Für die Einhaltung von grundlegenden Menschenrechten und Grundfreiheiten beim Umgang mit Gefangenen

14. Sitzung des Deutschen Bundestages, 26. Januar 2006: 

Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung begrüßt, dass sich der Deutsche Bundestag heute erneut mit dem Thema Guantanamo beschäftigt. Die Frage des Status, der Rechte und der Behandlung der Gefangenen von Guantanamo ist seit langem Gegenstand des politischen Dialogs zwischen der Bundesregierung und der Regierung der Vereinigten Staaten. Die Bundesregierung hat dabei immer wieder den ungeklärten Status der Guantanamogefangenen angesprochen. Wir halten die Einstufung der Verdächtigen als „ungesetzliche Kämpfer" bzw. „feindliche Kombattanten" mit der Folge, dass sie keinen Anspruch auf rechtsstaatliche Verfahren haben, für nicht mit dem geltenden Völkerrecht vereinbar.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nach unserer festen Überzeugung haben die Festgehaltenen unabhängig von der Festlegung ihres Status im Einzelfalleinen Anspruch auf Behandlung nach den rechtlichen Standards des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte, das heißt konkret, Anspruch auf eine jederzeit menschenwürdige Behandlung, auf Schutz vor Folter und körperlicher Misshandlung, auf Schutz vor grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe und schließlich das Recht auf faire, rechtsstaatliche Verfahren.

(Beifall bei der SPD)

Diese grundsätzliche Position der Bundesregierung hat die Unterstützung des Deutschen Bundestages erhalten.Besonders deutlich wurde das in der sehr differenzierten Entschließung des Deutschen Bundestages vom 25. März 2004 zum Thema Guantanamo - der Kollege Toncar hat diese Entschließung eben angesprochen -,die noch heute Gültigkeit beanspruchen kann. Die Bundesregierung hat diese grundsätzliche Position in ihrer Beantwortung von Fragen aus den Reihen des Deutschen Bundestags im Dezember 2005 erneut bekräftigt. Über diese Fragen gibt es, wie gesagt, seit längerem einen kritischen Dialog mit den Vereinigten Staaten.

Vor ihrem Antrittsbesuch in Washington hat die Bundeskanzlerin dazu deutliche Worte gefunden und öffentlich gefordert - Herr Polenz hat es bereits gesagt; ich zitiere es noch einmal -: Eine Institution wie Guantanamo kann und darf auf Dauer so nicht existieren. Es müssen Mittel und Wege für einen anderen Umgang mit den Gefangenen gefunden werden. Das Thema war dann auch Gegenstand des Gesprächs der Bundeskanzlerin mit dem amerikanischen Präsidenten. Es wurde schon vorher von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier bei der Begegnung mit seiner Kollegin Condoleezza Rice im Dezember angesprochen. Dabei kann es nie darum gehen, vor der neuen Qualität der terroristischen Herausforderung, die wir nach dem 11. September 2001 erfahren mussten, die Augen zu schließen. Wir sind aber noch dabei, zu lernen, wie wir die Bürger vor Gefahren schützen können, die wir in dieser Form früher nicht kannten. Gilt zum Beispiel für jemanden, der über 150-mal mit den Hauptattentätern des 11. September in New York und Washington und des 11. März in Madrid telefoniert hat, die Unschuldsvermutung - Telefonieren ist ja nicht strafbar - oder müssen wir hier möglicherweise präventiv - zum Schutz der Bürger - tätig werden? Es geht also um jene schwierige Gratwanderung zwischen einer entschlossenen und gemeinsamen Abwehr des Terrorismus einerseits und der Bewahrung von rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätzen und Freiheitsrechten - gerade dagegen richtet der internationale Netzwerkterrorismus seine Attacken - andererseits.

Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Washingtoner Rede vom 12. Januar dieses Jahres ausdrücklich die schwierige Aufgabe angesprochen, hier die richtige Balance zu finden. Dabei geht es auch nicht ausschließlich um rechtliche Fragen, sondern letztlich um die politische Frage, welche Art der Bekämpfung des Terrorismus auf Dauer erfolgreich sein kann. Solange das Lager in Guantanamo Bay besteht, wird diese Diskussion insofern immer wieder auf die Behandlung der dortigen Gefangenen zurückkommen müssen. Längst hat diese Diskussion auch die Vereinigten Staaten selbst erreicht, wo inzwischen über diese politischen und rechtlichen Fragen auf einem hohen Niveau diskutiert wird. Herr Kollege Gysi, ich würde mich freuen, wenn Sie auch diesen Teil der amerikanischen Realität zur Kenntnis nehmen würden. Ich meine damit unter anderem die Diskussion um das so genannte McCain Amendment, wodurch jetzt die weltweite Geltung des Folterverbots für alle US-Bediensteten in Bezug auf alle Verhörmethoden gesetzlich klargestellt wurde. Ich meine damit auch, dass amerikanische Gerichte klargestellt haben, dass Guantanamo kein rechtliches Niemandsland sein darf und dass jetzt neue und transparente Regelungen für Haftprüfungsverfahren gelten. Ich meine damit weiterhin die schon angesprochene Entscheidung des US Supreme Courts, dass ausländische Gefangene in Guantanamo dasselbe Recht wie amerikanische Bürger haben, nämlich die Autorität staatlicher Gerichte in Anspruch zu nehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Entwicklungen ermutigen uns. Sie ermutigen die Bundesregierung, den in letzter Zeit sehr intensiv geführten Dialog mit unseren amerikanischen Partnern mit dem ausdrücklichen Ziel fortzusetzen, gemeinsam Mittel und Wege zu einem anderen Umgang mit den Guantanamogefangenen, aber auch mit allen anderen Gefangenen im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Terrorismus zu finden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Damit stellen wir letztlich unter Beweis: Die Gemeinschaft der Staaten, die sich den Attacken der Feinde der Freiheit ausgesetzt sieht, kann Antworten finden, die unserem Anspruch als freie und offene Gesellschaften gerecht werden, die das Recht jedes Einzelnen achten und die den geltenden und unverzichtbaren Regeln des internationalen Völkerrechts ohne Einschränkung folgen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)