Dezember 2006

Europa grüßt Bulgarien

Gernot Erler, MdB, Staatsminister im Auswärtigen Amt; Vorsitzender des Deutsch-Bulgarischen Forums; Präsident der Südosteuropa-Gesellschaft:

Wenn es heißt „Europa grüßt Bulga­rien", dann stelle ich mir einen Menschen vor, der an sich selbst herun­terschaut, um dann seine Hand, seinen Fuß oder einen anderen Teil seiner selbst zu begrüßen. Denn Bulgarien war und ist ein Teil Europas und wird es immer blei­ben.

Aber am 1. Januar 2007 passiert trotzdem etwas Wich­tiges. Ein Marathonläufer kommt ans Ziel, nach einer langen, mühsamen Strecke. Eigentlich hat dieser Lauf schon 1989 begonnen, mit dem Ende der 35 Jahre währenden Ära Schiwkow. Und genau wie beim Ma­rathon waren die letzten Abschnitte der Strecke die anstrengendsten. Da lagen viele Hindernisse auf der Laufbahn, die erst einmal weggeräumt werden mussten. Zum Schluss drohte noch eine einjährige Strafrunde, wegen nicht ausreichender Hindernisbeseitigung.

All das wird das strahlende Siegerlächeln des Dauerläu­fers Bulgarien in der ersten Stunde des Jahres 2007 beiseite schieben. Der große Zuschauer EU wird beim Zieleinlauf klatschen und dabei hoffentlich an die vie­len Entbehrungen, Opfer und Leistungen denken, die dieser Lauf gefordert hat. Denn der eigentliche Held der Stunde ist das bulgarische Volk, das seit 1989 viele Verunsicherungen und Wohlstandsverluste erdulden, viele schnelle Veränderungen in allen Lebensbereichen akzeptieren, ungezählte Lektionen und neue Regeln lernen und ein Auskommen mit all denen, die ihm Belehrungen erteilten, finden musste. Wenn ich mit einem Glas Sekt in der Hand das Neue Jahr 2007 be­grüßen werde, dann werde ich mich nicht nur über das neue EU-Mitglied Bulgarien freuen und es beglück­wünschen, sondern auch mein Haupt voller Anerken­nung und Respekt vor den vielen, vielen Bulgarinnen und Bulgaren beugen, die zu diesem großen Erfolg persönlich auf ganz unterschiedliche Weise beigetragen haben!

Die Bulgaren werden kräftig feiern. Dafür sind sie bekannt, und das ist auch richtig so. Aber nach jeder noch so schönen „vesselbá" kommt die unausweichli­che Ernüchterung. Und weil das so ist, verbinde ich meine herzlichen Glückwünsche zu diesem für Bulga­rien historischen Tag gleich mit ein paar Wünschen, die auf die wichtige Zeit danach abzielen.

Ich wünsche mir, dass Bulgarien vom ersten Tag der EU-Mitgliedschaft an sofort als erwachsener Partner der anderen 26 Länder auftritt. Was heißt das? Als erstes wird es darum gehen, das „Restprogramm" der Beitrittsanforderungen (vor allem im Bereich Justiz und Inneres) beherzt anzugehen. Alle Bulgaren würden davon profitieren. Aber es ist eben auch so, als ob man eine noch nicht ganz fertige Wohnung bezieht: Rafft man sich nicht gleich auf, das noch Nötige nachzuho­len, kann es ein jahrelanges Ärgernis geben. Ich will nicht, dass Bulgarien nach dem nächsten Monitoring zu diesen Restaufgaben plötzlich im Status einer „EU-Mitgliedschaft Zweiter Klasse" aufwacht!

Erwachsener EU-Partner, das heißt auch, sich gleich an den aktuellen Gemeinschaftsaufgaben zu beteiligen. Am 21. Januar 2007 wird es Wahlen in Serbien geben, und sehr schnell danach wird die Weltgemeinschaft daran gehen, über den künftigen Status von Kosovo zu entscheiden. Das wird nicht ohne Spannungen für die ganze Balkanregion abgehen. Mit seinen sehr vertrau­ensvollen und guten Beziehungen zu den Nachbar­staaten kann Sofia in dieser kritischen Phase eine stabi­lisierende Rolle in der ganzen Region übernehmen. In Deutschland, das in der ersten Jahreshälfte 2007 die EU-Ratspräsidentschaft innehat, würde ein solches Engagement des neuen EU-Partners mit großer Dank­barkeit aufgenommen werden. Und eine wichtigere Rolle kann Bulgarien auch sofort für die EU in der immer bedeutender werdenden regionalen Kooperation im Schwarzmeerraum übernehmen. Um noch einmal ein Bild aus dem Sport zu gebrauchen: Im Fußball haben manchmal neu eingewechselte Spieler Mühe, ins Spiel zu kommen und angespielt zu werden. Manchmal geht es aber auch ganz flott, oder die Eingewechselten werden sogar zu Matchwinnern. Wie wär`s: Am ersten Tag tanzen wir und feiern wir, und auch am zweiten und dritten - aber dann fangen wir gemeinsam an, Bulgarien zum Matchwinner zu machen?

(Verfasst für das Bulgarische Wirtschaftsblatt)