Erler gegen Festlegung auf deutsche Beteiligung an Libanon-Truppe

Interview im Deutschlandfunk, 6. August 2006 • Moderation: Sabine Adler •
Sabine Adler: Herr Erler, der Krieg zwischen Israel und dem Libanon ist in der vierten Woche. Er hat fast 1000 Menschen das Leben gekostet, ein Drittel davon Kinder, und ein Waffenstillstand ist immer noch nicht in Sicht. Israels Premier Ehud Olmert will derzeit nicht, dass es einen Waffenstillstand gibt. Er möchte, dass seine Armee eine zehn Kilometer breite Sicherheitszone einrichtet im Südlibanon und möchte die Offensive gegen Libanon erst dann einstellen, wenn die Internationale Schutztruppe einsatzbereit ist. Das klingt ein bisschen so, als müsste es in der Welt immer nach den Vorstellungen Israels gehen.
Gernot Erler: Das ist aber nicht so, denn wir haben einen parallelen Prozess bei den Vereinten Nationen, wo es im Augenblick um einen zweiten Entwurf der französischen Seite geht für eine Resolution. Dort sieht die vorgesehene Abfolge vor, dass es zuerst zu einer Waffenruhe - das muss noch kein verabredeter Waffenstillstand sein - geht, dann als zweiter Schritt ein politischer Rahmen für Verhandlungen gesteckt wird und dann wird erst ein dritter Schritt vorgesehen, nämlich über eine Internationale Friedenstruppe oder diese so genannte stabilisation force zu sprechen.

Adler: Israels Premier Olmert hat jetzt gesagt - wörtlich - er wäre sehr glücklich, wenn sich Deutschland an dieser Truppe beteiligen würde. Israels Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, hat das als eine historische Aussage bezeichnet. Allerdings erwartet er nach diesem Satz von Olmert auch eine Debatte in Israel, ähnlich wie wir sie jetzt in Deutschland hatten und haben. Ist es jetzt so, dass dieser Satz von Olmert tatsächlich den Druck auch auf die Bundesregierung erhöht hat, sich zu entscheiden?

Erler: Ich würde diese Aussage nicht dramatisieren, obwohl sie bemerkenswert ist. Sie belegt aus meiner Sicht diese besondere Situation Deutschlands mit seinem doppelten Vertrauensverhältnis. Denn tatsächlich, diese Aussage von Ehud Olmert ist ein Vertrauensbeweis gegenüber Deutschland und sogar ein ungewöhnlicher. Aber das Besondere ist ja, dass Deutschland auch recht gute und einsatzfähige Beziehungen zu den arabischen Staaten in dieser Region hat. Und das bringt uns in eine besondere Situation, eine, mit der wir sehr vorsichtig und zurückhaltend umgehen wollen, eher in dem Sinne, dass wir jetzt in dieser Lage unsere guten Dienste anbieten, dafür, um endlich aus dem militärischen Geschehen in einer Art Verschränkung zwischen militärischen Aktionen und politischen zu einer diplomatischen Lösung des Konflikts beizutragen. Das ist in der Tat das Ziel der deutschen Außenpolitik im Moment. Und jede Konzentration auf diese Frage, wer soll den nun eigentlich sinnvollerweise bei einem möglichen Mandat, was wir noch gar nicht haben, für diese stabilisation force dann Truppensteller sein, wäre eher eine Einschränkung dieser Chancen, die Deutschland in dieser besonderen Situation hat.

Adler: Nun gibt es aber dennoch eine Konkretisierung in dieser Frage. Es gibt eben unter anderem auch die Aussage von Ehud Olmert, der sagte, er könnte sich in einer solchen Truppe durchaus auch die USA vorstellen. Andere Stimmen sagen, es wäre ganz wichtig, zum Beispiel arabische Länder einzubinden. Das heißt, wir sind mitten drin in der Diskussion, dass wir uns wirklich überlegen müssen, das Mandat der UNO wird vorbereitet, das wird also demnächst kommen. Die zweite Voraussetzung, die in Deutschland genannt wurde, Israel muss sich äußern, ist jetzt sozusagen auch erfüllt. Das heißt, wir sind mitten in einer ganz konkreten Diskussion darüber, wer sollte einer solchen Schutztruppe angehören?

Erler: Also noch mal: Glücklich ist diese Situation nicht, denn bevor man eigentlich eine Entscheidung darüber trifft, welchen Beitrag man für eine Aufgabe leistet, sollte man die Aufgabe kennen. Ich habe den Eindruck, dass wir da einen sehr breiten Fächer von Aufgaben haben werden. Da wird zum Beispiel dazu gehören: eine militärische Aufgabe, aber auch zivile und polizeiliche Aufgaben, Grenzkontrolle, Kontrolle von eventuellen Waffenlieferungen und natürlich Unterbindung davon. Dazu wird gehören: humanitäre Aufgaben, Wiederaufbauaufgaben in diesem zerstörten Streifen im Libanon und zum Beispiel eine Stärkung und eine bessere Ausbildung der libanesischen Armee, um sie zu befähigen, auf Sicht dann tatsächlich die Kontrolle im Südlibanon zu übernehmen, die nicht mehr wie bisher der Hisbollah zu überlassen und damit einen wichtigen Schritt zur Sicherheit zu tun. Denn ich glaube, niemand hat ernsthaft vor, auf Dauer eine womöglich 20.000 Mann umfassende internationale Stabilisierungstruppe im Südlibanon zu stationieren. Die Logik ist, das so bald wie möglich in die Hände des Souveräns dieses Landes, nämlich der Regierung des Libanon, zu übergeben. Und insofern sage ich noch mal, eine Konzentration in der jetzigen Situation auf die Frage, wer stellt Truppen, ist sehr kurz gesprungen und auch nicht hilfreich für das, was im Augenblick am meisten ansteht. Und das ist der Übergang von dem militärischen Prozess, den wir jeden Tag in schrecklichen Bildern beobachten können, hin zu einem diplomatischen Prozess.

Adler: Heißt das, dass der israelische Premier damit vorgeprescht ist, im Grunde genommen eine Entscheidung vorfristig oder eine Positionsbestimmung, auf die man in Deutschland ja durchaus gewartet hat, vorfristig vorgenommen hat?

Erler: Es ist so, dass es eben in der Öffentlichkeit ein großes Interesse an dieser Frage gibt. Und Ehud Olmert hat ja auch nur auf Fragen geantwortet, die ihm gestellt worden sind. Sie haben schon erwähnt, dass er deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass er eigentlich auch die Amerikaner da haben möchte, die schon abgesagt haben. Aber die Diskussion ist da. Wir haben im Grunde genommen mehr oder weniger deutlich das Angebot von Ländern wir Frankreich, die ja auch im Augenblick die Präsidentschaft im Sicherheitsrat haben, die praktisch als gesetzt gelten, möglicherweise auch die Führung von einer solchen stabilisation force zu übernehmen. Es ist deutlich im Gespräch Italien, Spanien, Belgien, Slowakei, Rumänien, unter Umständen auch die Türkei. Alle diese Länder sind schon genannt worden oder haben schon selber Zeichen gegeben. Also, es ist ja nicht so, dass wir hier vor einer unlösbaren Aufgabe stehen. Und ich glaube, alle diese Länder werden ihre Entscheidung zurückstellen, bis sie diese Aufgabe kennen.

Adler: Ehud Olmert hat in diesem "Süddeutsche-Zeitung"-Interview ja auch gesagt, dass er sich diesen Auftrag zum Beispiel für Bundeswehrsoldaten sehr konkret vorstellen könnte. Er könnte sich die Stationierung sogar im Südlibanon vorstellen, denn dann wären die Bundeswehrsoldaten ja Teil der Truppe, die Israel verteidigt. Nun ist unsere Lesart ja bisher eine andere, nämlich, dass es eine internationale Schutztruppe ist, die sich neutral verhält. Wäre das denn unter einer solchen Voraussetzung, wie Olmert sie sieht, überhaupt noch gegeben? Kann sich Deutschland dann auf einen solchen Beitrag überhaupt einlassen?

Erler: Also, Ihre Frage belegt ja, dass es ganz offensichtlich noch sehr unterschiedliche Vorstellungen von dieser stabilisierenden Friedenstruppe gibt. Und natürlich kann man aus heutiger Sicht gar nicht ausschließen, dass diese Stabilisierungsfriedenseinheiten sehr wohl in beide Richtungen aktiv werden müssten, im Falle eines Falles, dass es wieder zu irgendwelchen Spannungen oder Auseinandersetzungen kommt. Das ist jedenfalls eher die Erwartung der internationalen Gemeinschaft, dass sich das nicht etwa nur um die Verteidigung Israels handelt, sondern dass es sich dabei eben um Stabilisierung handelt, das heißt, Vermeidung von Provokation, Vermeidung von Übergriffen von beiden Seiten. Anders wäre das wohl auch kaum mit den arabischen Staaten kommunizierbar. Und insofern belegt dieses Thema eigentlich nur, dass wir erst einmal das Mandat kennen müssen. Das muss erst einmal formuliert werden und davon sind wir noch einige Tage entfernt.

Adler: Hat Olmert mit dieser Festlegung möglicherweise sogar den Einsatz der Bundeswehrsoldaten unmöglich gemacht?

Erler: Nein. Ich sehe darin einen wirklich bemerkenswerten Beleg von Vertrauen. Aber ich sehe unsere eigene Entscheidung in keiner Weise präjudiziert durch ein solches Interview. Wir haben in Deutschland zu entscheiden, was können wir und was wollen wir am besten beitragen. Und im Augenblick stört uns da eher eine solche Fokussierung auf dieses Thema deutsche Soldaten ja oder nein, weil wir ja eher glauben, dass wir unsere Drähte zum Beispiel nach Damaskus, zu den anderen arabischen Staaten nutzen sollten und auch nutzen können, um endlich dieser Verhandlungslösung näher zu kommen. Davon sind wir ja auch heute noch leider weit, weit entfernt.

Adler: Wenn wir beobachten: die Bemühungen um die UNO-Resolution, die Konferenz in Rom, jetzt in dieser Woche die Außenministertagung in Brüssel, dann scheint es ungemein schwer zu sein, sich auf irgend etwas zu einigen. Das ist für die Menschen zum Teil sehr unverständlich. Die fragen sich, kann es denn so schwer sein, sich zu einigen auf einen sofortigen, bedingungslosen Waffenstillstand? Warum ist das so schwer, vor allem auch für die Bundesregierung?

Erler: Nein, es ist, was das wünschbare angeht, innerhalb von einer Sekunde erledigt. Ich glaube, auf der ganzen Welt wünschen alle Menschen und alle Politiker, dass so schnell wie möglich die Waffen schweigen. Das Problem ist nur, dass wir im Augenblick bei beiden Seiten überhaupt keine Bereitschaft dazu haben, aus unterschiedlichen Gründen. In Israel, das hat auch der Ministerpräsident deutlich gemacht, hat man im Augenblick das Gefühl, dass man bis zu einem eindrucksvollen militärischen Ergebnis dieser nun in der vierten Woche andauernden Offensive noch Zeit braucht. Die Hisbollah ist vergleichsweise noch in einer besseren Situation. Eigentlich rechnet die Hisbollah jeden Tag, wo sie weiter in der Lage ist, eine größere Zahl von Katjuschas oder anderen Geschossen nach Israel zu schießen, als einen Erfolg, auch als einen Prestigeerfolg. Und die fangen jetzt an, Bedingungen zu stellen und haben gesagt, erst wenn der letzte israelische Soldat seinen Fuß von libanesischem Boden genommen hat, dann sei man bereit zu einem Waffenstillstand. Das ist eine ganz, ganz komplizierte Situation, und ich verstehe die Ungeduld, was die Arbeit der internationalen Organisationen, vor allem der UNO, angeht, bei den Menschen. Aber man muss auch einmal sehen, dass es sehr, sehr schwierig ist, hier in dieser Situation weiter zu kommen, weil im Augenblick alles für eine Fortsetzung der militärischen Logik spricht, bei beiden hier Betroffenen, während die Weltgemeinschaft geradezu fieberhaft darum ringt, den Einstieg in eine politische Verhandlungslösung zu finden. Noch ist der Königsweg dafür nicht erkennbar.

Adler: Nun kann man ja dagegensetzen. Man kann sich ja zunächst erst mal sehr nachdrücklich und lautstark für eine Waffenstillstand einsetzen. Wie man ihn dann erreicht, daran muss weiter gearbeitet werden, das ist schon richtig. Aber um auch ein Signal an die Menschen zu senden, jawohl, das ist etwas, was wir genau so wollen, nicht gegen euch, wir wollen nichts anderes, sondern wir wollen es genau so, nämlich Waffenruhe. Wenn aber dieses Zögern kommt, wie es ja gerade in dieser Woche von der Bundesregierung bei dem Außenministertreffen wahrgenommen wurde, dann hat man den Eindruck, oder es verbreitet sich der Eindruck, dass tatsächlich die Bundesregierung auf eine Bremse tritt, was den Menschen unverständlich ist.

Erler: Die Bundesregierung hat zusammen mit den anderen europäischen Staaten eine Formulierung gefunden, die auf Englisch heißt: cessation of hostilities followed by sustainable ceasefire.

Adler: Das machen wir jetzt noch einmal auf Deutsch.

Erler: Das heißt auf Deutsch: Ein sofortiges Ende von Feindseligkeiten gefolgt von einem dauerhaften Waffenstillstand. Ich glaube, an einem solchen Ziel kann man eigentlich nicht deuteln und kann man eigentlich auch keine Kritik üben. Das war vernünftig, das so zu formulieren. Und darüber bestand nach einigen Beratungen nach fünf Stunden in Brüssel dann auch Einigkeit, dass das eine vernünftige Formel ist. Und ich glaube, dass es ganz schwierig für die Öffentlichkeit ist, was ich auch als Problem ansehe, da zu verstehen, was der Unterschied zwischen "cessation of hostilities" und "end of violence" ist. Über solche Dinge streitet man sich in internationalen Gremien. Das sind aber Feinheiten, die für einen Außenstehenden gar nicht mehr nachvollziehbar sind.

Adler: Und eben auch für die Menschen kaum noch nachvollziehbar sind. Wenn man sich Umfragewerte anschaut, dann ist es so, dass die überwiegende Zahl der Bundesbürger den Krieg Israels gegen Libanon ungerecht findet, wenn wir uns das Ausmaß der Zerstörung anschauen. Andererseits haben wir jetzt nach diesem Olmert-Interview, nach den Worten, die der Botschafter sogar als historisch bezeichnet hat, die Sie selbst als großen Vertrauensbeweis bezeichnet haben, eine Situation, wo man sagt, Deutschland ist nun eigentlich unverdächtig, ist ein Freund, steht an der Seite Israels. Warum ist es dann so schwer, Israel auch kritische Worte zu sagen?

Erler: Nun, das passiert ja, Frau Adler. Also, der Außenminister hat schon mehrfach, auch schriftlich, zum Beispiel nach dem schrecklichen Angriff auf Kana gesagt und Israel daran erinnert, dass das Selbstverteidigungsrecht auch die Beachtung von Völkerrechtsregeln einschließt. Und dazu gehört, dass man den größtmöglichen Schutz von zivilen Betroffenen hier einzuhalten hat. Und das ist nicht das erste Mal gewesen, das ist mehrfach schon gewesen, dass auf diese Verhältnismäßigkeit bei der Wahl der militärischen Mittel hingewiesen worden ist. Und das ist auch ganz klar in der israelischen Öffentlichkeit als eine Ermahnung verstanden worden.

Adler: In Deutschland wird es dennoch als etwas besonderes gesehen, wenn zum Beispiel Bayerns Innenminister Günter Beckstein von der CSU jemand ist, der als erster aus der Union tatsächlich auf diese Unverhältnismäßigkeit der Mittel hinweist. Ihr Vorgänger im Auswärtigen Amt, der Staatsminister Helmut Schäfer, hat in einem Interview für den Deutschlandfunk angemerkt, dass für deutsche Politiker es so eine Art Denkverbot, so eine Art Redeverbot gibt, dass jede Kritik in Richtung Israel im Grunde genommen zur Folge hat, dass dieser Politiker dann jeweils als ein Antisemit verurteilt werden könnte von Seiten Israels. Ist das eigentlich noch zeitgemäß, dass wir uns solche Denk- und Redeverbote auferlegen lassen?

Erler: Ich würde Ihnen sofort zustimmen, dass das nicht mehr zeitgemäß ist, wenn es ein solches Denk- und Redeverbot gäbe. Aber das gibt es nicht. Und dass es an Ermahnungen und auch an Kritik, was die konkrete Kriegsführung Israels angeht, von deutscher Seite, auch von Regierungsseite, nicht fehlt und dass es nicht stimmt, dass sich die deutsche verantwortliche Außenpolitik in ein Abseits begibt, kann man ja auch daran sehen, dass offensichtlich im Augenblick die sehr ruhige, zurückhaltende, ich möchte beinahe sagen bescheidene, aber wirksame Rolle, die Deutschland versucht, hier zu spielen, ganz besonders in der Person von Frank Walter Steinmeier, aber auch, was die Bundeskanzlerin angeht, ja ein positives Echo in der deutschen Öffentlichkeit hat. Es wurde bekannt, dass im Augenblick Frank Walter Steinmeier bei der Beliebtheitsskala an erster Stelle steht. Das ist ja unerklärlich, wenn er alles falsch machen würde und wenn er hier entgegen der Stimmung in der Bevölkerung sich falsch äußern würde. Offenbar ist das nicht der Fall.

Adler: Sie haben die Zahl genannt. In der Tat, Ihr Dienstherr, der Außenminister, ist im Moment der beliebteste Politiker in Deutschland. Andererseits, wenn man sich die Beliebtheitswerte der Großen Koalition anschaut, dann fallen die Noten alles andere als berauschend aus.

Erler: Aber nicht in Bezug auf die Außenpolitik.

Adler: Nicht in Bezug auf die Außenpolitik, da gebe ich Ihnen recht. Nun sind Sie ja zwar Außenpolitiker, aber durchaus auch SPD-Politiker. Ein engagierter. Wie wirken auf Sie solche eigentlich verheerenden Noten, die man kriegt gleich in der ersten Sommerpause?

Erler: Na ja, also eine trotzige Reaktion wäre, erst mal zu sagen, das ist alles unheimlich ungerecht. Denn ich finde, wir haben eigentlich ziemlich fleißig gearbeitet. Ich meine jetzt nicht nur in der Außenpolitik. Da hatten wir eine ganze Reihe von schweren Krisen durch die Entführungen und ähnliches zu überstehen. Aber in der Innenpolitik kann ich nur sagen, wir haben das, wofür eigentlich eine große Koalition gut sein sollte und was man eigentlich nur in einer großen Koalition machen kann, nämlich die Föderalismusreform, so über die Bühne gebracht, wie das wahrscheinlich keine andere Regierung hätte machen können. Und wir haben jetzt, längst noch nicht am Ende dieser Wegstrecke, aber eben mit den Eckpunkten zur Gesundheitsreform auch etwas vorgelegt, was noch in die parlamentarische Beratung geht, aber wo sich auch jeder einig ist, dass, wenn man es mit einem Thema zu tun hat, wo es um ein Volumen von 400 Milliarden Euro geht, wo vier Millionen Beschäftigte betroffen sind, wo natürlich sehr divergierende Interessen sind, da kann vielleicht auch nur in einer Kooperation über die Parteigrenzen hinweg, zumindest der großen Parteigrenzen hinweg, eine dauerhafte Lösung gefunden werden.

Adler: Nun passiert gerade bei dem Gesundheitskompromiss etwas anderes. Da hat man sich so mühevoll geeinigt und jetzt wird sozusagen schon wieder an den Fäden gezogen, die das Paket gerade zugeschnürt haben. Und, Sie haben es genannt, die Föderalismusreform, mir fällt in dieser Woche noch die angekündigte Nachbesserung des Gleichstellungsgesetzes auf, das noch nicht einmal vom Bundespräsidenten unterzeichnet ist. Die Opposition sagt: "Murks".

Erler: Das muss die Opposition sagen, und das darf man ihr auch gar nicht vorwerfen. Die muss immer "Murks" sagen. Aber noch mal zurück. Die Leistungsbilanz, objektiv, ist, glaube ich, nicht so, dass man sich dafür entschuldigen muss. Manchmal ist das ja so, dass die Stimmung schlechter ist als die Lage.

Adler: Aber das kommt Ihnen wahrscheinlich doch selber auch bekannt vor. Das waren auch so Sätze bei Rot-Grün: "Die Lage wird schlecht geredet, die Kommunikation stimmt nicht, wir müssen uns besser verkaufen." Wir sind mitten in den Sommerferien. Wenn Schüler ein schlechtes Zeugnis nach Hause bringen, dann müssen die vor ihren Eltern Besserung geloben. Wenn Sie jetzt nach der Sommerpause in die neue parlamentarische Arbeit eintreten, wo müssen diese Anstrengungen unbedingt erfolgen?

Erler: Ja, ich glaube schon, dass das Wichtigste ist, was die Leute von uns auch erwarten, ist, dass wir jetzt unsere große Mehrheit auch benutzen, um diesen wichtigen Sektor der Gesundheitspolitik auf eine stabile Grundlage zu stellen. Das hat schon eine Schlüsselstellung, zumindest jetzt in diesem Jahr. Im nächsten Jahr werden andere Themen sich in den Vordergrund drängen. Wir haben dann diese Doppelpräsidentschaft in der EU im ersten Halbjahr und in der G8. Sonst werden wir von den schlechten Noten nicht wegkommen.

Adler: Als Außenpolitiker, als Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler, möchte ich Sie natürlich auch unbedingt fragen: Der Nah-Ost-Konflikt, um darauf noch mal zu sprechen zu kommen, berührt uns in Deutschland nicht nur aus einer Beobachterposition heraus, auch nicht nur aus der Position heraus, dass wir oder die Bundesregierung diplomatische Anstrengungen unternimmt. Das berührt die Menschen auch zutiefst, weil das Angst auslöst, weil wir hier natürlich in Deutschland genügend Ausländer zu wohnen haben, weil es Libanesen gibt, weil es Palästinenser gibt, die hier aufgebracht sind, die stark emotionalisiert sind, ihrem Zorn Luft machen wie jetzt ja auch in den letzten Demonstrationen, zuletzt in Berlin am Freitag. Wie groß sehen Sie die Gefahr, dass durch diese Emotionalisierung eine Radikalisierung eintritt? Gerade vor dem Hintergrund auch, dass, wenn wir uns die Aufgeregtheit anschauen, mit der die beiden Bombenfunde zum Beispiel in den Zügen begleitet waren. Da sprach man ja von einer Spur, die in den Libanon führt.

Erler: Wir haben überhaupt keinen Grund, die Lage irgendwie zu beschönigen. Das ist kein Konflikt da im Nahen Osten, obwohl der geografische Begriff das nahe legt, dass das irgendwie weit von uns weg ist, sondern das ist direkt vor unserer Haustür. Und insofern kann es überhaupt nicht verwundern, dass die Sorgen der Menschen wachsen. Nicht umsonst hat es in den letzten Tagen die größte Evakuierungsaktion für Bürger mit deutscher Staatsangehörigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben, mit 6000 Leuten, die innerhalb von wenigen Tagen aus dem Libanon rausgebracht und damit gerettet worden sind. Deswegen finde ich es ja zum Beispiel gut, dass Innenminister Schäuble einen Abschiebestopp für den Libanon verkündet hat. Und es hat eine verstärkte humanitäre Hilfe gegeben. Aber ich teile auch diese große Besorgnis, wenn wir es nicht schaffen, bald zu einer Verhandlungslösung hier zu kommen, vor einem Radikalisierungsschub stehen. Denn ist es ja auch klar, ich befürchte, dass diese israelische Hoffnung, dass das harte Vorgehen, auch was Zivilisten betrifft, zu einer Distanzierung der libanesischen Bevölkerung von der Hisbollah führt, genau nicht stattfindet, sondern dass das Gegenteil eintritt.

Adler: Nun gibt es, Sie haben es angedeutet, eine bestimmte Stimmung in der arabischen Bevölkerung, die hier in Deutschland lebt, die reicht von - natürlich - Empörung über das, was im Nahen Osten, im Kriegsgebiet, geschieht bis hin zum Trotz, nämlich Trotz in der Richtung, dass man sagt, also diese zwei Millionen oder jetzt aufgestockt vier Millionen, die das Auswärtige Amt beziehungsweise das Entwicklungshilfeministerium gibt an Soforthilfe für den Libanon, dieses Geld könnte man sich eigentlich sparen. Stoppt den Krieg, stoppt die Vernichtung, und - und das ist etwas, zum Beispiel auch Ihr Kollege Helmut Schäfer, der ehemalige Staatsminister angesprochen hat - das könnte auch zu einer Trotzreaktion in der deutschen Bevölkerung führen, dass man sagt: Also, wir schauen uns hier monate- oder wochenlang an, wie etwas zerstört wird, wie ein Land in Schutt und Asche gelegt wird und dann müssen wir über die EU diejenigen sein, die den Wiederaufbau finanzieren. Was würden Sie diesen Kritikern antworten wollen?

Erler: Das ist mein täglich Brot, das auch zu beantworten. Aber es gibt ja logischerweise da keine Möglichkeit, da irgendwie auf den Tisch zu hauen und zu sagen, jetzt ist aber mal Schluss mit den Zerstörungen. Der Leidtragende ist der Libanon. Man darf einerseits nicht vergessen, wie das ganze entstanden ist. Und es gibt leider nur die eine Möglichkeit, darauf jetzt zu reagieren, eben alles zu tun und dabei die guten Dienste Deutschlands auch anzubieten, mit großer Bescheidenheit, weil wir eigentlich nur anbieten können, dass wir sagen, wir sind gesprächsfähig nach beiden Seiten. Das ist das, was wir können, anzubieten, um so schnell wie möglich in dem Augenblick vorbereitet zu sein, wo es auch der israelischen Seite aus sicherheitspolitischen Gründen möglich erscheint, die Angriffe einzustellen. Das Problem ist, dass wir eigentlich seit Wochen hoffen, dass es so weit ist, aber der Krieg verlängert sich ständig. Und er verlängert sich, weil es an dem militärischen Erfolg Israels fehlt. Israel sieht gar keine Möglichkeit, im Augenblick einer Waffenruhe zuzustimmen, weil sie glauben, dass sie dann in einer großen Position der Schwäche wären. Das ist das Haupthindernis für eine Waffenruhe, dass es so aussieht, dass man militärisch sehr wenig gegen diesen Beschuss durch Hisbollah machen kann. Und das verlängert im Augenblick den Krieg und damit das Leiden für auch sehr, sehr viele unschuldige Menschen.