Für eine neue Partnerschaft: Die Europäische Union und Zentralasien

Rede von Staatsminister Erler anlässlich des InWEnt / UNDP-Forum „Neue Perspektiven für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Zentralasien", Berlin, 18. Mai 2006

Sehr geehrte Herren Minister, Vizeminister, sehr geehrter Herr Staatssekretär, Frau Kühl, Herr Melkert, Herr Kubiš, Exzellenzen, sehr geehrte Damen und Herren,

auch ich freue mich sehr, Sie heute in Berlin zum Forum „Neue Perspektiven für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Zentralasien" in so großer Zahl begrüßen zu dürfen. Ich danke insbesondere Herrn AM Tokajew, Herrn Vize-AM Mustafajew, sowie dem Sonderbeauftragten der EU für Zentralasien, Herrn Kubiš, für ihr Kommen. Dem BMZ, dem UNDP und InWEnt gilt mein Dank für die Ausrichtung dieses wichtigen Forums.

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Länder der Region Zentralasien gehen nach dem Zerfall der Sowjetunion durch einen schwierigen Transformationsprozess. Sie können hierbei bereits auf beachtliche Erfolge zurückblicken. Die Nachbarschaftsbeziehungen unter ihnen sind nicht immer spannungsfrei, aber kriegerische Konflikte wie auf dem Balkan konnten vermieden werden. Ethnische Konflikte sind weitgehend ausgeblieben. Die staatliche Selbstfindung, auch Nationbuilding genannt, kommt voran. Die nukleare Hinterlassenschaft des Kalten Krieges ist oder wird beseitigt. Dabei sind neue Atommächte nicht entstanden. Das ist keine schlechte Zwischenbilanz!

Die strategische Bedeutung Zentralasiens wird in Europa immer deutlicher erkannt. Dabei fallen immer dieselben beiden Stichworte: Der gemeinsame Kampf gegen den internationalen Terrorismus und die Energiesicherheit.

Die deutsche und europäische Außenpolitik ist dabei, sich auf diese Entwicklung einzustellen. Die Bundesregierung bereitet sich darauf vor, die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 zu nutzen, um Anstöße für eine engere Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Zentralasien zu geben. Ich möchte die Gelegenheit heute nutzen, einige Überlegungen dazu mit Ihnen zu teilen.

Ausgangspunkt sind dabei die Interessen der EU in Zentralasien: Wie lassen die sich beschreiben? Ich will die drei wichtigsten benennen:

Das Ziel Stabilität steht an vorderster Stelle. Stabilität in Zentralasien ist unerlässlich für Frieden und Prosperität in der gesamten Region um das Kaspische Meer und das Schwarze Meer. Auch eine Befriedung Afghanistans kann ohne Stabilität in Zentralasien nicht gelingen. Längst denken wir in den Kategorien des Broader Middle East - also einer Region, die den Nahen und Mittleren Osten einbezieht - mit seinen für Europa unverzichtbaren Energieressourcen. Dort ein friedliches, stabiles Umfeld zu schaffen, ist im europäischen Interesse.

Lassen Sie mich stichwortartig zusammenfassen: Die deutschen und europäischen Interessen richten sich in Zentralasien

Dieser gewünschten Entwicklung - meine Damen und Herren - steht noch einiges entgegen:
Umzureichende politische Reformbereitschaft, Missachtung von Menschenrechten, Korruption, der Einfluss der organisierten Kriminalität und soziale Perspektivlosigkeit: das alles behindert nicht überall, aber leider vielerorts das Entstehen in sich gefestigter staatlicher Strukturen. Die Aufteilung und Verwendung der Wasserressourcen bleibt in vielen Fällen streitig. Die Verminung gemeinsamer Grenzen behindert den Personen- und Warenverkehr und fordert immer wieder Menschenleben. Der grenzüberschreitende Drogenhandel wird zunehmend zu einem Haupthindernis für die Modernisierung der betroffenen Gesellschaften. Große Teile der in Afghanistan angebauten Opiate gelangen über Zentralasien nach Westeuropa. Die Proliferation von Kleinwaffen birgt ein erhebliches Destabilisierungspotential für die gesamte Region. Die Verschlechterung der Umweltbedingungen und die fortschreitende Versalzung des Aralsee-Beckens - eine regelrechte Umwelt-Tragödie - haben unmittelbare Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Bevölkerung. Das Problem der Wasserversorgung wird zunehmend drängender.

Ein militanter islamischer Fundamentalismus bereitet den überwiegend säkular geprägten Staaten Zentralasiens ernsthafte Sorgen. Auch wir beobachten das mit Sorge. Nicht nur im Dreiländereck des Ferghanatals - (mit Usbekistan, Kirgisistan, Tadschikistan) - sind verstärkte Aktivitäten der Islamischen Bewegung Usbekistans IMU, von Al Qaida-Netzwerken und der Hizb-ut-Tahrir zu beobachten.

Sehr geehrte Damen und Herren,

bei der Bewältigung dieser Herausforderungen sind die Länder Zentralasiens auf Unterstützung angewiesen. Es liegt im europäischen und deutschen Interesse, notwendige Reformprozesse sowie die regionale, grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die bisher über Ansätze nicht hinausgekommen ist, zu fördern. Wer da helfen will - und das wollen wir - muss auf die Besonderheiten der einzelnen Länder eingehen. Ich darf Sie zu einem kleinen politischen Spaziergang durch die Region einladen:

In Kasachstan, dem mit Abstand größten Flächenstaat der Region, ist der politische und wirtschaftliche Transformationsprozess am weitesten vorangeschritten. Große Erdölvorkommen im Kaspischen Meer und nördlich davon haben ein beeindruckendes Wachstum in Gang gesetzt. Die wachsende Wirtschaftskraft stärkt auch das politische Selbstbewusstsein. Kasachstan hat angekündigt, sich für den Vorsitz in der OSZE im Jahr 2009 zu bewerben. Deutschland ist prinzipiell bereit, Kasachstan in seinem Vorhaben zu unterstützen. Wenn wir die gleichberechtigte Teilhabe aller Teilnehmerstaaten an der OSZE ernst meinen, dann ist es an der Zeit, dass einmal ein Staat die Führungsrolle in dieser internationalen Organisation übernimmt, den die OSZE (und ihre „Vorgängerin", die KSZE) in seiner - noch nicht abgeschlossenen - Transformationsgeschichte von Anfang an begleitet hat. Wir sind überzeugt, dass ein kasachischer OSZE-Vorsitz das Bewusstsein der Staaten Zentralasiens dafür schärfen wird, dass sie „Miteigentümer" der Organisation sind, mitverantwortlich für ihre Aktivitäten, nicht nur Adressaten ihrer Politik. Aber das ist dann natürlich auch mit Erwartungen an Kasachstan verbunden: und die richten sich auf die Beseitigung von politischen Defiziten, die es noch gibt: so im Bereich Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaat.

Die Entwicklung in Usbekistan, des bevölkerungsreichsten Landes im Herzen Zentralasiens, hat für alle seine Nachbarn unmittelbare Bedeutung. Eine demokratische und marktwirtschaftliche Entwicklung des Landes hat noch eine lange Wegstrecke vor sich. Die tragischen Ereignisse von Andijan vor einem Jahr am 13. Mai 2005 haben viele Menschen in Europa erschüttert. Sie belasten das Verhältnis zur EU weiterhin nachhaltig. Jeder Staat hat das Recht, die öffentliche Ordnung im eigenen Land aufrecht zu erhalten - daran kann es keinen Zweifel geben! Und dies gilt natürlich auch für Usbekistan. Aber was wir hier beobachten mussten, war zumindest ein unverhältnismäßiger Einsatz staatlicher Gewalt gegen die eigenen Bürger. Durch zahlreiche Augenzeugenberichte haben wir ein ziemlich verlässliches Bild von den Vorkommnissen in Andijan. Nichtregierungsorganisationen wie Human Rights Watch, amnesty international und die International Crisis Group haben wichtige Beiträge zur Aufklärung der Zwischenfälle von Andijan geleistet. Usbekistan hat sich die internationale Kritik als Einmischung in seine inneren Angelegenheiten verbeten und auch die Berichte des Warschauer OSZE-Büros für Menschenrechte und demokratische Institutionen (ODIHR) über die Vorgänge und die folgenden Prozesse gegen Demonstranten rundheraus zurückgewiesen. Wir bedauern das! Aber aus unserer Sicht gibt es zur Fortsetzung des kritischen politischen Dialogs mit Usbekistan keine sinnvolle Alternative. Die Bundesregierung ist zutiefst besorgt über die Ereignisse von Andijan und seine Folgen. Sie trägt die Sanktionsbeschlüsse der Europäischen Union vom November 2005 ausdrücklich mit. Gleichzeitig sind wir jedoch der Überzeugung, dass niemandem damit gedient ist, dieses große und wichtige zentralasiatische Land zu isolieren, oder seine Selbstisolierung noch zu beschleunigen. Wir interpretieren die Entscheidung Usbekistans über die weitere Nutzung des Luftwaffenstützpunkts Termez als Beleg dafür, dass das Land auch weiterhin bereit ist, einen Beitrag zum internationalen Kampf gegen den Terrorismus zu leisten. Deutschland ist mit zahlreichen anderen ISAF-Staaten froh darüber, Termez nutzen zu können. Aber das wird uns nicht hindern, die Entwicklungen in Usbekistan, die uns Sorge bereiten, auch in Zukunft in aller Deutlichkeit anzusprechen.

Mit Tadschikistan und Kirgisistan verbinden uns gute und freundschaftliche Beziehungen. Mit dem tadschikischen Premierminister Akilow und dem kirgisischen Außenminister Dshekschenkulow ist unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor kurzem zu politischen Konsultationen in Berlin zusammengetroffen. Er hat dabei deutlich gemacht, dass beide Länder bei konsequenter Fortsetzung des politischen Transformationsprozesses weiterhin auf die Unterstützung der Bundesregierung rechnen können.

Der Ausbau unserer Zusammenarbeit mit Turkmenistan wird von der weiteren Entwicklung in diesem Land abhängen. Das Interesse Turkmenistans an dem regionalen Rechtsstaatsberatungsprojekt der GTZ zeigt uns, dass es auch hier Ansatzpunkte für eine weitere Zusammenarbeit gibt.

Meine Damen und Herren,

Deutschland ist als einziges EU-Land in allen fünf zentralasiatischen Ländern mit einer Botschaft vertreten. In Bischkek (Kirgisistan) nimmt der deutsche Botschafter zur Zeit stellvertretend für alle EU-Mitgliedstaaten die Aufgaben der lokalen EU-Präsidentschaft wahr. Bereits vor dem eigentlichen Beginn der deutschen Präsidentschaft werden wir im zweiten Halbjahr 2006 stellvertretend für Finnland die EU in allen fünf Hauptstädten vertreten. Und nach unserer Präsidentschaft wird sich das bei Portugals Präsidentschaft fortsetzen. Das heißt praktisch zwei Jahre lokale EU-Präsidentschaft in Zentralasien durch die Bundesrepublik Deutschland. Sie leistet damit einen erheblichen personellen und finanziellen Beitrag zur Zentralasienpolitik der Europäischen Union. Wir wollen diese Zeit nutzen. Und wir wollen die Erarbeitung einer europäischen Zentralasien-Strategie zu einem der Schwerpunkte in unserer Ratspräsidentschaft im 1. Halbjahr 2007 machen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir haben den Eindruck, dass wir dabei auf viel Unterstützung unserer Partner in der EU rechnen können. Erste Kontakte mit der derzeitigen österreichischen Präsidentschaft und der künftigen finnischen Präsidentschaft sowie der EU-Kommission haben bereits stattgefunden. Wir können uns hierbei auf wichtige Vorarbeiten stützen. Bereits in der Europäischen Sicherheitsstrategie vom Dezember 2003 hat sich die Europäische Union auf eine Stärkung der Sicherheit in ihrer Nachbarschaft verpflichtet. Mit der Ernennung des EU-Sonderbeauftragten für Zentralasien, Herrn Jan Kubiš, hat die Europäische Union in den Ländern der Region politische Sichtbarkeit gewonnen. Mit den Partnerschafts- und Kooperationsabkommen verfügt die Europäische Union über sehr konkrete Instrumente der Zusammenarbeit mit Zentralasien. Die Partnerschafts- und Kooperationsabkommen basieren auf drei Säulen: politischer Dialog, Handels- und Wirtschaftsbeziehungen sowie Zusammenarbeit in einer ganzen Reihe weiterer Sektoren.

Jetzt wird es darum gehen, dieses Instrumentarium besser wirksam zu machen. Zunächst müssen Ziele und Interessen beider Seiten identifiziert werden. Dies darf keine Einbahnstraße sein. Mit den Forderungen der zentralasiatischen Staaten nach erleichtertem Marktzugang in der Europäischen Union und einem Ausbau der Handelsbeziehungen sowie ihrem Interesse an einer WTO-Mitgliedschaft müssen wir uns ebenso auseinandersetzen wie mit Fragen der Menschenrechte, der Demokratie und des Rechtsstaates. Deutschland ist hierzu bereit. Zur Verstetigung unserer Beziehungen wollen wir einen regelmäßigen politischen Dialog auf Ebene der Außenminister einrichten.

Sehr geehrte Damen und Herren,

lassen Sie mich abschließend anmerken: Deutschland und die Europäische Union sind gut beraten, sich künftig bei der Gestaltung ihrer Zentralasienpolitik noch enger mit den Vereinigten Staaten abzustimmen. Amerika teilt unser Interesse an Stabilität in der Region sowie an der Förderung von Rechtsstaat, Demokratie und Menschenrechten. Hierbei muss deutlich werden, dass sich das Engagement der Europäischen Union nicht gegen dritte Staaten richtet. Russland wird auf Grund einer langen gemeinsamen Geschichte, seiner Geographie sowie zahlreicher sprachlicher, kultureller und persönlicher Bindungen auf absehbare Zeit eine ganz besondere Rolle in Zentralasien spielen. Wir müssen weg kommen von einem Denken in Kategorien des „Great Game" von geopolitischer Konkurrenz und dem Denken in Null-Summen-Spielen von Einflusspolitik. Was wir brauchen, ist die Entwicklung von partnerschaftlicher Politik. Dies betrifft auch die zunehmend enger werdenden Beziehungen Chinas zu der Region. In der Arbeit der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit - die, wie ich finde, bei uns zu wenig Beachtung findet - stecken interessante Möglichkeiten, auch, was die Kooperation mit der EU angeht! Aber auch von einem engen Erfahrungsaustausch mit Japan kann die Europäische Union nur gewinnen! Japan kann inzwischen auf beachtliche Erfolge des politischen Dialogs mit Zentralasien zurückblicken.

Wir fangen also nicht bei Null an, wenn wir die Zusammenarbeit EU und Zentralasien zu einem der Hauptthemen unserer EU-Präsidentschaft machen werden! Wir glauben, dass das eine gute Entscheidung ist. Und wir glauben, dass dieses Forum von InWEnt/UNDP - beiden Institutionen danke ich nochmals für ihre Initiative - eine exzellente Chance zur Vorbereitung unserer geplanten Prioritätensetzung ist!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.