Erler: "Pro-europäische Stimmung in Bulgarien"

Interview Deutsche Welle, 25. März 2017

Die Bulgaren haben von der pro-europäischen Politik ihrer Regierungen profitiert, sagt Gernot Erler, Vorsitzender des Deutsch-Bulgarischen Forums. Das Land sollte diesen Kurs nach der Wahl am Sonntag fortsetzen.

DW: Herr Erler, was erwarten Sie von der Parlamentswahl in Bulgarien am 26. März?

Gernot Erler: Ich hoffe sehr, dass aus dieser Wahl die Chance hervorgeht, wieder eine stabile Regierung in Bulgarien zu bilden. Wir haben keine gute Zeit in der Politik in Bulgarien hinter uns, nach drei abgebrochenen Regierungen und drei Übergangsregierungen in den vergangenen drei Jahren. Das ist eine Art Rekord auf dem Balkan. Und insofern wäre es wichtig, dass das ein Start in eine Zeit wird, wo eine gewählte Regierung die vier Jahre auch erfolgreich durchregieren kann.

Was für eine Regierung würden Sie in Sofia nach der Wahl begrüßen? 

Ich glaube auf jeden Fall, es wird eine Koalitionsregierung sein müssen. Wenn man die Umfragen beobachtet, haben wir zurzeit eine Pattsituation zwischen den beiden großen Parteien: der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) und der bis vor Kurzem regierenden Partei GERB von Boiko Borissow. Das ist eine Herausforderung, weil beide es bisher abgelehnt haben, miteinander zu koalieren. So stellt sich die Frage: Wie kann man eine Regierung bilden? Es dürfte eigentlich in einer Demokratie nicht sein, dass demokratische Parteien sagen: "Nein, auf keinen Fall eine Koalition!"

Es wird viel darüber spekuliert, für welche außenpolitische Ausrichtung sich eine neue Regierung entscheiden würde. Auch von einem wachsenden Einfluss Moskaus in der bulgarischen Politik ist die Rede. Was erwarten Sie in dieser Hinsicht?  

Ich bin sehr froh, dass die Zustimmung in Bulgarien für die EU mit am höchsten ist in der ganzen Region. Ich glaube auch, dass bislang die Bulgaren von der pro-europäischen Politik ihrer Regierungen profitiert haben. Und das soll unbedingt fortgesetzt werden. Bulgarien ist ein wichtiger Stabilitätsfaktor in der Region und bemüht sich um eine gute Nachbarschaft mit allen angrenzenden Ländern. Da wir zurzeit in einigen anderen Ecken des Westbalkans große Probleme haben, kann es sehr wichtig sein, wie Bulgarien da auftritt, wie handlungsfähig es ist, um auch hier den europäischen Gedanken weiterzutragen und zu festigen. 

Welches sind die Hauptprobleme, die die neue bulgarische Regierung anpacken muss? 

Es ist leider immer noch dasselbe: An erster Stelle stehen der Kampf gegen die Korruption und das organisierte Verbrechen sowie das Fortsetzen der Justizreform. Gleichzeitig muss Bulgarien wieder mehr Vertrauen gewinnen, auch im ökonomischen Bereich. Im vergangenen Jahr sind die Auslandsinvestitionen in Bulgarien um 60 Prozent eingebrochen: Das ist ein Zeichen dafür, dass die europäischen Märkte eine Lücke im Vertrauen gegenüber Bulgarien haben. Das wird auch von den bulgarischen Wirtschaftsvertretern so gesehen. Deswegen wäre es sehr wichtig, dieses Vertrauen wiederherzustellen.

Mehrere politische Parteien und Politiker in Bulgarien versuchten neulich, eine angebliche Flüchtlingsgefahr und eine Einmischung der Türkei in die bulgarische Innenpolitik als Wahlkampfthemen zu instrumentalisieren. Wie schätzen Sie diese Versuche ein?    

Es ist tatsächlich so, dass wir solche Einmischungen beobachten konnten. Der türkische Botschafter in Sofia ist zum Beispiel aufgetreten bei einer Wahlveranstaltung von einer der türkischen Parteien in Bulgarien (der Partei DOST), die der AKP und Erdogan nahe steht. Der Botschafter ist deswegen auch zu Recht einbestellt worden. Das wurde als eine Einmischung in die bulgarischen Angelegenheiten gesehen. Ich kann die bulgarische Seite verstehen, besonders nachdem es eindeutige Empfehlungen aus Ankara gegeben hat an die türkische Bevölkerung in Bulgarien, welche Wahl sie treffen soll. Das ist schon sehr nah an einer Einmischung von außen. Und dass man sich das verbietet, kann ich ganz gut verstehen. Weniger gut kann ich verstehen, dass bulgarische Nationalisten an der Grenze versuchen, die ausgebürgerten bulgarischen Türken (oder türkischen Bulgaren), die vor 1989 aus dem kommunistischen Bulgarien geflüchtet waren, an der Einreise zu hindern. Das ist natürlich nicht rechtmäßig.

Was die Flüchtlinge betrifft: Das Thema sollte man nicht im Wahlkampf instrumentalisieren. Wir haben im Augenblick rund 4500 Flüchtlinge in Bulgarien. Wenn man das mit anderen Ländern vergleicht, auch unter Berücksichtigung der Größe, ist das eine Herausforderung, die zu bewältigen ist. Und wenn man sich die Linien der Flüchtlinge anschaut, liegt Bulgarien ein bisschen abseits - auch von dieser berühmten Balkan-Route. Natürlich brauchen wir nach wie vor eine funktionierende Regierung in Sofia auch als Partner in einer vernünftigen Flüchtlingspolitik.      

Wie erklären Sie es sich, dass im Unterschied zu anderen Ländern in Mittel- und Osteuropa eine große Mehrheit der Bulgaren die EU-Mitgliedschaft des Landes unterstützt?

Bulgarien musste kämpfen. Als Vorsitzender des Deutsch-Bulgarischen Forums in Deutschland war ich nah dran, als wir in Richtung EU-Mitgliedschaft gearbeitet haben. Es wurde zwar die glückliche Entscheidung getroffen, dass Bulgarien ab dem 1. Januar 2007 die volle Mitgliedschaft bekam, aber damit war die Auseinandersetzung noch nicht vorbei. Wir haben dann den Kooperations- und Verifikationsmechanismus seitens der EU einrichten müssen, weil einige Versprechen und Zusagen der bulgarischen Seite zu langsam umgesetzt wurden. Dieser Mechanismus ist bis heute noch in Kraft und wir bekommen weiter die alljährlichen Berichte über die Umsetzung der Schritte. Aber Bulgarien hat von dem Beitritt sehr profitiert. Es gab immer eine pro-europäische Stimmung in Bulgarien, auf der man auf dem schwierigen Weg zur EU-Mitgliedschaft aufbauen konnte. Obwohl es auch in Bulgarien kleine anti-europäische Parteien gibt (wie die Vereinigten Patrioten), ist es doch erfreulich, dass die große Mehrheit in Bulgarien pro-europäisch ist. Und das ist heutzutage nicht selbstverständlich.