischen Kräfte dadurch unterstützt werden. Am Ende könnte ein gutes Ergebnis stehen, nämlich erstens, dass es doch am 1.1.2007 zu dem Beitritt kommt, dass das aber auf der Basis einer überzeugenderen Erfüllung der Restforderungen passiert. Das würde auch den Konsens in der Öffentlichkeit in Deutsch­land und in anderen europäischen Ländern über diesen Beitritt erhöhen. Das finde ich sehr wün­schenswert, und das ist die Chance, die in diesem Beschluss steckt.

DW: Die Europäische Kommission hat sechs kriti­sche Bereiche für Bulgarien und vier für Rumänien aufgezählt, Bereiche, die Anlass zu großer Sorge geben, z. B. Korruption und organisierte Kriminalität. Sind Sie der Meinung, dass die beiden Länder über­haupt in der Lage sind, ihre Defizite bis zum Herbst zu beheben?

G.E.: Ich glaube, niemand erwartet, dass jetzt plötz­lich innerhalb von vier Monaten die Welt vom Kopf auf die Füße gestellt werden wird. Das wird nicht passieren. Aber beide Länder können durch guten Willen und Aktivitäten in den nächsten Wochen und Monaten sehr viel zur Veränderung der Stimmung beitragen und auch dazu beitragen, dass der gute Wille erkannt wird. Da merkt man, dass die Kommis­sion ein wenig ungeduldig wird. Denn an Gesetzen fehlt es ja nicht. Es fehlt an greifbaren Erfolgen. Wo sind zum Beispiel die Inhaftierungen von denen, die auf offener Straße Auftragsmorde durchführen? Da fehlt es an der Umsetzung, und da kann man eigent­lich auch in kurzer Zeit eine deutliche Verbesserung erreichen. Ich glaube zwar, dass wir dann auch noch ein Nach-Beitritts-Monitoring bekommen werden, das heißt, der Rest wird dann sicher auch noch Ge­genstand von Überlegungen und von Politik nach dem Beitritt am 1.1.2007 sein - aber dann unter ei­nem ganz anderen Rahmenprogramm, dann eben schon auf der Basis einer breiten Zustimmung zu dem Beitritt.

DW: Deutschland hat den Ratifizierungsprozess des EU-Beitrittsvertrags Rumäniens und Bulgariens von den Empfehlungen der EU-Kommission abhängig gemacht. Wird der Bundestag den nächsten Bericht der EU-Kommission im Oktober abwarten und wenn ja, wird dann nicht die Zeit etwas knapp?

G.E.: Dazu muss man wissen, dass das in Deutsch­land tatsächlich ein relativ komplizierter Prozess ist. Der Ratifizierungsprozess hat in Deutschland am 5. April begonnen. An diesem Tag hat das Kabinett beschlossen, dem Bundestag das Gesetz über die Ratifizierung vorzulegen. Wir wissen, dass schon 14 Länder und die beiden betroffenen Länder den Rati­fizierungsprozess inzwischen abgeschlossen haben, und es gibt eine Verabredung, dass alle 25 Länder bis Ende dieses Jahres die Ratifizierung abgeschlossen haben sollen. Daran wollen wir uns auch in Deutsch­land halten. Wir haben einen genauen Arbeitsplan, wie das laufen könnte. In Deutschland ist das noch besonders kompliziert, weil auch der Bundesrat be­teiligt werden muss.

Das Problem ist jetzt, dass die entscheidenden Bera­tungen in den Ausschüssen unter Umständen nach dem jetzigen Plan in eine Zeit fallen, wo wir diesen für spätestens Anfang Oktober angekündigten weite­ren Bericht der EU-Kommission noch nicht kennen. Das ist schlecht. Die Folgerung ist aber nicht etwa, dass wir die Ratifizierung verschieben, sondern die Bundesregierung wird mit der EU-Kommission Kontakt aufnehmen und wird dafür werben, dass doch dieser abschließende, empfehlende Bericht etwas früher vorgelegt wird. Das würde uns die Ar­beit sehr erleichtern. Deutschland will, genau wie alle anderen Länder, die Ratifizierung bis Ende diesen Jahres abgeschlossen haben.

Das Interview führte Marinela Liptcheva-Weiss